Unverklemmte Steinzeit

Von Wolfram Nagel |
Das Landesmuseum für Ur- und Frühgeschichte in Dresden lockt mit einem Ausstellungsthema, das nicht nur in grauer Vorzeit aktuell war: „100.000 Jahre Sex“ zeigt die Geschichte der Erotik von der Steinzeit bis heute. Die Exponate reichen von bemalten Steinen über freizügige Vasenbilder bis zu Blumentöpfen mit kopulierenden Liebespaaren.
Früher waren die Menschen nicht so verklemmt wie heute, sagt die junge Praktikantin Carolin Schilde. Ohne jede Scham legt sie die Relikte steinzeitlicher Fruchtbarkeitskulte in eine Vitrine. Den Adonis von Tschernitz und die dazugehörige Venusstatuette, gefunden in der Nähe von Leipzig beim Bau einer Autofabrik.

Schilde: „Was kann man davon lernen. Ich denke, man sollte aus der Vergangenheit was für die Zukunft lernen, dass man locker mit dem Thema umgehen sollte, dass Sexualität etwas ganz Natürliches ist. Deshalb sollten wir nicht so ein Geheimnis darum machen. Jeder von uns tut es und deswegen gehört es einfach dazu.“

Die ersten künstlerischen Darstellungen waren nackte Frauen, zwar ohne Gesicht, dafür aber mit ausgeprägten Geschlechtsmerkmalen. Erst im Neolithikum kommen männliche Figuren hinzu. Es war eine Zeit, als Frauen die Gesellschaft noch dominierten, sagt Louis Nebelsick, Kurator der Ausstellung:

Nebelsick: „Wie haben diesen Hahn im Korb, Adonis, der zeigt, dass dann vielleicht auch ein Erzeuger auch wichtig war, vielleicht sind das Ahnengestalten. Dann gehen wir weiter in die Bronzezeit, wo wir ein sehr männlich bestimmtes Sexualbild haben. Wo auf Steinen Szenen eingemeißelt werden, wo Menschen mit Tieren Sex haben, wo angezogene bewaffnete Männer mit nackten Frauen ihren Spaß haben. Das ist eine aggressiv männliche Welt, die sich da auftut.“

Vor allem auch in den frühen Naturreligionen spielten Fruchtbarkeitskulte und offensichtlich auch Sex eine wichtige Rolle. Das zeigen Felszeichnungen, Steinfiguren, aus Holz oder Knochen hergestellte Phalli in Fülle.

Breiten Raum nimmt die Sexualität der Griechen und Römer in der Ausstellung ein. Wertvolle Exponate stammen aus der Dresdner Antikensammlung, dem Preußischen Kulturbesitz oder auch aus dem Nationalmuseum für Archäologie in Neapel.

Im Mittelpunkt steht Athen im 5. Jahrhundert vor Christus. Auffällig ist die freizügige Darstellung erotischer Szenen, ja regelrechter Trink-und Sexorgien auf Vasenbildern. Doch der Schein einer freizügigen Gesellschaft trügt, so Christian Gliwitzky, klassischer Archäologe.
Glawitzky: „Das sieht man insbesondere daran, dass eine ehrbare Frau, eine Ehefrau auf solchen Bildern nie gezeigt wird. Sondern immer Sexualität zwischen Männern und Prostituierten. Die Frau war da, um Kinder zu bekommen. Sie war auf den häuslichen Raum beschränkt. Der Mann besaß die Freiheit, nur der Mann war auch voller Bürger.“

Der sich eben auch das Recht nahm, seine Lust auszuleben. Dafür gab es feste Orte, das Symposion. Man traf sich am Abend zu Trinkgelagen.

Glawitzky: „Da wurden Trinksprüche ausgebracht. Da waren eben häufig auch Hetären, Prostituierte, anwesend, mit denen man dann Sex hatte.“

Davon berichtet ein Weinmischgefäß, ein so genannter Krater. Darin wurde ein schwerer Wein gewürzt und mit Wasser verdünnt.

Glawitzky: „Die Darstellung einer erotischen Szene auf einem Bett, auf einer so genannten Kline, sieht man ein Paar, eine Frau vorn übergeneigt. Und von hinten nähert sich ein Mann und penetriert.“

Eine Tonstatuette aus dem dritten Jahrhundert v. Chr. zeigt Leda, die griechische Königstochter. Vor ihren Schoß hält sie einen Schwan, also den sexversessenen Göttervater Zeus. Das Motiv ist bekannt. Die tönernen Phalli der Griechen dürften jedoch einem anderen Zweck gedient haben, als die heute gebräuchlichen Dildos.

Glawitzky: „Der Phallus dient dort wohl eher als Symbol von Fruchtbarkeit. Wenn Frauen mit solchen Dildos gezeigt werden, die in Wirklichkeit gar keine sind, dann nimmt das wohl eher Bezug auf den Wunsch, eben gebärfähig zu sein.“
Besonders die Römer haben später auch ein Phallus-Amulett um den Hals getragen. Das war nichts Anrüchiges, eher etwas Abschreckendes, sollte doch damit das Böse ferngehalten werden. Sexuelle Darstellungen auf Gebrauchsgeschirr, Münzen oder auch auf Wandbildern sind durchaus normal. Selbst Tonlampen, deren Flamme an der durchbohrten Penisspitze brannte, fanden beispielsweise in Pompeji Verwendung.
Glawitzky: „Dann war das wohl etwas, was nicht anzüglich wirkte, sondern was auch in den Bereich erotische Spielerei gehörte oder solch einen das Übel abwehrenden Charakter hatte. Der Phallus als Fruchtbarkeitssymbol oder apotrophäisches Zeichen.“

Einen solchen in Dresden ausgestellten Phalluskrug soll Kaiser Wilhelm vor etwa 100 Jahren bei Ausgrabungen am Limes mit eigenen Händen zu Tage gefördert haben, so die Legende. Aus solchen Krügen schenkten römische Soldaten den Wein ein. Den tranken auch die Amtsträger der mittelalterlichen Kirche. Die predigten zwar Keuschheit und Wasser, hielten sich jedoch nicht immer daran. Kurator Louis Nebelsick.
Nebelsick: „Wir haben auch ein paar Funde, die ganz reizend sind: ein Phallusbecher aus dem Plumpsklo einer Äbtissin, erotische Darstellungen aus Klosterfußböden, Pilgerabzeichen mal anders mit pornographischem Inhalt. Ein Phallus mit Beinen wird von einem Vogel gepickt. Dies ist auch ein Sprachwitz, das englische Wort für Penis, Pecker. Oder hier, ein Phallus mit Glocke, ring my bell sagt man immer noch für Orgasmus. Das ist auch in verschiedenen Refrains von Pop-Liedern drin.“

In der Barockzeit gibt es dann die ersten erotischen Bücher, angeregt durch die wiederentdeckte Antike. Doch die Lust hat eine tödliche Kehrseite, die Geschlechtskrankheiten. Den Umgang mit diesem kulturhistorischen Phänomen zeigt ein syphiliszerfressener Schädel neben Resten der ältesten bekannten Kondome. Sie stammen aus England und waren aus Fischblasen hergestellt.
Nebelsick: „Danach, im 18., 19. Jahrhundert, bildet sich eine sexuelle Subkultur heraus. Der Libertin, der sich über alle gesellschaftlichen Normen hinwegsetzt. Erotische Motive auf Tabakdosen oder ein Spazierstock zeigt, dass er ein aufgeklärter Mensch ist. Eine Subkultur von echten Kerls, die bis heute geblieben ist, schauen Sie sich einen James Bond –Film an.“
Am Ende bekommt die Sex-Ausstellung noch eine sächsische Komponente, die glücklicherweise jene Wollust ausspart, für die der kurfürstliche Hof Augusts des Starken so berühmt ist. Dafür sind ein in Leipzig ausgegrabenes phallisches Scherzglas und ein Blumentopf mit kopulierenden Liebespaaren zu sehen. Ein mit sich selbst beschäftigter Putto auf der Spolie eines Pirnaer Renaissancehauses zeugt vom Siegeszug der Erotik auch in gutbürgerlichen Kreisen.