Urbanisierung

Bauer sucht Stadt

Junge Chinesen bei einem Musikfestival in Peking
Vor allem junge Chinesen zieht es in die Städte © picture-alliance/ dpa / epa Michael Reynolds
Von Markus Rimmele  · 03.07.2014
1989 lebte nur jeder vierte Chinese in der Stadt. Heute ist es jeder Zweite. Chongqing im Westen ist eine der am schnellsten wachsenden Metropolen Chinas - und zieht vor allem junge Menschen an.
Ein Zug ist angekommen. Hunderte strömen in die Bahnhofshalle. Ein junger hoch gewachsener Mann mit geschulterter Tasche drängt vorbei. Eilig, mit offenem Gesicht. Ob er kurz Zeit hat für ein Interview?
Klar, sagt er, wenn’s nicht zu lange dauert. Er heiße Deng Changchun, komme gerade zurück aus seinem Heimatdorf in der Provinz Sichuan, ein paar hundert Kilometer entfernt. Dort habe er die Eltern besucht. Jetzt, sagt er, sei er heilfroh, wieder da zu sein, in der Stadt, in Chongqing.
"Es gibt welche, die sind gern Bauern. Für andere ist es ok, wenn sie Wanderarbeiter sind. Leute wie ich aber, wir denken anders. Wir wollen Chefs sein. Uns reicht es nicht, uns nur irgendwie durchs Leben zu schlagen."
Für die Karriere in die Stadt
Wer Chef sein will, sagt Deng Changchun, der muss in die Stadt, das ist doch klar.
Deng Changchun ist 24 Jahre alt. Ein Ehrgeiziger. In der Schule habe er gelernt wie ein Verrückter, erzählt er. Als einer der ganz wenigen aus dem kleinen Dorf schaffte er es auf eine Uni. Bauingenieurswesen. Jetzt will er eine Firma gründen, hier in Chongqing, tief im Westen Chinas, am Jangtse, 500 Kilometer hinterm Drei-Schluchten-Staudamm.
Chongqing. An die neun Millionen Menschen leben hier. Die genaue Zahl ist unklar wegen der vielen Wanderarbeiter, die kaum erfasst sind. Am Ende des Jahrzehnts, so der Regierungsplan, soll Chongqing schon 12 Millionen Einwohner haben. Hier im Westen kam Chinas Boom mit Verspätung an. Hier flaut er auch später ab. Das Wirtschaftswachstum ist noch immer zweistellig. Baustellen, wohin man schaut. Die Innenstadt auf einer Halbinsel im Fluss erinnert an Manhattan mit all den Wolkenkratzern. Wälder aus 30-stöckigen Wohntürmen bedecken die umliegenden Hügel, verlieren sich in der Ferne, im Smog. Dieses Jahr allein baut die Stadt fast 200.000 neue Wohnungen. Deng Changchun möchte sich in diesem Moloch ein Leben aufbauen.
"Junge Leute können sich nur in den Städten entwickeln. Die meisten Jungen mit Unternehmergeist kommen in die Stadt. Kaum einer schafft es auf dem Land. In den Städten gibt es Dienstleistungen, gute Krankenhäuser, einfach alles. Die bieten so viel mehr. Auf dem Land – da gibt‘s doch nur Äcker und Landarbeit."
Deng Changchun ist verheiratet. Seine Frau lebt noch bei ihren Eltern in der Provinz. Er will sie herholen, eine Wohnung kaufen, ein Kind bekommen. Dann sollen auch seine Eltern nachziehen. Am Ende wird die ganze Familie in der Stadt leben.
Jeder zweite Chinese lebt in der Stadt
Chinas Urbanisierung: Zur Zeit der Studentenproteste von 1989 lebte einer von vier Chinesen in einer Stadt. Heute ist es schon jeder zweite. Bis 2020 sollen weitere 90 Millionen in die Metropolen ziehen, mehr als die gesamte deutsche Bevölkerung. Und noch eine Zahl: 60 Prozent aller Aufzüge der Welt werden derzeit in China eingebaut. Chinas Metropolen reißen ab, bauen auf, wuchern, sind nicht mehr wiederzuerkennen. Ebenso die Menschen, die vom Land hierher ziehen. Deng Changchun ist modisch. Eine coole schwarze Hornbrille dominiert das Gesicht. Jeans, T-Shirt, Turnschuhe.
"Ich kam ja auch mal vom Land, sagt er. Da haben die Leute einen ganz anderen Kleidungsstil. Wenn ich Bilder von mir von früher sehe, lache ich mich tot. In der Stadt sieht man so viele Leute. Irgendwann kopiert man die anderen. Man lernt, wie man sich gut anzieht, welche Farben zueinander passen und so. Ich gucke, wie ich so ankomme und danach richte ich meinen Stil aus."
Genug geredet. Deng Changchun muss weiter.
"Das Leben kostet Geld. Um Geld zu machen, muss man in der Stadt sein."
Sagt er noch, schultert seine Tasche und verschwindet in den dampfenden Straßenschluchten von Chongqing.
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