Uraufführung von Schuberts "Unvollendeter"

Eine späte Wiedergutmachung

Der österreichische Musiker und Komponist Franz Schubert (1797 – 1828) in einer undatierten zeitgenössischen Darstellung
Der österreichische Musiker und Komponist Franz Schubert (1797 – 1828) in einer undatierten zeitgenössischen Darstellung © picture-alliance / dpa
Von Michael Stegemann · 17.12.2015
Acht Sinfonien schrieb Franz Schubert, die letzte davon war "Die Unvollendete". Ob sie wirklich unvollendet blieb, weiß man bis heute nicht. Aber wie die anderen sieben musste sie lange auf eine öffentliche Aufführung warten. Erst 37 Jahre nach Schuberts Tod wurde sie in Wien uraufgeführt.
Ob Franz Schuberts "Unvollendete" wirklich unvollendet war, weiß man bis heute nicht. Jedenfalls war es die letzte seiner acht Sinfonien, und wie alle anderen musste sie lange darauf warten, öffentlich gespielt zu werden: Erst am 17. Dezember 1865 - 37 Jahre nach Schuberts Tod und heute vor 150 Jahren - dirigierte Johann Herbeck in Wien die Uraufführung.
"Sinfonia in h-Moll von Franz Schubert manu propria."
Die früheste offizielle Spur dieser Sinfonie findet sich 1865 - 37 Jahre nach dem Tod des Komponisten - in der ersten Schubert-Biografie von Heinrich Kreißle:
"Eine Sinfonie für Orchester in h-Moll, welche Schubert [...] Anselm Hüttenbrenner, in dem Zustand, in welchem sie sich eben befand, nämlich halbvollendet, übergab. Nach einer Mitteilung [...] ist nämlich der erste und zweite Satz vollständig komponiert und der Dritte, Scherzo, zum Teil. Das Fragment [...] soll – namentlich der erste Satz – von hoher Schönheit sein."
Anselm Hüttenbrenner war seinerzeit Vorstand des Steiermärkischen Musikvereins in Graz, der Schubert 1823 zum auswärtigen Ehrenmitglied ernannt hatte; die unvollendete Sinfonie, so Kreißle, sei Schuberts Dank für die Ehrung gewesen - was heute eher angezweifelt wird. Zweifelhaft ist auch, ob Schubert die Sinfonie wirklich nicht vollendet hat. Zum einen passt das kalligrafisch gestaltete Titelblatt der Partitur-Reinschrift eher zu einem fertigen Werk; zum anderen beginnt auf dem Verso - der Rückseite - des letzten Blatts des zweiten Satzes der dritte Satz - das Scherzo -, zu dem eine Skizze Schuberts sogar bis zum Mittelteil reicht.
Wurde das Manuskript der Sinfonie auseinandergerissen?
Könnte es sein, dass Anselm Hüttenbrenner das Manuskript der vollendeten Sinfonie einfach auseinandergerissen und den zweiten Teil - wann und wem auch immer - weiter geschenkt hat? Auch diese These gibt es - ebenso wie eine andere, nach der ein (gleichfalls in h-Moll stehender) Entre'acte aus Schuberts Bühnenmusik zu Rosamunde ursprünglich das Finale der Symphonie war.
Rätsel und Fragen, die sich vermutlich nie werden lösen und beantworten lassen. Jedenfalls war es wohl der Hinweis in Kreißles Biografie, durch den der Wiener Vizehofkapellmeister Johann von Herbeck dem Werk auf die Spur kam: Er besuchte Hüttenbrenner in Graz, fand bei ihm tatsächlich die Partitur jener "Unvollendeten" und dirigierte ihre Uraufführung am 17. Dezember 1865 in einem Konzert des Wiener Musikvereins.
"Wie reich muss der Mann gewesen sein, nach dessen Tode man fort und fort bald in einem unscheinbaren Winkel seines Hauses, bald bei seinen Freunden Goldbarren und Kleinodien verstreut findet, die der Lebende im Bewusstsein seines ungeheuern Vermögens gar nicht gehütet. [...] Wir wüssten keinen zweiten Tonsetzer, der uns gewissermaßen aus dem Grabe heraus, durch die wunderbarsten Tonblumen, die über seinem Hügel sprossen, zu immer neuer Bewunderung hinreiße!"
Die Anerkennung als Instrumentalkomponist blieb Schubert zu Lebzeiten versagt
Freilich, für Schubert kam die staunende Begeisterung der Wiener Zeitung zu spät: Zeit seines kurzen, nur 31-jährigen Lebens hatte er als Instrumentalkomponist im Schatten Beethovens gestanden, und keine seiner sieben vollendeten Sinfonien - die in h-Moll und fünf mehr oder weniger weit gediehene Fragmente nicht mitgezählt - war zu seinen Lebzeiten öffentlich gespielt worden. Herbecks Uraufführung der "Unvollendeten" war eine längst fällige Wiedergutmachung.
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