Uraufführung "Schuberts Reise nach Atzenbrugg"

Einsamkeit durch Vergötterung

Ein Mann sitzt zerknirscht auf dem Boden, vor Blättern und einer Flasche Wein - im Bühnenlicht wird der Nebel um die Figur sichtbar, die ihn wie in eine Wolke vor scharzem, leeren Hintergrund hüllt.
Schubert in großer Einsamkeit: in der Inszenierung im Theater am Gärtnerplatz in München. © Theater am Gärtnerplatz, München / Christian POGO Zach
Moderation: Stefan Lang · 15.05.2021
Die Oper "Schuberts Reise nach Atzenbrugg" ist ein Münchner Auftragswerk von Johanna Doderer, die den berühmten Kollegen als einsamen Menschen inmitten seiner Freunde zeigt: Sie vergöttern ihn so, dass sie ihn als Menschen und als Mann nicht mehr wahrnehmen.
Es ist die Tragik eines doppelten Missverständnisses, das Schubert ein Leben lang begleitet: Der Mann, der in seiner Musik jede noch so zarte Gefühlsnuance auszudrücken weiß, kann sich nicht der Liebsten mit Worten erklären. Selbstzweifel hemmen ihn und lassen ihn die Botschaft nicht verbal aussprechen.
Für die ihn umgebenden Freunde und Freundinnen ist Schubert ein Genie, ein musikalischer Gott. Als Mann und Mensch wird er von ihnen vor lauter Ehrfurcht nicht wahrgenommen, denn er scheint unerreichbar. Und Schubert empfindet sich dadurch als noch unzulänglicher, zieht sich immer mehr zurück in sein "Musik-Schneckenhaus".

Blick in das echte Leben

Die österreichische Komponistin Johanna Doderer hat sich intensiv mit dem Leben und dem Widerhall Schuberts bei seinen Freunden beschäftigt. Zeugnisse gibt es in großer Zahl.
Eine Bleistifzeichnung zeigt eine Mengel Leute, Frauen wie Männer, die dicht gedrängt um einen Flügel sitzen und einem Sänger zuhören, der von Franz Schubert begleitet wird. Sein Kopf ist der Mittelpunkt des Bildes.
Franz Schubert am Klavier inmitten seiner Freunde, gezeichnet vom Breun Moritz von Schwind (1804-1871).© IMAGO / Leemage
Inspiriert von einer echten Reise, einer Landpartie nach Atzenbrugg, zeigt sie Schubert in seinem großen, tragischen Lebenskonflikt.
Das österreichische Biedermeier war eine bedrückende Zeit: Kriegskrüppel auf den Straßen, Menschen vegetieren in Dreck und Armut, so schreibt Peter Turrini, der Librettist in einem Kommentar zur Oper. Die Girlanden wollte er also von jenen Abgründen wegziehen, die sie so verzierungsreich überdecken.
In den 100 Opernminuten bleibt die Reisegesellschaft immer sichtbar. Das sind: der Sänger Johann Michael Vogl, der Librettist Franz von Tassie, Franz Schubert selbst, die Cellistin Caroline Helmer, der Maler Leopold Kupelwieser, auch Nepomuk Feder, Musikalienhändler, die Kunstpfeiferin Louse Lautner und Josepha von Weisborn – in die Schubert verliebt ist. Und auch Dorothea Tumpel, Tochter eines Wurstmachers stößt dazu – mit prall gefülltem Proviantkorb.
Schubert vermag es nicht, Josepha seine Gefühle zu offenbaren. Er spielt auf dem fest auf dem Wagen installiertem Reiseklavier. Kupelwieser soll schließlich helfen, denn der andere Franz flirtet mit Josepha. Bei einer Rast wird gegessen und gesungen, doch Schubert kommt nicht zum Zug. Da gerät er in einen Tagtraum, bei dem er Josepha aus der Bedrängnis von Wegelagerern rettet.
Schließlich bringt Kupelwieser das Paar zu einem gemeinsamen Gespräch, doch sie sprechen nur über Beethoven. Erneut gerät Schubert in einen Tagtraum, bei dem sein Vater auftritt, der ihn tyrannisiert. Doch Schubert kann ihn überwinden und heiratet Josepha: Ende der Vision.
Schubert plagen die Nebenwirkungen der Quecksilber-Syphilis-Behandlung: Er ahnt die geistige Zerstörung. Zudem kippt die Stimmung in der Runde: Missverständnisse machen sich breit. Man spricht und fühlt sich unsicher. Überall lauert Metternichsche Spitzelwirtschaft.
Ein Mann, der vor tanzenden Menschen steht, versucht vehement, sich von seiner Wut nicht übermann zu lassen.
Franz Schubert (Daniel Prohaska) drängen sich oft Wahnvorstellungen auf, obwohl er gerade mitten im Trubel seiner Freunde steht.© Theater am Gärtnerplatz, München / Christian POGO Zach
In Atzenburgg wird in der "Flotten Forelle" gefeiert, Schubert spielt auf zum Tanz. Die Stimmung steigt, doch Schubert kann auch jetzt Josepha nicht seine Liebe verkünden. Peinliche Stille. Die bricht der andere Franz, erklärt und erklärt: Er und Josepha haben sich soeben verlobt. Daraufhin bricht ein Gewitter los, vor dem alle flüchten. Nur Schubert bleibt, will nichts mehr von den anderen wissen. Er bleibt allein mit sich, mit seiner Musik.
Theater am Gärtnerplatz, München
Aufzeichnung vom 07.05.2021

Johanna Doderer
"Schuberts Reise nach Atzenbrugg"
Libretto: Peter Turrini

Franz Schubert – Daniel Prohaska,Tenor
Josepha von Weisborn – Mária Celeng, Sopran
Franz von Tassié – Alexandros Tsilogiannis, Tenor
Leopold Kupelwieser – Mathias Hausmann, Bariton
Caroline Helmer – Anna-Katharina Tonauer, Mezzosopran
Nepomuk Feder – Daniel Gutmann, Bariton
Johann Michael Vogl – Timos Sirlantzis, Bassbariton
Louise Lautner – Andreja Zidaric, Sopran
Dorothea Tumpel – Florine Schnitzel
Theoror Schubert, Vater von Franz – Holger Ohlmann, Bass
Kutscher – Johannes Thumser

Chor und Kinderchor des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Orchester des Staatstheaters am Gärtnerplatz
Leitung: Michael Brandstätter

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