Urbanes Theater

Durch eine andere Stadt

Ein Schiff fährt am 06.08.2014 auf dem Main in Frankfurt am milliardenteuren Neubau der Europäischen Zentralbank vorbei.
Der Neubau der EZB in Frankfurt am Main. Ganz in der Nähe gibt es einen großen leeren Bauplatz mit neun Laternen im Kreis - eine Intervention im Rahmen des Projekts "Evakuieren". © Boris Roessler, dpa picture-alliance
Von Rudolf Schmitz · 13.09.2014
Wer glaubt, in Frankfurt am Main jede Ecke zu kennen, sollte beim Projekt "Evakuieren" mitmachen. Der japanische Theatermacher Akira Takayama hat vier Touren entworfen, die an versteckte Orte führen.
Elf Fragen sind zu beantworten. Auf der Website "evacuation.jp/frankfurt/". Ob ich schon einmal ziellos Zug gefahren bin? Ja! Ob ich lieber in die Vergangenheit oder Zukunft reisen würde? Zukunft! Würde ich Fukushima besuchen? Nein! Ohne zu zögern empfiehlt mir die Website die geeignete Evakuierungstour. Eine von vieren. Meine heißt "Tour B". Dreizehn Stationen, die mir "neue Schutzräume" eröffnen sollen, in denen ich "dem Alltag entfliehen kann", wo ich "individuelle Rettungsalternativen" finde. Jetzt nur noch den Plan ausdrucken, und los geht’s. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln, S-Bahn, Straßenbahn, Regionalzug.
Meine erste Station ist das Frankfurter Ostend, Industriegebiet. Ziemlich dort, wo das Gebäude der neuen Europäischen Zentralbank in den Himmel ragt. Ganz in der Nähe gibt es einen riesigen leeren Bauplatz. Dort stehen jetzt neun Laternen in einem Kreis und bilden einen leicht gespenstischen Versammlungsort. Eine Intervention des brasilianischen Künstlers und Bühnenbildners Nuno Ramos.
"It's a kind of lantern that we bring life again to dead places, potential places we never look at."
Platz für Widersprüche im öffentlichen Raum
Mit seinem Laternenkreis will er tote Plätze, Orte, die wir übersehen, zum Leben erwecken. Abends wird er dort sein, die Laternen anschalten, auf Besucher warten und schauen, was passiert: tanzen, trinken, quatschen, verlegenes Rumstehen, wer weiß?
"Nowadays the public spaces are very directive. Everyone knows everything about a public space. So this is kind of a question, we have to find some paradox here, we can't use it as a plaza."
Heutzutage seien alle öffentlichen Plätze so durchdefiniert, sagt er. Und deshalb stelle dieser Ort hier eine paradoxe Frage: Was soll hier geschehen? Was kann das werden?
Eine schöne, absurde Idee, finde ich. Und mach mich wieder auf den Weg.
Ein Mönch erzählt von seiner Flucht
Noch ein paar Stationen, dann bin ich am buddhistischen Kloster Phat Hue. Direkt an der tosenden Hanauer Landstraße, kaum zu glauben, sieht aus wie ein China-Restaurant. Dort, so sagt mein Plan, bekomme ich den Schlüssel für ein Gartenhaus. Dazu eine Wegbeschreibung zu einer nahegelegenen Schrebergartenanlage. Ziel ist ein Gartenhaus.
Das Gartenhaus ist leer geräumt, aus dem Kamin dringt eine Stimme. Ein Mönch des grade besuchten Klosters erzählt seine Lebensgeschichte. Er ist als einer der vietnamesischen Boat-People nach Deutschland gekommen.
"Wenn Boot und Boot auf dem Meer zusammenkommen, dann prallen sie zusammen, Menschen fallen runter, werden zerquetscht, sind gestorben. Bis man ans Boot gekommen ist, da sind schon einige Menschen gestorben"
Die Möglichkeiten des Theaters erweitern
Diese Geschichte einer Flucht, erzählt in einem Gartenhaus, ist eine Idee von Akira Takayama. Der japanische Theatermacher, der mit gut 100 Mitarbeitern die gesamte Aktion "Evakuierung" vorbereitet hat, versteht solche Erfahrungen und Erlebnisse als "urbanes Theater". Um die Rhein-Main-Region, Städte wie Frankfurt, Hanau, Rüsselheim oder Mainz, neu zu erfahren, um kleine Fluchten aus dem Alltag zu inszenieren.
"Mein Ansatz ist: soviel wie möglich von Theaterelementen herauszunehmen, also das Theatralische, und dadurch die Möglichkeiten des Theaters zu erweitern."
In Tokio, so sagt er noch, sei es derzeit unmöglich, ein solches Projekt zu realisieren. Denn angesichts der vielen Flüchtlinge und Evakuierten von Fukushima würde das zynisch wirken.
"Das Projekt ist für die Einwohner von Frankfurt gemacht, aber wir haben dabei immer an die Menschen in Fukushima gedacht“.
Lust auf mehr
In einem nahe gelegenen Baumarkt zeigt Akira Takayama in einer der ausgestellten Blockhütten dann auch einen Dokumentarfilm über die evakuierten Bewohner der Fukushima-Region.
"Evakuieren" – das Kunst-Theater-Stadtführung-Flashmob-Recherche-Projekt hat mich an Orte geführt, wo ich nie war. Ich habe mich gewundert, über Absurdes gefreut und seltsame Begegnungen gehabt. Und: Ich will mehr davon.
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