Uralte Idole aus Papier
Erstmals widmet sich eine Ausstellung dem Spätwerks des Dada-Künstlers Hans Arp: den Figurinen. Die aus Papier geschnittenen Figuren sind im Ernst-Barlach-Haus in Hamburg zu sehen. Dort kann der Besucher Arps spielerischem Suchen nach ästhetischen Formen folgen und seine Arbeitsweise entdecken.
Man nehme ein gefalztes Stück Papier, greife zu einer Schere, schneide ein Stück aus dem Papier, klappe den Rest auf - und schon erhält man eine perfekt symmetrische Form. Angesichts der über 200 Figurinen, die das Ernst Barlach Haus zeigt, ahnt man, was für ein Vergnügen dieses Schneiden in Papier Hans Arp bereitet haben muss. Ein Vergnügen, dem selbst Ausstellungsleiter Rainer Hüben kurzfristig zu verfallen drohte:
"Ich hab bei der Vorbereitung dieser Ausstellung selber das ausprobiert, also mit Papier und Schere. Und es ist ein fantastisches Gefühl, sofort eine Poupée-Form, eine perfekte Poupée herstellen zu können."
Viele der Arpschen Figurinen, die er selbst Poupées - also Puppen - nannte, erinnern durch ihre reduziert-menschliche Form an uralte Idole. Andere sehen aus wie üppige Amphorenfrauen, groteske Kopffüßler, Kugelmänner oder Flügelwesen.
Jahrzehntelang blieben diese Arbeiten unbeachtet. Erst Rainer Hüben entdeckte sie, als er vor einigen Jahren die Leitung der Fondazione Marguerite Arp in Locarno übernahm, Arps letztem Wohnsitz.
"Das was Sie hier sehen, ist tatsächlich so noch gar nicht an die Öffentlichkeit gekommen. Es ist das, was bei Arp in seinem letzten Wohn- und Atelierhaus in Mappen und Schachteln abgelegt war, und jetzt im Rahmen dieser Ausstellung zum ersten Mal so überhaupt präsentiert wird."
Hans Arp, 1886 in Straßburg geboren, war Mitbegründer von DADA. Ende der 20er Jahre gehörte er in Paris zum Kreis der Surrealisten. 1940 musste er vor den Deutschen nach Südfrankreich fliehen, dann in die Schweiz, wo er 1966 starb. Früh begann der dichtende Künstler mit Papier und Collagen zu arbeiten. Ab den 30ern entstanden zusätzlich seine berühmten, organisch-gerundeten Skulpturen. Und im Alter schuf er die Figurinen: Mal schnitt er sie aus gewöhnlichem Packpapier, mal aus bemaltem. Dann verwendete Arp die zehn bis 30 Zentimeter großen Figuren für Collagen.
"Die Frage stellt sich natürlich: Sind das jetzt marginale Produkte, ausgeschnittene kleine Förmchen, nicht zu Kunstwerken gemacht - handelt es sich um Kunstwerke oder nicht? Haben sie nur eine Funktion im Werkprozess? Oder sind sie als Kunstwerke anzusehen. Die Frage ist für mich eigentlich nicht interessant. Aber Überlegungen der Art haben wahrscheinlich dazu geführt, dass sie wenig beachtet worden sind."
Dabei erzählen die Figurinen viel über Arps Arbeitsweise. Zumal die in Vitrinen präsentierten Scherenschnitte ergänzt werden durch Zeichnungen und Aquarelle, Collagen, Reliefs und Skulpturen aus derselben Zeit. So wird deutlich, wie Arps typisch-biomorphe Formen im letzten Lebensjahrzehnt immer menschlichere Züge annahmen. Formen, um die er in Zeichnungen, Aquarellen und Skulpturen rang - aber auch beim Schnitt ins Papier.
"Man kann lernen, wie ein Schnitt auf andere Weise Form produziert, als eine Zeichnung zum Beispiel. In beiden Fällen arbeitet er mit Papier. Der Schnitt ist aber sofort definitiv. Und bei der gezeichneten Linie, das sieht man auch bei den Aquarellen - wie da Arp eine Form sucht, immer wieder ausradiert, wegwischt, - und ich denke, es ist eine Lust auch am Schneiden, auf diese Weise mit der Schere Form herzustellen."
Der Prozess ist das eine. Das Ergebnis das andere. Und das hat Arp längst nicht immer befriedigt. Gerade bei den Figurinen, so Rainer Hüben, sei der Ausschuss besonders hoch gewesen.
"Es gibt ein sehr schönes Foto, das zeigt Arp, wie er so mit einem Stöckchen in einem Feuer rumstochert. Bei Arp gehört ja das Verbrennen - auch anekdotisch aus der frühen Zeit belegt - gehörte zur Produktion."
Die Scherenschnitte haben etwas von Bauklötzen, die Arp auf unterschiedlichste Weise zu Collagen hätte zusammenfügen können. Möglichkeitsformen, von denen er lediglich einige fixierte - die nun an den Wänden des Ernst Barlach Hauses hängen: Bunte Figurinen auf einfarbigem Untergrund. Kleine Reliefs aus organisch-runden Elementen. Große Figuren auf dunkelgrauem Grund. Oder Formen, die als Vorlagen für Kunst am Bau dienten, wie etwa für die Fassade der TU Braunschweig. Dann die Skulpturen.
Viele scheinen direkt einer Figurine entsprungen: Für die schlanken, nebeneinander stehenden "Drei Grazien” lassen sich jedenfalls ebenso papierene Vorlagen entdecken, wie für die große, an einen Vogelkopf erinnernde Plastik. Die Methode, mit der Arp seine biomorphen Formen in Collagen und Reliefs verwandelte, entpuppt sich dabei als ebenso dynamisch wie die Formelemente selber.
"Arp hat fast keine Bildhauerzeichnungen gemacht, sondern es funktionierte so: Eine Form wird von ihm aus der freien Hand mit Bleistift auf Papier gezeichnet, die wird auf Karton übertragen, die Form wird ausgeschnitten. Und dann werden Formen von ihm auf der Fläche so verschoben, gedreht, gewendet, wie immer, bis eine Konstellation zustande kommt, die jetzt die richtige ist. Und diese Formation wird dann wieder festgehalten, fixiert, durch Umzeichnung - und auf die Weise ist in Braunschweig das große Wandrelief entstanden, aber auf die Weise sind auch die meisten seiner späten Reliefs entstanden."
Völlig unaufwendig und ohne anbiedernden didaktischen oder virtuellen Schnickschnack vermittelt die Ausstellung das Gefühl, als befände man sich inmitten der Arpschen Werkstatt: man kann Bezügen und Entwicklungslinien innerhalb des Werks nachspüren.
Man kann Arps spielerischem Suchen nach ästhetischen Formen folgen, kann seine Arbeitsweise entdecken. Endlich einmal interessiert nicht allein das endgültige Kunstwerk - das Museen gern als wie vom Himmel gefallen präsentieren - sondern der künstlerische Prozess. Das Werden von Kunst. Womit die Ausstellung ebenso unauffällig wie nachdrücklich daran erinnert, dass die weniger Genie erfordert, als sehr viel Arbeit.
"Ich hab bei der Vorbereitung dieser Ausstellung selber das ausprobiert, also mit Papier und Schere. Und es ist ein fantastisches Gefühl, sofort eine Poupée-Form, eine perfekte Poupée herstellen zu können."
Viele der Arpschen Figurinen, die er selbst Poupées - also Puppen - nannte, erinnern durch ihre reduziert-menschliche Form an uralte Idole. Andere sehen aus wie üppige Amphorenfrauen, groteske Kopffüßler, Kugelmänner oder Flügelwesen.
Jahrzehntelang blieben diese Arbeiten unbeachtet. Erst Rainer Hüben entdeckte sie, als er vor einigen Jahren die Leitung der Fondazione Marguerite Arp in Locarno übernahm, Arps letztem Wohnsitz.
"Das was Sie hier sehen, ist tatsächlich so noch gar nicht an die Öffentlichkeit gekommen. Es ist das, was bei Arp in seinem letzten Wohn- und Atelierhaus in Mappen und Schachteln abgelegt war, und jetzt im Rahmen dieser Ausstellung zum ersten Mal so überhaupt präsentiert wird."
Hans Arp, 1886 in Straßburg geboren, war Mitbegründer von DADA. Ende der 20er Jahre gehörte er in Paris zum Kreis der Surrealisten. 1940 musste er vor den Deutschen nach Südfrankreich fliehen, dann in die Schweiz, wo er 1966 starb. Früh begann der dichtende Künstler mit Papier und Collagen zu arbeiten. Ab den 30ern entstanden zusätzlich seine berühmten, organisch-gerundeten Skulpturen. Und im Alter schuf er die Figurinen: Mal schnitt er sie aus gewöhnlichem Packpapier, mal aus bemaltem. Dann verwendete Arp die zehn bis 30 Zentimeter großen Figuren für Collagen.
"Die Frage stellt sich natürlich: Sind das jetzt marginale Produkte, ausgeschnittene kleine Förmchen, nicht zu Kunstwerken gemacht - handelt es sich um Kunstwerke oder nicht? Haben sie nur eine Funktion im Werkprozess? Oder sind sie als Kunstwerke anzusehen. Die Frage ist für mich eigentlich nicht interessant. Aber Überlegungen der Art haben wahrscheinlich dazu geführt, dass sie wenig beachtet worden sind."
Dabei erzählen die Figurinen viel über Arps Arbeitsweise. Zumal die in Vitrinen präsentierten Scherenschnitte ergänzt werden durch Zeichnungen und Aquarelle, Collagen, Reliefs und Skulpturen aus derselben Zeit. So wird deutlich, wie Arps typisch-biomorphe Formen im letzten Lebensjahrzehnt immer menschlichere Züge annahmen. Formen, um die er in Zeichnungen, Aquarellen und Skulpturen rang - aber auch beim Schnitt ins Papier.
"Man kann lernen, wie ein Schnitt auf andere Weise Form produziert, als eine Zeichnung zum Beispiel. In beiden Fällen arbeitet er mit Papier. Der Schnitt ist aber sofort definitiv. Und bei der gezeichneten Linie, das sieht man auch bei den Aquarellen - wie da Arp eine Form sucht, immer wieder ausradiert, wegwischt, - und ich denke, es ist eine Lust auch am Schneiden, auf diese Weise mit der Schere Form herzustellen."
Der Prozess ist das eine. Das Ergebnis das andere. Und das hat Arp längst nicht immer befriedigt. Gerade bei den Figurinen, so Rainer Hüben, sei der Ausschuss besonders hoch gewesen.
"Es gibt ein sehr schönes Foto, das zeigt Arp, wie er so mit einem Stöckchen in einem Feuer rumstochert. Bei Arp gehört ja das Verbrennen - auch anekdotisch aus der frühen Zeit belegt - gehörte zur Produktion."
Die Scherenschnitte haben etwas von Bauklötzen, die Arp auf unterschiedlichste Weise zu Collagen hätte zusammenfügen können. Möglichkeitsformen, von denen er lediglich einige fixierte - die nun an den Wänden des Ernst Barlach Hauses hängen: Bunte Figurinen auf einfarbigem Untergrund. Kleine Reliefs aus organisch-runden Elementen. Große Figuren auf dunkelgrauem Grund. Oder Formen, die als Vorlagen für Kunst am Bau dienten, wie etwa für die Fassade der TU Braunschweig. Dann die Skulpturen.
Viele scheinen direkt einer Figurine entsprungen: Für die schlanken, nebeneinander stehenden "Drei Grazien” lassen sich jedenfalls ebenso papierene Vorlagen entdecken, wie für die große, an einen Vogelkopf erinnernde Plastik. Die Methode, mit der Arp seine biomorphen Formen in Collagen und Reliefs verwandelte, entpuppt sich dabei als ebenso dynamisch wie die Formelemente selber.
"Arp hat fast keine Bildhauerzeichnungen gemacht, sondern es funktionierte so: Eine Form wird von ihm aus der freien Hand mit Bleistift auf Papier gezeichnet, die wird auf Karton übertragen, die Form wird ausgeschnitten. Und dann werden Formen von ihm auf der Fläche so verschoben, gedreht, gewendet, wie immer, bis eine Konstellation zustande kommt, die jetzt die richtige ist. Und diese Formation wird dann wieder festgehalten, fixiert, durch Umzeichnung - und auf die Weise ist in Braunschweig das große Wandrelief entstanden, aber auf die Weise sind auch die meisten seiner späten Reliefs entstanden."
Völlig unaufwendig und ohne anbiedernden didaktischen oder virtuellen Schnickschnack vermittelt die Ausstellung das Gefühl, als befände man sich inmitten der Arpschen Werkstatt: man kann Bezügen und Entwicklungslinien innerhalb des Werks nachspüren.
Man kann Arps spielerischem Suchen nach ästhetischen Formen folgen, kann seine Arbeitsweise entdecken. Endlich einmal interessiert nicht allein das endgültige Kunstwerk - das Museen gern als wie vom Himmel gefallen präsentieren - sondern der künstlerische Prozess. Das Werden von Kunst. Womit die Ausstellung ebenso unauffällig wie nachdrücklich daran erinnert, dass die weniger Genie erfordert, als sehr viel Arbeit.