Urlaub im Klang

Von Gerhard Richter · 10.07.2009
Sie leben alle in verschiedenen Ländern verstreut, aber zweimal im Jahr treffen sich die Mitglieder des <papaya:link href="http://www.overtonechoir.eu/" text="Europäischen Obertonchors" title="Europäischer Obertonchor" target="_blank" /> zu einer Probenwoche. Ungestört von anderen Dingen üben sie gemeinsam die Technik des Obertonsingens, die man sonst aus der Volksmusik Tibets oder der Mongolei kennt.
Yolaine Dumesnil: "Also das ist zum Teil natürlich so wie Chorprobe, ganz normal, aber dass diese Töne noch dazukommen, das gibt einen ganz besonderen Klang."
Zoe Nellison: "Ich find’ das interessant, dass der Mensch so was kann: So Obertöne! Das hab ich auch vorher nicht gewusst, dass es so was gibt überhaupt. Ich find das auch einfach schön, so was zu hören, ich find´, das hat was Meditatives."

Radka Sindlerova: "Und du kannst viele innere Sachen sehen dabei und viele Gefühle dabei haben."

Antje Will: "Das ist ’ne andre Welt, es wird von früh bis spät gesungen, es sind andere Menschen hier, als man jetzt so auf der Straße trifft."

Ralf Alda: "Die arbeiten an einer Sache, und das find’ ich toll. Das ist unglaublich verbindend."

50 Sängerinnen und Sänger in bequemer Kleidung stehen im Halbrund um einen Flügel. Sie alle beschäftigen sich mit Obertönen. Diese Naturtöne sind in allen Klängen enthalten, nur: Man hört sie normalerweise nicht. Man kann aber so singen, dass man sie hört, erklärt Zoe. Mit zwölf Jahren ist sie die Jüngste im Chor.

Zoe Nellison:
"Ich sag halt einfach nur ju und wie, aber ein bisschen deutlicher halt. Juuuu – wiieeee. So:"
Vor vier Jahren hat sich der Europäische Obertonchor gegründet. Am Rande des Festivals Bohemia Cantat im böhmischen Liberec. Gemeinsam Obertöne zu Singen hat alle sofort fasziniert. Yolaine Dumesnil, Französin, Physikerin, 32 Jahre alt, erinnert sich.

Yolaine Dumesnil: "Die Chorgründung das war sehr intensiv, also wir haben richtig lange gemacht und das war eine total schöne Stimmung - ganz viele Leute aus unterschiedlichen Ländern - jeder bringt was mit. Das war sehr schön."

Seitdem treffen sie sich zweimal im Jahr jeweils für eine Woche. Schweizer, Tschechen, Slowaken, Italiener, Deutsche. Gaukler, Polizisten, Therapeuten. Antje kommt aus Augsburg, dort singt die Biologin in zwei Kirchenchören mit.

Antje Will: "Es gibt einen ganz großen Unterschied. Hier wird viel mehr auf Ton-Reinheit geachtet. Man lernt vor allem sehr viel besser hören. Das ist ne gewisse Gehirnleistung die man erstmal erbringen muss, und da ist es am besten, man hört’s erst mal von Profis, da weiß schneller, was man hören möchte. Dann wird das Gehör geschult, und das hat ’ne Eigendynamik, da kann man nicht mehr mit aufhören."

Einer der weltweit besten Oberton-Sänger und Gründer des Chores ist Wolfgang Saus. Er singt selbst mit, und gibt seine Tricks an die anderen weiter. Übrigens fast immer auf englisch, was alle verstehen.

Probe: "”Say this: i ö ü (alle i ö ü) ou. Now tip of your tongue up.”"

Wolfgang Saus: "Viele von denen lernen das Obertonsingen neu und die meisten lernen das Chorsingen ganz neu. Es gibt auch einige, die gar keine Notenlesen können. Und ja, das müssen wir systematisch aufbauen. Das ist so ein bisschen Pionierarbeit."

Saus: "Darker, a little bit darker."

Gemeinsames Frühstück, gemeinsames Mittagessen, gemeinsames Abendbrot. Eine Woche lang. Probe so oft wie möglich. Immer mit Steffen Schreyer, 41 Jahre alt und Professor für Chorleitung. Er arbeitet mit den Sängerinnen und Sängern am Repertoire: Gospels, Volkslieder und speziell für Obertonchor geschriebene Kompositionen.

Schreyer: "Und da gibt’s noch wenige. Wir sind aber dabei Komponisten anzusprechen, die dann eben für uns, speziell für diesen Chor Werke schreiben, damit das zum einen initiiert wird, dass noch mehr geschrieben wird, dass man das auch mal hören kann, draußen, und zum anderen, um die Qualität zu verbessern."

Steffen Schreyer/Chor:
"”Sing Moon, tutti Moon, it sounds like Kuh. Lachen.""

Steffen Schreyer: "Ich bin nicht zufrieden, wenn es pünktlich vielleicht ist und wenn die Töne alle richtig sind, sondern die Musik entsteht erst durch die Perfektion der Technik. Und da bin ich ein Verfechter, und da geb’ ich auch nicht auf. Aber dann gibt es solche Momente und dann bin ich wahnsinnig glücklich."

Sechs Stunden Probenarbeit täglich, daneben noch Workshops zum Obertonsingen. Eine Woche voller Klang.

Radka Sindlerova: "Es ist Urlaub, aber Urlaub ist in dem Gesang. Wir erholen uns durch den Gesang."

Antje Will: "Also nach einem Oberton-Workshop kann man selten am nächsten früh mit der normalen Berufstätigkeit so einfach wieder anfangen, als wenn nichts gewesen wäre. Man hört anders, man hört auch auf viele Dinge anders hin. Also selbst Rasenmäher haben plötzlich Obertöne, die man vorher nie gehört hat als Amateur."


Immer mehr Menschen in Deutschland singen im Chor. In Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft deutscher Chorverbände (ADC) stellt Deutschlandradio Kultur jeden Freitag um 10:50 Uhr im Profil Laienchöre aus der ganzen Republik vor: Im "Chor der Woche" sollen nicht die großen, bekannten Chöre im Vordergrund stehen, sondern die Vielfalt der "normalen" Chöre in allen Teilen unseres Landes: mit Sängern und Sängerinnen jeden Alters, mit allen Variationen des Repertoires, ob geistlich oder weltlich, ob klassisch oder Pop, Gospel oder Jazz und in jeder Formation und Größe.