Urlaub in der Singakademie

Von Marén Balkow · 19.09.2008
VoiceChoice ist ein außergewöhnlicher Chor, der Chick Corea, The Real Group, die Beatles und Leonard Cohen im Repertoire hat. Die Sänger lernen zu Hause im Selbststudium ihren Part und treffen sich nur vier Mal jährlich zu intensiven Arbeitsproben.
Hammelburg, Kloster ‚Altstadt’. Der Freistaat Bayern hat hier seine Musikakademie eingerichtet – ein Haus zum Wohle aller, die die Muße suchen. Ein schönes Fleckchen Erde, über Weinhängen gelegen: eine barocke Klosteranlage mit modernem Akademieanbau: ein Konzertsaal, Probenräume, einfache Gästezimmer – der perfekte Ort, sich für ein paar Tage zurückzuziehen, unter einem Dach zu wohnen, zu musizieren, zu konzertieren.

Swingtöne wabern an diesen Spätsommertagen durch die Gemäuer des Franziskanerklosters. Die zwanzig Sängerinnen und Sänger der Jazzformation VoiceChoice sind nach Hammelburg gekommen, um gemeinsam in Klausur zu gehen. Präsenzphasen nennen sie das. Denn "präsent" zu sein und zusammen zu kommen ist für den Chor nicht alltäglich. VoiceChoice ist ein Projektchor, der sich nur vier, fünf Mal im Jahr zu solchen Arbeitsphasen trifft.

Annette Wackerhagen: "Das ist ein Freundeskreis für mich. Das hat sogar familiäre Elemente. Das ist tatsächlich so, dass wir das Gefühl hatten, wir kommen nach Hause, wenn wir zu einem Probenwochenende kommen. Das ist wirklich so eine Art freundschaftliche Familie."

Birgit Willenbrock: "Ich find es toll, dass ich hier ankomme, auf ganz andere Leute, aus einem ganz anderen Kreis treffe, auch beruflich. Ne tolle Atmosphäre in immer ganz exquisiter Umgebung, das ist einfach toll."

Julius Zink: "Ja, das ist auch eine tolle Stimmung. Alle drei Monate circa erlebt man ein Stück Familie."

VoiceChoice gibt es seit 2004. Der internationale Arbeitskreis für Musik im niedersächsischen Bramsche Malgarten veranstaltet regelmäßig Workshops für Jazzchor. Es kommen fast immer dieselben Leute. Da lag die Idee nah, aus den leidenschaftlichen Jazzsängern einen A-capella-Chor zu bilden. Die Musiker kommen aus ganz Deutschland, wer mitmachen wollte, wurde zum Casting geladen. Chorleiter Stephan Süß traf die Auswahl:

"Also, Casting ist ja ein böses Wort. Uns ging es nur darum, das ist begrenzt, wir wollen die Stimmen ganz gleichmäßig besetzt haben. Und die Auswahl ist jetzt nicht, wer ist der Beste,"

Die Klanggebung stellt bei jedem Probentreffen den besonderen Kraftakt dar: Schwingen soll es, jazzig sein. Amerikanischer Swing – für jeden deutschen Chor eine Herausforderung. Annette Wackerhagen, Sopranstimme aus Berlin, verrät ihren Trick:

"Das Geheimnis ist: Dass man das ein oder andere so macht, dass es stimmt, aber doch nicht so ganz dem Notenbild entspricht. Wenn wir ein Stück scheinbar improvisieren, dann ist es an und für sich nur für eine Stimme gedacht, wir transportieren das auf vier Stimmen und jetzt ist die Aufgabe, wie schaffen wir das, wie aus einem Mund zu klingen und daran feilen wir jetzt grade mit diesem Text: ‚Daduwadudaduwab duwidudaduwat.’ Und das ist ein bisschen schwierig."

Maren Böll: "Die Stimme funktioniert bei allen gleich. Hier sind die Frasierungen anders und die Gestik ein bisschen anders und die Stimme muss frei bleiben."

Maren Böll, aus Bremen, ist Stimmbildnerin. Den Klang eines Jazzsängers erarbeitet sie im Prinzip nicht anders als im klassischem Gesang. Was es vielleicht braucht, ist etwas mehr Hauch, meint sie, aber auch Kräftigkeit und eine etwas andere Stimmlage. Welchen Sound möchte sie von VoiceChoice hören?

"Oh! Jede Minute einen anderen! Das ist von Stück zu Stück anders. Es entsteht der Klang und man sagt: Oh, das ist jetzt vielleicht ein bisschen typisch VoiceChoice."

Ein bunter Haufen kommt bei VoiceChoice zusammen: Der Jüngste ist 34, der Älteste 55, alle sind berufstätig. Für den Projektchor entschieden sie sich aus ganz unterschiedlichen Gründen:

Dirk Fischer: "Dirk Fischer, 34 und ich bin Pilot. Für mich ist es ein bisschen schwierig, auch was zu finden, weil ich unregelmäßige Arbeitszeiten hab, und deswegen eben nicht regelmäßig jede Woche irgendwo singen kann. Und da ist das hier für hier mich eine gute Alternative."

So geht es auch vielen anderen im Chor. Über die Gesangstechnik hinaus wird das Singen zum Lebenselixier, das Körper, Seele und Geist anspricht. "Und ihr sogar die Therapie spart", Anette Juschka lacht und erzählt: ihre ganze Persönlichkeit profitiert, seit sie auch vor Publikum singt:

"Für mich hat sich wirklich ne Welt eröffnet. Mir persönlich hat das auch sehr weitergeholfen, auch im beruflichen Umfeld sind es viele Dinge, die ich mitnehme von VoiceChoice: von der Bühnenpräsenz, von dem Sprechen, auch ein Stückchen Selbstbewusstsein jedes Mal, was dazukommt, den ich auch mit in den Alltag nehmen kann."

Nach vier Tagen und täglich neun Stunden Proben in Hammelburg steht am Abend ein Konzert auf Schloss "Saaleck". Im umgebauten Pferdestall. Mehr Leute als erwartet sind gekommen, Bänke werden noch hinzugeschoben. Es wird "Domina" gereicht, ein schwerer Rotwein aus der hauseigenen Kellerei. So unkonventionell wie der Konzertort präsentiert sich die Jazzformation dann auch gegenüber dem lokalen Publikum:

"Verehrte Damen von Hammelburg. Verehrte Herren. Ich darf das nächste Lied ankündigen. Jetzt dürfen Sie Ihrer Phantasie ebenso freien Lauf lassen. Sie dürfen sich Frauenbeine vorstellen, hübsch verpackt: ‚Shiny stockings,’ frei übersetzt ‚scharfe Strümpfe’."