Ursachen für Terrorismus nicht aus dem Blick verlieren

Moderation: Nana Brink · 26.07.2005
Der Schriftsteller F.C. Delius fürchtet, dass sich nach den jüngsten Anschlägen die öffentliche Debatte zu sehr auf Sicherheitsmaßnahmen konzentriert. Es gelte aber, die Ursachen für Terrorismus nicht aus den Augen zu verlieren. Delius hat eine Romantrilogie über den deutschen Herbst veröffentlicht.
Delius: Ich denke, es gibt da einen ganz entscheidenden Unterschied: Es ging damals bei dieser selbsternannten Rote Armee Fraktion eigentlich gegen ausgesuchte Opfer. Also nicht wie heute potentiell gegen jeden. Das ist ein entscheidender Unterschied. Das war vielleicht schon ansatzweise bei der Entführung der Lufthansa-Maschine Landshut, also berühmter Fall Mogadischu, so, da traf es zum ersten mal sozusagen jeden, den normalen Mallorca-Urlauber, aber das war genau der Übersprung und damit war es im Wesentlichen auch beendet.

Und ich glaube, ein noch wichtigerer Unterschied ist der: das waren damals vielleicht 25 Leute in ganz Deutschland mit ein paar Helfern, aber wenigen, und heute sind es tausende, zehntausende potentielle Täter, die weltweit und überall losschlagen können oder offenbar wollen und denen es nicht mehr darauf ankommt, wen sie treffen, sondern dass sie möglichst viele zu Tode bringen und das ist natürlich eine völlig andere qualitative Geschichte.

Brink: Es wird jetzt auch in Deutschland angesichts der Terrorgefahr über eine Verschärfung von Sicherheitsmaßnahmen gesprochen. Wir haben das heute in allen möglichen Zeitungen lesen können: über Durchsuchungen von Taschen und auch Einsatz von Abwehrraketen, so hat es der bayerische Innenminister Beckstein gefordert, also die Bundeswehr soll eingesetzt werden im Inneren, Überflugverbote werden diskutiert. Führt denn diese Terrorgefahr zu einer Art US-amerikanischer Hysterie, das hat zum Beispiel der Soziologe Ulrich Beck jüngst formuliert. Spüren Sie das auch?

Delius: Ich kann das noch nicht so sehen. Wir neigen in Deutschland ja sehr schnell zu einer Hysterisierung, das kennt man ja schon aus den 70er Jahren, dass immer, wenn etwas passiert ist, sofort Maximalforderungen in alle Richtungen kommen, dann werden Gesetze verschärft und ein bisschen was gemacht. Ich glaube, das ist jetzt - wenn ich das Wort Raketen hören, das ist ja nun reine Lächerlichkeit - sozusagen dieser Trotzwahn, Sicherheit zu schaffen.

Wir müssen uns damit abfinden, dass wir in einer Welt leben, in der es die Gefahr gibt und das schließt nicht aus, dass man natürlich das, was man an Sicherheitspolitik machen kann, auch machen muss und dass man die Leute, die verdächtig sind, auch mit allem Verdacht und aller Strenge beobachtet.

Und ich habe auch nichts dagegen, wenn man da Telefone abhört und dergleichen, aber ich denke, das ist eigentlich gar nicht das Problem, sondern die Amerikaner sind ja eigentlich nicht so hysterisch, sondern einfach sehr konsequent erstmal gewesen nach dem 11. September und das kann man verstehen, dass wenn man irgendwelche nationalen wichtigen Orte betreten hat, man überall durchleuchtet wurde. Das ist leider, fürchte ich, auf Dauer in dieser Welt auch nicht mehr zu vermeiden.

Brink: Das kann ja auch in Deutschland drohen oder es wird sogar drohen, wenn wir uns das Ereignis nächstes Jahr ansehen: die Weltmeisterschaft. Da ist es ja eigentlich fast schon klar, dass es Überfugverbote geben wird. Ist das jetzt eine hysterische Reaktion oder ist sie auch verständlich?

Delius: Ein Überflugverbot ist nun keine hysterische Reaktion. Das ist so eine Art Verkehrsregelung, das ist, als wenn Sie Umleitungen irgendwo auf den Verkehrswegen machen, deswegen würde ich mich da nicht drüber aufregen. Ich finde eher eine Gefahr, die auch in den Medien droht, dass man vielleicht über die eigentlichen Anlässe vielleicht immer weniger spricht, dass wir uns wirklich die Freiheit erhalten, über das alles auch offen und tabufrei zu diskutieren.

Was die Amerikaner ja beispielsweise tun, die New York Times, die Kommentare, die ich da ab und zu im Internet lese, die stellen den Zusammenhang her jetzt wieder mit dem Irakkrieg und sagen wieder und wieder, dass dieser Krieg den Terrorismus befördert hat und das muss auch in Deutschland möglich sein, das muss man auch hier mal wieder in aller Ruhe sagen und diskutieren können.

Brink: Also, dass wir nicht über Sicherheitsfragen reden, sondern über die eigentlichen Ursachen des Terrorismus.

Delius: Ja, wir müssen trotzdem, das ist ja gar keine Frage, das was an Sicherheitsmöglichkeiten mit unseren Gesetzen vereinbar ist - und da ist ja eine ganze Menge, es ist doch nicht so als hätten wir überhaupt keine Möglichkeiten, das sagt ja auch der Bundesinnenminister immer wieder, wenn ich das richtig höre. Wir haben sehr viele Möglichkeiten, die effektiv auszuschöpfen, das ist schon eine ganze Menge.

Brink: Glauben Sie denn, dass die Bundesrepublik etwas gelernt hat aus dieser Erfahrung mit dem Terrorismus in den 70er Jahren, dass sie anders umgeht mit der Einschränkung von Freiheits- oder Persönlichkeitsrechten?

Delius: Ob was gelernt worden ist, weiß ich nicht, aber es ist schon damals etwas getan worden. Die Gesetze, die wir heute haben, sind ja damals entstanden, die sind aus den 70er Jahren.

Brink: Zum Beispiel so etwas wie die Rasterfahndung ist eine Sache von damals. Kann man denn dann in einer offenen Gesellschaft mit einer terroristischen Gefahr umgehen, wirklich ohne Freiheitsrechte einzuschränken?

Delius: Wenn Sie es so allgemein sagen, dann ist natürlich die Frage, was Sie unter Freiheitsrecht verstehen. Ich habe nichts dagegen, wenn ich in die U-Bahn gehe und in einer Situation, in der wir heute sind, mir jemand in die Tasche reinschaut. Ich finde, dass wenn die Gefahr so groß ist, muss ich damit leben, das ist leider so.

Brink: Wird das Thema Terrorismus Sie noch mal beschäftigen, gerade wenn Sie jetzt so auf Ihre Romantrilogie aus den 80er Jahren schauen?

Delius: Literarisch hoffe ich nicht, ich habe eigentlich, vermute ich jedenfalls mal, diese deutschen Aspekte einigermaßen ausgeschöpft und ich habe mir damals vorgenommen: es gibt noch schönere Themen als dieses und ich will nicht mein ganzes Leben nur der Terrorexperte sein.

Brink: Dann wird Sie die nächste Frage wahrscheinlich nicht überraschen. Sie sitzen an einem neuen Buch, wir haben Sie gestern erwischt dabei, dass Sie die neuen Fahnen abgesegnet haben und jetzt interessiert uns natürlich schon: wovon handelt das neuen Buch? Nicht von Terrorismus, nehme ich mal an.

Delius: Nein. Es spielt in London 1967 und heißt "Die Minute mit Paul McCartney" und es geht eher um den Angriff des Hundes von Paul McCartney auf meinen Fußball und das ist die ganze Geschichte, die aber in 66 verschiedenen Varianten erzählt wird. Ende August, Anfang September wird es in Deutschland erscheinen.