Ursache und Wirkung von Vorurteilen

Von Jens Brüning |
"Typisch! Klischees von Juden und Anderen" heißt eine Ausstellung im Jüdischen Museum Berlin, die sich um Ursache und Wirkung von Vorurteilen dreht. Die Schau zeigt anhand von 200 Exponaten, wie populärkulturelle Objekte, Nippes und historische Sammlerstücke stereotype Botschaften verbreiten, erklärte Kuratorin Cilly Kugelmann.
Haben sich Vorurteile erst einmal festgesetzt im Kopf, lassen sie sich gut verbreiten und sind dann nur noch mit äußerster Anstrengung aufzuweichen und in das so genannte richtige Denken zu überführen. Diese Anstrengung regen die Ausstellungsmacher mit ihrer Installation im ersten Obergeschoß des Altbaus im Jüdischen Museum Berlin an. Sie stellen Fragen: Wann schlagen verallgemeinernde Zuschreibungen um in Schubladendenken, dumpfe Vorurteile und Ressentiments? Wann werden sie nationalistisch, antisemitisch oder rassistisch? Die Antworten müssen die Besucher selbst finden. Cilly Kugelmann, Programmdirektorin des Jüdischen Museums Berlin, über die Architektur der Ausstellung:

"Wir haben das in 25 so genannten Tryptichen gemacht. Tryptichen, weil das Dreierkonstellationen sind, und es ist ein Prinzip der Ausstellung, was nicht bei jedem Thema dieser fünfundzwanzig Tryptichen so haargenau eingehalten werden konnte, dass wir ein Kunstwerk aus der Hochkultur, das einen Typus präsentiert, der noch nicht Ressentiment-geladen sein muss, gegenüberstellen einem Objekt aus der Trivialkunst, oder der Volkskunst oder aus der massenkulturellen Kunst, auch so Figuren, die man heute noch als Spielzeuge kaufen kann, die diesen Typus sozusagen auf einer anderen Ebene reproduzieren, und das konfrontieren wir mit einem anderen Kunstwerk, das diesen Typus versucht zu ironisieren oder zu desavouieren."

Da wären zum Beispiel die Nasen. 51 sind es, zugehörig den drei Elementen des Tryptichons "Ein jüdisches Profil". Rudolf Belling porträtierte im Jahre 1927 den Berliner Kunsthändler Alfred Flechtheim. Die Bronzefigur besteht zu 70 Prozent aus Nase, jeweils zehn Prozent sind Sockel, Mund und Augen. Flechtheim fand sich gut getroffen. Das Werk war zugleich ein künstlerisches Experiment mit der Kunstgattung der Büste. Gegenüber steht eine Gummifigur, die man drücken kann, damit sie quietscht. Leicht zu erkennen, nicht nur durch die Bücher, auf die der großnasige Glatzkopf seine Hände legt, ist Marcel Reich-Ranicki. Die denunzierende Bildfindung Gerd Bauers verschwand rasch vom Markt.

Das dritte Element des profilierten Klischees ist eine Wand voller Nasenabgüsse. Der amerikanische Künstler Dennis Kardon nahm Gipsabformungen der Nasen von 49 amerikanischen Kulturschaffenden ab und arbeitete sie akribisch genau nach. Er führt damit das Stereotyp der "jüdischen Nase" ad absurdum und erinnert mit der seriellen Anordnung der Abgüsse an die "Rasseforschung" der Nationalsozialisten. Noch mehr Nasen gibt es in einer anderen Abteilung: Eine Abbildung aus dem nationalsozialistischen Schulbuch "Der Giftpilz" von 1938, in dem auf das angeblich Typische von Körperformen hingewiesen wird, eine Sammlung von Spazierstöcken aus Wien, deren Knauf jeweils einen Kopf mit überdimensionierter Nase darstellt, und eine Collage aus den Vorher-Nachher-Bildern einer Nasenkorrektur mit einem Trickfilmausschnitt aus "Cinderella", in dem Aschenbrödel der gläserne Schuh angepasst wird. Das Stereotyp der "jüdischen Rast- und Heimatlosigkeit" wird unter dem Titel "Der wandernde Jude" problematisiert, und hier finden wir als Exponat eine Pflanze, einen immergrünen Bodendecker namens "Wandernder Jude". Karl Albrecht-Weinberger, Direktor des kooperierenden Jüdischen Museums Wien:

"Ari Rath hat das einmal bei einer Eröffnung in Wien gesagt: Das Einzige – natürlich satirisch-ironisch und sarkastisch gemeint –, was wir den Wiener Antisemiten verdanken können, sie haben so gewütet, dass doch ein Großteil der Wiener Juden, aber auch natürlich auch der deutschen Juden sich entschlossen haben, das Land zu verlassen."

Die Ausstellung blickt über den antisemitischen Horizont hinaus: Rassismus, Nationalismus, Ausgrenzung von Minderheiten werden thematisiert und illustriert: Barbiepuppen in allen Kostümen des globalen Dorfes, das von religiösen amerikanischen Fundamentalisten wie der polnischen Regierungsbeauftragten für Kinderangelegenheiten als homosexuell verdächtigte Teletubby Tinky-Winky mit seinem flotten roten Handgelenktäschchen und die Schlussszene aus Billy Wilders "Manche mögen’s heiß", in der der Millionär Osgood seiner designierten Braut Jack Lemon bescheinigt, niemand sei perfekt. Das alles gibt Anlass zum Nachdenken über Klischees und Stereotypen. In einem Medienraum lassen sich eigene Einstellungen an einem interaktiven Computerprogramm überprüfen, und man kann sich die eigenen Toleranzgrenzen sprengen lassen angesichts einer Vielzahl von Fernsehausschnitten, in denen Witze auf Kosten von Minderheiten gerissen werden, manchmal gar mit didaktischem Impetus. Viele der ausgestellten Objekte stammen aus der dem Jüdischen Museum Wien vor 15 Jahren übereigneten Sammlung Martin Schlaff. Sie alle vermitteln ein klischiertes Bild von Juden, einige sind direkt und brutal antisemitisch. Cilly Kugelmann sieht in diesem Teil der Ausstellung ein Desiderat der Kulturforschung.

"Im Grunde ist das eine Objekteproduktion, die es 50 Jahre lang gegeben hat, über die man sehr, sehr wenig weiß. Man weiß weder was genaues über die Produzenten, noch wer diese Objekte gekauft hat. Das geht von Bierhumpen mit antisemitischen Motiven über Figurinen, also besonders die dreidimensionale Produktion ist von der Forschung noch nicht sehr gut recherchiert worden."