Uraufführung in Hannover

Lebensbuch "Macht und Widerstand" kommt auf die Bühne

Porträt des des Schriftstellers Ilija Trojanow
Der Schriftstellers Ilija Trojanow arbeitete 20 Jahre an seinem Lebensbuch, das jetzt auch zum Theaterstück wird © picture alliance / dpa/ Christian Charisius
Ilija Trojanow im Gespräch mit Dieter Kassel · 15.12.2016
Bühnenfassungen von Romanen gehen ihre eigenen Wege, findet der Schriftsteller Ilija Trojanow. Sein Lebensbuch "Macht und Widerstand" erlebt am Schauspiel Hannover nun seine Uraufführung unter der Regie von Dusan David Parizek.
"Jeder gute Regisseur bringt seine eigene Weltsicht und seine eigenen Erfahrungen mit hinein", sagte der Schriftsteller Ilija Trojanow im Deutschlandradio Kultur vor der Uraufführung seines Romans "Macht und Widerstand" am Schauspiel Hannover. "Das ist das interessante an der Theaterfassung. Man kann sich natürlich die Frage stellen, wieso werden jetzt so viele Romane überhaupt auf die Bühne gebracht." Eine der Rechtfertigungen dafür sei, dass die Theaterfassung eigene Wege gehe. "Ein möglichst nahe am Roman abgespultes Bühnenprogramm wäre eher eine vertane Chance."

Das Leben des Vaters

Der Regisseur Dusan David Parizek habe ein gutes Argument gehabt, um Trojanow zu überzeugen. "Er hat mir von seinem Vater erzählt, der wohl ein bekannter Theatermann in Tschechien war und der dann nach dem Prager Frühling aufgrund seiner klaren Haltung einer von jenen vielen Intellektuellen war, die dann eine Art Berufsverbot hatten", sagte der Autor. Dies habe dessen restliches Leben bestimmt, wenn nicht sogar ruiniert. Parizek habe dieses Schicksal des Vaters als Sohn hautnah miterlebt und sich durch den Roman an die eigene Familiengeschichte erinnert gefühlt.

Politischer Wandel

Trojanow hatte fast 20 Jahre für seinen Roman recherchiert, den er sein Lebensbuch nennt. Er beschreibt darin den politischen Umbruch von einem totalitären Regime in eine Demokratie und wie sich Opfer und Profiteure des früheren Regimes nach der Zeitenwende begegnen. Der Autor führte dafür Gespräche mit Zeitzeugen und zog Originaldokumente hinzu.
In der Bühnenfassung von "Macht und Widerstand" werden alle wichtigen Figuren des Romans nur durch drei Schauspieler und eine Schauspielerin verkörpert, unter anderem vom dem aus Film und Fernsehen bekannten Schauspieler Samuel Finzi, der ebenso wie Trojanow aus Bulgarien stammt.

Das Interview im Wortlaut:

Dieter Kassel: Im August des letzten Jahres erschien Ilija Trojanows Roman "Macht und Widerstand", sein Lebensbuch, wie er selber sagt. Er begleitet darin zwei Männer, Konstantin, den Widerstandskämpfer, und Metodi, den Apparatschik, durch ungefähr 50 Jahre – zunächst durchs kommunistische und anschließend auch noch das postkommunistische Bulgarien. Heute Abend feiert die Bühnenfassung dieses Romans ihre Premiere in Hannover. Trojanow wird hinfahren, ich habe gestern Nachmittag deshalb schon mit ihm geredet, da hat er mir verraten, dass er aber ohne irgendwas zu wissen hinfährt, er kennt das Stück gar nicht. Und ich habe ihn gefragt, warum das so ist!
Ilija Trojanow: Na ja, zum einen lebe ich in Wien und die Premiere ist ja in Hannover, obwohl es zusammen mit dem Deutschen Theater Berlin erarbeitet wird. Zudem ist meine Erfahrung auch so, dass man sich besser nicht einmischt als Autor, denn der Regisseur und der Dramaturg haben ja eigene Vorstellungen und die sollen sie auch erst mal ausführen.
Kassel: Waren Sie denn überhaupt nicht neugierig?
Trojanow: Doch, ich bin sehr neugierig auf die morgige Premiere, ich freue mich schon richtig.
Kassel: Als der Regisseur Dusan David Parizek Sie gefragt hat, ob er Ihren Roman auf die Bühne bringen darf, haben Sie da unmittelbar zugestimmt, sofort?
Trojanow: Er hatte ein sehr gutes Argument. Er hat mir von seinem Vater erzählt, der wohl ein bekannter Theatermann in Tschechien war und der dann nach dem Prager Frühling aufgrund seiner klaren Haltung einer von jenen fehlenden Intellektuellen war, die dann eine Art Berufsverbot hatten. Das hat dann aufgrund seiner Unerbittlichkeit tatsächlich sein restliches Leben bestimmt, man könnte vielleicht sogar sagen ruiniert. Und er hat das als Sohn hautnah miterlebt und er hat sich dann durch meinen Roman auch tatsächlich in die eigene Familiengeschichte zurückversetzt gefühlt.
Kassel: Das heißt, Sie erwarten jetzt vielleicht eine Mischung aus dem, was Sie recherchiert und aufgeschrieben haben, und den Familienerfahrungen des Regisseurs?
Trojanow: Ich glaube, dass jeder gute Regisseur natürlich seine eigene Weltsicht und seine eigenen Erfahrungen mit hineinbringt. Das ist auch das Interessante an einer Theaterfassung: Man kann sich natürlich die Frage stellen, wieso werden jetzt so viele Romane überhaupt auf die Bühne gebracht. Eine der glaube ich Rechtfertigungen dafür ist gerade, dass die Theaterfassung eigene Wege geht. Also, ein möglichst nahe am Roman abgespultes Bühnenprogramm wäre ja dann eher eine vertane Chance.

Zeitgeschichtliches Panorama

Kassel: Sie haben 20 Jahre recherchiert für diesen Roman. Sie haben sich doch sicherlich immer wieder – irgendwann nicht mehr, aber immer wieder – auch die Frage gestellt: Was mache ich daraus? Oder waren Sie sich von Anfang an sicher, das ist ein Roman? Kein Sachbuch, kein Theaterstück, kein Film, nichts anderes, es muss ein Roman sein?
Trojanow: Ja, irgendwann mal war ich mir schon sicher, denn der Roman bietet natürlich unglaublich viele Chancen, dieses zeitgeschichtliche Panorama aufzufächern. Man kann tatsächlich, so wie ich es gemacht habe, zum Beispiel mit dokumentarischen Materialien, in dem Fall Dokumente aus dem Archiv der Staatssicherheit arbeiten, man kann aber auch durch die Fiktion das Exemplarische an diesen Beispielen von individueller Würde, individuellem Widerstand, aber auch Verrat und Gleichschaltung durchspielen, was man natürlich bei einem Sachbuch nicht machen könnte.
Kassel: Der Roman spielt natürlich in Bulgarien. Das Theaterstück wird das wohl auch, das unterstellen wir jetzt beide. Aber Sie haben es schon beschrieben, durch den Regisseur kommen da auch Erfahrungen aus der damaligen Tschechoslowakei hinein. Nun kann man sagen, das war nicht so überraschend, zwei damals kommunistische Länder, da gibt es Parallelen.
Aber das, was Sie da wirklich erzählen, die Geschichte dieser beiden Menschen, die sich – das war mein Eindruck beim Lesen des Romans – dann später im postkommunistischen Bulgarien ja eigentlich ungefähr genauso wiederbegegnen wie vorher in der Volksrepublik –, diese Geschichte ist universal, oder? Die müsste theoretisch nicht unbedingt im Ostblock spielen?
Trojanow: Sie haben völlig recht. Ich war vor Kurzem in der Türkei und ich glaube, die Menschen zum Beispiel in der Türkei lesen es dann tatsächlich als eine universelle Geschichte. Denn in Zeiten, gerade wie wir sie heute wieder erleben, müssen sich sehr viele Menschen die schwierige Frage stellen: Was werde ich jetzt tun, wie weit werde ich mich aus dem Fenster hinauslehnen, was für Risiken will ich eingehen? Oder werde ich mich jetzt zurückziehen ins Private? Und das sind Fragen, die der Roman verhandelt. Und ich glaube, die sind tatsächlich allgemeingültig.

Frage der Überwachung

Kassel: Aber haben Sie den Eindruck, dass sich in Deutschland viele Menschen gerade all diese Fragen stellen, diese Fragen: Passe ich mich an oder tu ich das nicht? Gehe ich in eine Art von Opposition oder gehe ich, wie Sie es vorhin auch gesagt haben, ins Private? Versuche ich, mich durchzuschlängeln, sodass ich später irgendwann mal behaupten kann, ich war’s aber nicht? Oder gehe ich persönliche Risiken ein? – Glauben Sie, dass diese Fragen sich viele Menschen im Moment tatsächlich stellen?
Trojanow: Na ja, ich erlebe das zum Beispiel bei der Frage der Überwachung, diese ganzen Fragen: Inwieweit ist überhaupt eine Intimsphäre heutzutage noch geschützt? Inwieweit hat der Bürger noch die Kontrolle über seine Daten? Dass sehr viele Menschen tatsächlich aufgeben, dass sie dann mit den Achseln zucken und sagen: Kann man eh nichts ändern. Das ist natürlich fatal, erinnert aber an das Verhalten vieler, vieler Bürger in anderen Epochen.
Kassel: Was den Abend in Hannover angeht, die Premiere der Bühnenfassung: Mir selbst als Leser, Filmgucker, Theaterbesucher geht es ja oft schon so: Wenn ich ein Buch gesehen habe, das dann zu einem Film oder Theaterstück geworden ist, so rum gefällt mir das fast nie, weil ich mich einfach nicht von dem lösen kann, was ich mir selbst beim Lesen des Buches vorgestellt habe. Ich kann gar nicht nachvollziehen, wie das ist, wenn man es auch noch geschrieben hat! Haben Sie auch ein bisschen Angst davor, dass Sie auf der Bühne was sehen, wo Sie sagen, das habe ich doch gar nicht gemeint?
Trojanow: Genau, das verstehen Sie jetzt, wieso ich nervös bin. Ja, Sie haben völlig recht, man ist natürlich nicht nur befangen, sondern man hat natürlich bestimmte, sehr klare Vorstellungen. Und es ist dann immer tatsächlich so ein Wechselbad der Gefühle. Man ist einerseits betört von der Tatsache, dass man die Geschichte auch ganz anders erzählen kann; aber andererseits ist da so ein Phantomschmerz, weil vieles in einer Verfilmung oder in einer Theaterfassung auch fehlt, was einem als Autor wichtig erschien.

Das Beglückende an Literatur

Kassel: Kommt es nicht manchmal auch vor, dass Sie Post bekommen, Briefe, E-Mails meinetwegen von Lesern, Leserinnen, die sich auf dieses Buch oder ein anderes Ihrer Bücher beziehen und dann etwas schreiben, wo Sie sagen: Aha, ist interessant, was die da gelesen haben, das dachte ich gar nicht, dass ich das geschrieben habe?
Trojanow: Ja, absolut. Das sind ja gerade die interessanten E-Mails, die ich erhalte, wenn Menschen das auf ihr eigenes Leben beziehen und dann eine Quintessenz herausziehen, die ich gar nicht so beabsichtigt oder vorhergesehen habe. Das ist ja das Beglückende an Literatur, dass tatsächlich etwas entsteht beim Lesen, was der Autor ja nicht vordefiniert hat. Das ist sozusagen ein freier, kreativer Akt.
Kassel: Was natürlich beim Theater weniger der Fall ist. Nicht gar nicht, das würde ich nicht sagen, man macht sich ja auch einige Gedanken und sieht zusätzlich zu den Bildern auf der Bühne auch noch welche im eigenen Kopf, aber das ist schon etwas vorgegebener als bei einem Buch, ne?
Trojanow: Ja, das würde ich auch so sehen. Wobei die nächste Frage, die ich ja sehr interessant finde, ist: Eine gewisse Qualität gewinnen durch die Begrenzung der Mittel. Im Roman kann man ja unglaublich ausufernd arbeiten und das ist manchmal wirklich ein spannender Prozess, dass man durch die Konzentration etwas Bestimmtes ausarbeiten kann.
Kassel: Herr Trojanow, ich wünsche Ihnen, dass Sie sich wundern bei der Premiere von "Macht und Widerstand", bei der Premiere des Theaterstücks "Macht und Widerstand". Aber ich wünsche Ihnen, dass Sie sich auf eine Art und Weise wundern, die eher bereichernd ist. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Ilja Trojanow, Macht und Widerstand, Fischerverlage 2015, 24,99 Euro.

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