Unverträglichkeiten, Allergien und Co.

Warnung vor den "Patientenfängern"

08:29 Minuten
Eine Frau hält Tabletten in ihren Händen, im Hintergrund liegen weitere Blister mit verschiedenen Medikamenten.
Viele Menschen nehmen Tabletten ein - nicht alle von ihnen sind aber tatsächlich krank. © picture alliance / Fotostand | Fotostand / K. Schmitt
Michelle Hildebrandt im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 28.04.2021
Audio herunterladen
Viele Menschen glauben, krank zu sein, und greifen deswegen zu Medikamenten. Nicht selten handelt es sich allerdings nur um gefühlte Krankheiten, sagt die Psychotherapeutin Michelle Hildebrandt - eingeredet von "Patientenfängern".
Intoleranzen gegen Lactose oder Gluten, Probleme mit Cholesterin - einige Menschen leiden tatsächlich unter solchen gesundheitlichen Schwierigkeiten. Andere denken nur, dass sie ein derartiges Leiden haben. Viele der "neuen" Krankheiten seien am Ende eingeredet, meint die Fachärztin für Psychiatrie und Psychotherapie, Michelle Hildebrandt. Dahinter stehen aus ihrer Sicht "Patientenfänger" mit eigenen Interessen, die oftmals finanzieller Natur seien.

Viele Akteure haben Interesse an Krankheiten

"An erster Stelle würde ich da die Pharmaindustrie, aber auch die Nahrungsmittelindustrie nennen", sagt Hildebrandt. "Auch Ärzte, Heilpraktiker und sogar Physiotherapeuten können uns Krankheiten einreden, die wir eigentlich gar nicht haben oder die nur wenige Menschen wirklich haben." Als Beispiel nennt die Ärztin die gefühlte Unverträglichkeit vieler gegen Lactose oder Gluten.
Die Ärzte stünden dabei oft vor dem Dilemma, die Patienten trotzdem ernst nehmen und behandeln zu wollen, so Hildebrandt. "Der Druck von Seiten der Patienten ist da hoch." Gerade bei unspezifischen Darmbeschwerden sei es oft so, dass Mediziner nichts fänden, der Patient aber eine Behandlung verlange. "Da ist dann leichter zu sagen: Sie haben jetzt diese Diagnose. Oder eine Pille zu verschreiben, die eigentlich nichts nutzt."

Aggressive Werbung und zu viele Berichte

Gründe für dieses Dilemma sieht die Psychotherapeutin auch in der aggressiven Werbung der Pharmaindustrie und der Berichterstattung der Medien. "Das potenziert sich dann: Das, was selten ist, ist dann plötzlich so präsent, dass man denkt, das ist ein ganz aktuelles Problem, das fast jeden betrifft." Gleichzeitig würden die Normwerte oftmals immer weiter nach unten verschoben, weshalb Menschen, die eigentlich gar nicht krank seien, plötzlich in die Gruppe der Erkrankten gerieten.
Hildebrandt fürchtet nun, dass auch das "Long-Covid-Syndrom", eine neue Diagnose, zur Modekrankheit wird: "Da wird unheimlich viel Angst verbreitet." Letztendlich wisse man zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch gar nicht, wie die Covid-Erkrankung genau verlaufe. Hinzu komme auch, dass die Menschen im Moment oft zu Hause isoliert seien, mit existenziellen Sorgen kämpften und viel mehr Zeit hätten, über mögliche Symptome nachzudenken: "Wenn dann noch von außen die Ängste geschürt werden, verstärkt das das Ganze."
(ckü)
Mehr zum Thema