Unwort des Jahres 2023

Warum "Remigration" ein von Rechten gekapertes Wort ist

Der Begriff "Remigration" steht bei der Bekanntgabe der Aktion "Unwort des Jahres" 2023 in Schreibschrift auf einem Bildschirm.
Das Unwort des Jahres 2023 lautet "Remigration". Die Jury der Aktion präsentierte es auf einem Tablet in Schreibschrift. © picture alliance / dpa / Nadine Weigel
15.01.2024
"Remigration" ist Unwort des Jahres 2023. Als politischer Kampfbegriff werde es zur Verschleierung einer menschenunwürdigen Abschiebepraxis benutzt, meint die Jury. Das rechtsextreme Konzept ist auch in der AfD salonfähig.
Eine Jury aus Sprachwissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern hat das Unwort des Jahres 2023 gekürt. Es lautet „Remigration“. Auf Platz zwei und drei der diesjährigen Unwörter kamen „Sozialklimbim“ und „Heizungs-Stasi“.
Bei dem Wort Remigration kam es zu einer zeitlichen Punktlandung, schließlich war der Begriff Mitte Januar 2024 plötzlich in der politischen Debatte allgegenwärtig, als bekannt wurde, dass bei einem Treffen von AfD-Politikern mit anderen Rechtsextremen in Potsdam über Ideen und Forderungen einer „Remigration“ gesprochen wurde.
Was mit der Verwendung des Wortes gefordert werde, „verletzt freiheitliche und bürgerliche Grundrechte von Menschen mit Migrationsgeschichte“, kritisierte Jury-Sprecherin Constanze Spieß bei der Vorstellung der Unwort-Wahl für 2023 in Marburg.

Warum prangert die Jury das Wort Remigration an?

Die Jury bezeichnet das Wort als einen „rechten Kampfbegriff“ und als eine „beschönigende Tarnvokabel“ - der Ausdruck verschleiere die tatsächlichen Absichten von Rechtsextremisten, Menschen unter unwürdigen Bedingungen aus Deutschland zu deportieren.
Der aus der Migrations- und Exilforschung stammende Begriff, der zum Beispiel für die Rückkehr von jüdischen Menschen aus dem Exil nach 1945 verwendet wird, werde bewusst ideologisch vereinnahmt und umgedeutet, argumentiert die Jury. Das Eindringen und die Verbreitung des Unwortes „Remigration“ führt nach ihrer Ansicht zu einer Verschiebung der migrationspolitischen Debatte in die Richtung einer Normalisierung rechtspopulistischer und rechtsextremer Positionen.

Was sagt der Juror Ruprecht Polenz?

Der diesjährige Gastjuror, der CDU-Politiker Ruprecht Polenz kommentiert das Wort laut Mitteilung der Jury so:

Der harmlos daherkommende Begriff Remigration wird von den völkischen Nationalisten der AfD und der Identitären Bewegung benutzt, um ihre wahren Absichten zu verschleiern: die Deportation aller Menschen mit vermeintlich falscher Hautfarbe oder Herkunft, selbst dann, wenn sie deutsche Staatsbürger sind. Nach der Wahl zum „Unwort des Jahres“ sollte diese Täuschung mit Remigration nicht mehr so leicht gelingen.

Ruprecht Polenz

Was soll mit der Unwort-Wahl erreicht werden?

Mit dem „Unwort“ sollen seit 1991 jene unmenschlichen oder unangemessenen Begriffe ausgewählt werden, die gegen das Prinzip der Menschenwürde verstoßen, in irreführender Weise etwas Negatives beschönigen oder Menschen diskriminieren. Die Unwort-Jury will damit auf "undifferenzierten, verschleiernden oder diffamierenden öffentlichen Sprachgebrauch" aufmerksam machen und die deutsche Öffentlichkeit für das Thema sensibilisieren.

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Was bezwecken Rechtsextreme mit diesem Wort?

„Die Neue Rechte zielt mit dem Wortgebrauch darauf ab, kulturelle Hegemonie und ethnische Homogenität zu erlangen“, sagte Jurysprecherin Constanze Spieß der Nachrichtenagentur KNA. „Bereits seit 2016 versuchen rechte Gruppierungen, den aus der Migrationsforschung stammenden Begriff ideologisch zu vereinnahmen und umzudeuten.“
Die AfD habe das Wort Remigration schon 2021 in ihrem Bundestagswahlprogramm verwendet, sagte Spieß; es sei auch mehrfach bei Reden ihrer Abgeordneten im Parlament zu hören gewesen. „Dass nach den jüngsten Enthüllungen über das Potsdamer AfD-Treffen zu Remigrationsplänen zuletzt sehr breit über den Begriff gesprochen wurde, ist letztlich ein Zufall. Es bestätigt uns aber auch in unserer Unwort-Entscheidung.“
Obwohl der Begriff Remigration einer breiteren Öffentlichkeit erst seit Kurzem geläufig sein dürfte, wurde er bereits seit Jahresbeginn 2023 immer wieder als Unwort vorgeschlagen; insgesamt 27 verschiedene Bürgerinnen und Bürger reichten ihn ein.

Wie wird das Unwort des Jahres ausgewählt?

Vorschläge für ein Unwort können bis 31. Dezember von allen Bürgerinnen und Bürgern unter Angabe der Quelle eingesandt werden; der Begriff muss also in der öffentlichen Diskussion verwendet worden sein, zum Beispiel von einem Politiker. Für das Jahr 2023 erhielt die Jury 2301 Einsendungen, die 710 verschiedene Ausdrücke vorschlugen, von denen aber nur etwa 100 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen.
In der ersten Januarhälfte wählte die Jury aus allen Vorschlägen und nach inhaltlicher Diskussion das Unwort des Jahres“ aus. Jurorinnen und Juroren waren diesmal die Linguistinnen Constanze Spieß und Kristin Kuck, die Sprachwissenschaftler Martin Reisigel und David Römer sowie die Journalistin Alexandra-Katharina Kütemeyer. Dazu kam diesmal als Gastjuror der CDU-Politiker Ruprecht Polenz.

Welche Unwörter gab es in der Vergangenheit?

Das erste Unwort des Jahres hieß 1991 „ausländerfrei“. Weiter ging es mit Ethnische Säuberung, Überfremdung, Peanuts, Diätenanpassung, Rentnerschwemme, Wohlstandsmüll, sozialverträgliches Frühableben und Kollateralschaden.
Auch Wörter aus dem Wirtschaftsleben wie Humankapital, Ich-AG oder „Herdprämie“ fand die Jury sehr kritikwürdig. Mit „alternativlos“ prägte auch eine Bundeskanzlerin einmal ein Unwort. Die 20er-Jahre brachten ein Novum: Erstmals wurden gleich zwei Unwörter gekürt, nämlich „Rückführungspatenschaften“ und „Corona-Diktatur“. 2021 wurde der Begriff „Pushback“ gegeißelt, und 2022 schaffte es „Klimaterroristen“ auf die Liste der Aktion Unwort des Jahres.

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