Urbane Ansichten des Ostens

Von Volkhard App |
Für die einen ist es nur die betonierte Tristesse einer gestrandeten Utopie, für andere ein Stück Heimat: Mit seiner Fotoserie von Plattenbauten und Kulturpalästen des ehemaligen Ostens bewahrt der Fotograf Roman Bezjaks die Ansichten der sozialistischen Moderne für das kollektive Bildgedächtnis.
Es sind innere Widerstände zu überwinden, wenn man sich diesen Motiven nähert, denn trotz gelegentlicher Farbakzente wirken sie reichlich grau, diese Nachkriegsbauten, die Roman Bezjak zwischen 2005 und 2010 auf seinen Reisen zwischen Albanien und Estland, zwischen der Slowakei und Russland abgelichtet hat.

Impressionen sind es aus Halle, Tirana und Minsk, aus Warschau, Tallinn und Bratislava. Der große politische Anspruch von einst in betonierter Tristesse, die gestrandete Utopie in Gestalt sanierungsbedürftiger Überbleibsel: ob es nun repräsentative Bauten sind - Kulturzentren, Kaufhäuser, Universitäten und Ministerien - oder Wohnblocks am Rande, bei denen die moderne, industrielle Bauweise mit ihren vorgefertigten Teilen kaum Varianten zugelassen hat: ein paar Ornamente oder Balkons, die in ihren Farbtönen minimal changieren, wirken da bereits pittoresk.

Roman Bezjak, dieser Bild-Archäologe in den politisch implodierten Staaten, wurde 1962 in Jugoslawien geboren und wuchs in Deutschland auf:

"Ich habe mir überlegt, was hält die Jugoslawen, die ja in dem verheerenden Krieg in Einzelvölker auseinandergebrochen sind, heute noch zusammen? Und ich bin schnell darauf gekommen, dass es die Geschichte ist, die sich eben auch in den Gebäuden der 1960er und 70er-Jahren veranschaulichen lässt. Es war eine Zeit der Blüte in dem Staat Jugoslawien, aber auch in der ganzen sozialistischen Welt - und von dieser Zeit wollte ich in meinen Bildern berichten, und über die Ankunft dieser utopischen Ideale in der Gegenwart.” "

Bereits in den neunziger Jahren wurde er von deutschen Magazinen auf Reisen geschickt, um die östliche Hinterlassenschaft und den Umbruch einzufangen. Als er in Bielefeld längst Professor war und Dokumentarfotografie lehrte, hat er diese Motive dann zu einem persönlichen Langzeitprojekt ausgebaut.

In einem Katalogtext wird mit Blick auf diese 76 Bilder umfassende Serie von einer "Rehabilitierung” dieser architektonischen Nachkriegsmoderne gesprochen, die international in Verruf geraten ist:

""'Rehabilitierung' würde zu weit gehen, aber mich haben diese Gebäude immer schon fasziniert und ich konnte sie damals als Magazinfotograf gar nicht so ins Bild fassen, weil diese Gebäude sicherlich nicht an einem breiteren Konsens ausgerichtet sind. Was mich an ihnen fasziniert, ist ihre Eigenart an der Grenze zur Hässlichkeit, mit einem überschießenden Potenzial zur Schönheit. Diese Ambivalenz hat mich gereizt.”"

Anders als mancher Kollege hat ihn aber nie das Schrille oder sonst wie Spektakuläre interessiert, sondern das Alltägliche, eher Unauffällige, das er mit größtmöglicher Sachlichkeit, ohne raffinierte Blickwinkel oder andere künstlerische Überformung ins Bild gesetzt hat:

""Für mich war klar, dass ich im dokumentarischen Stil arbeiten werde und die Wirklichkeit für sich selbst sprechen lasse. Das knüpft ein wenig an die Philosophie der 'autorenlosen Fotografie' an: Also der Gegenstand spricht für sich und der Autor hält sich mit seiner Kommentierung zurück. Selbstverständlich bleibt bei allem, was man tut, eine Autorenschaft nicht aus - und ich denke, dass in der Bildserie durchaus meine empathische Haltung zu diesen Architekturensembles ablesbar ist."

"Archäologie einer Zeit” ist diese Ausstellung überschrieben, von einer "sozialistischen Moderne” ist verallgemeinernd die Rede. So wird die stilistische "Einheitlichkeit” festgeschrieben.

Eine knapp drei Dutzend Fotos präsentierende Schau, bei der es nicht nur um stereotype Bauweisen geht, sondern auch um die Ost-West-Stereotype im eigenen Kopf. Wenn man die Bilder mehrfach sieht, lernt man zu differenzieren. Momente von Individualität fallen nun auf: in St. Petersburg ist es ein Haus auf Betonstelzen, und in Tiflis liegen die Etagen des Ministeriums für Straßenbau in rechtwinklig verschobenen Riegeln übereinander, als wollte das Gebäude in alle Himmelsrichtungen ausgreifen. Der triste Gesamteindruck aber verschwindet nicht ganz.

Für die Menschen, die in diesen Ländern leben, sind diese Straßen, Plätze und Wohnblocks zur Heimat geworden.

Einige dieser Motive, die Bezjak aufgenommen hat, existieren schon nicht mehr. Der expandierende Westen hat sich mit seinen architektonischen Bedürfnissen darüber hinweggesetzt. Roman Bezjak hat die urbanen Ansichten des Ostens für das kollektive Bildergedächtnis gerettet. Kuratorin Inka Schube sieht diesen engagierten Fotografen als Vorbild:

""Was ich daran so wunderbar finde und was ich kommunikativ nutzen möchte, um andere Fotografen zu ermutigen, ist, sich solchen Langzeitprojekten wirklich zu stellen. Man realisiert normalerweise ein Projekt innerhalb von zwei Wochen, in einem Monat oder in zweien, aber Fotografie gewinnt ihren besonderen Reiz, indem man an Themen wirklich dranbleibt und auch diesen 'latenten' Bildern folgt, die man dann über etliche Jahre entwickeln kann.” "

Service:
Die Ausstellung Roman Bezjak. Archäologie einer Zeit: Sozialistische Moderne ist bis zum 16.0ktober 2011 im Sprengel Museum Hannover zu sehen.