Unverbrauchter Zugriff auf Themen und Texte
Wenn nur nicht dieser Festival-Name wäre. Zum dritten Mal hat "Radikal jung" nun am Münchner Volkstheater stattgefunden, und schon im dritten Jahr hat sich das "Festival junger Regisseure", wie es im Untertitel heißt, als Fixpunkt im Theaterjahr etabliert. Der Titel "Radikal jung" aber sorgte auch diesmal wieder für Diskussionen – beim Publikum, bei den Kritikern, und nicht zuletzt: bei den geladenen Regietalenten selbst.
Hanna Rudolph: "Ich finde eigentlich, dass Theater ein Ort ist, wo es nicht wichtig sein soll, ob jemand jung ist oder jemand radikal ist, sondern, es geht darum, dass jemand Inhalt zu erzählen hat. Dass jemand dem Publikum was vermitteln will! Und dieses ‚Radikal jung’ hört sich an wie was aus der Werbung. Und das find ich ganz schwierig, weil wir sind gerade ein Ort am Theater, wo man nicht in diesen Kategorien denken sollte, so."
... sagt Hanna Rudolph, die mit einer Inszenierung des Deutschen Theaters Berlin nach München eingeladen war: Moritz von Uslars "Waldstein oder der Tod des Walter Gieseking" – immerhin ein Text übers Jungsein und die Schwierigkeiten, erwachsen zu werden.
"”Vielleicht ist in diesem Begriff ‚Jungsein’ irgendwie so ‚ne Hoffnung drin, das da was Neues kommt, was neue Wege aufzeigt und neue Ansätze zeigt. Weil man spricht ja auch immer von der Krise vom Theater. Und da ist eine Hoffnung, dass eine Sensation kommt, weswegen die Leute wieder ins Theater gehen. Aber ich finde ‚jung’ an sich verspricht das nicht.""
Dass diese Hoffnung existiert in der deutschen Stadttheaterlandschaft, in der schon seit geraumer Zeit Nachwuchspflege bei den Autoren ebenso wie den Regisseuren groß geschrieben wird, das ist kaum von der Hand zu weisen. Das Münchner Volkstheater etwa, Gastgeber des Festivals, arbeitet fast ausschließlich mit jungen Regisseuren. Der Etat von Münchens dritter großer Bühne ist eher bescheiden, da hilft es ungemein, dass junge Regisseure in der Regel billiger sind. Doch Intendant Christian Stückl fährt kein reines Sparprogramm.
Er hat aus der Not eine Tugend gemacht und dem Münchner Volkstheater, dem beim Publikum lange – zu Unrecht – der Ruf einer Bauernbühne anhing, ein neues Profil gegeben: eben das eines jungen, spielfreudigen Theaters, das ohne falsche Ehrfurcht vor großen Texten und Namen ans Werk geht. Das Festival "Radikal jung" passt da perfekt ins Programm. Auch wenn die hohen Erwartungen, die so ein Jugendkonzept und so ein flotter Festivalname wecken, bisweilen trügerisch sein mögen, wie Festivalteilnehmerin Hanna Rudolph anmerkt:
"Ich glaube, es ist eine Illusion zu glauben, man macht was Neues, eigentlich ist schon alles da gewesen. Das, was da stattfindet: da kommt eine Persönlichkeit, eine neue Persönlichkeit, die aus dem, was sie gesehen hat, und aus dem, wie sie individuell ist, was zusammenbaut. Und sich abzugrenzen, von dem was gewesen ist, ist eigentlich unmöglich.”"
Und Jugend allein noch kein Verdienst. Vielleicht aber doch eine bestimmte Qualität. Eine, die sich gefährlich nach Klischee anhört; und dennoch auffiel, zumindest an einem Teil der auf dem Festival gezeigten Inszenierungen: nämlich der unverkrampfte, unverbrauchte Zugriff auf die Themen und Texte.
Tilmann Köhlers Weimarer Inszenierung von Shakespeares "Othello" beispielsweise, mit der das Festival vor einer Woche eröffnet wurde, tut so, als hätte das rund vier Jahrhunderte alten Stück nicht längst sämtliche Spielarten an Regietheaterzugriffen – bis hin zur völligen Dekonstruktion – erlebt. Köhler schert sich nicht, um das was vor ihm war, er inszeniert "Othello" als wäre er der erste, der das tut: nah am Text, die Handlung treu nacherzählend, ohne dem Stück eine betont eigenständige Lesart abgewinnen oder gar aufdrängen zu wollen. Mit Jago als klassischem Strippenzieher und Othello als Viechs-Kerl mit langer Zottelmähne und strähniger Gesichtsbehaarung, als käme er geradewegs vom Planeten der Affen.
Das ganze auf einer simplen, angeschrägten, quadratischen Holzbretterplattform, beleitet von einem Bläserquarett. So hätte man "Othello" auch schon vor 30, 40 Jahren sehen können. Und doch wirkt Tilmann Köhlers Inszenierung erstaunlich vital; hat so rein gar nichts Museales – weil der junge Regisseur mit seinem gleichfalls jungen Ensemble ein packendes Schauspielertheater entfesselt hat.
Tilmann Köhler: ""Etwas, was mich an dem Theater reizt, ist natürlich. dass da jemand vor dir steht und dir eine Geschichte erzählt, und du diesem Menschen in die Augen gucken kannst und ein es ein Moment ist, der jetzt gerade im Moment passiert; dass du nach zwei Stunden sehen kannst, wie er mit diesen Texten gekämpft hat; dass du auf eine Art riechen kannst, dass der gearbeitet hat da vor dir. Also dieser Moment von Unmittelbarkeit mit jemandem vor dir, der dir eine Geschichte erzählt, das ist glaub ich ein ganz wichtiger Moment für die Besonderheit von Theater."
Tilmann Köhler ist der aktuelle Shooting-Star unter den jungen Regisseuren. Gerade erst entdeckt von einem breiteren Publikum - auch weil seine gleichfalls in Weimar entstandene Inszenierung von Ferdinand Bruckners "Krankheit der Jugend" zum diesjährigen Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, wo sie ab kommenden Mittwoch zu sehen sein wird.
David Bösch wurde bis jetzt zwar noch nicht zum Theatertreffen eingeladen, aber das scheint nur eine Frage der Zeit. Er ist bereits eine feste Größe in der deutschsprachigen Theaterlandschaft, hat schon in Bochum, Essen, Hamburg und Berlin inszeniert. Bei "Radikal jung" zeigte er - neben Tilmann Köhlers "Othello" - die zweite Shakespeare-Inszenierung des Festivals: "Viel Lärm um Nichts", in seiner am Hamburger Thalia Theater entstandenen Zirkus-Zelt-Version, die Shakespeares Liebeskomödie effektsicher, und durchaus überzeugend zum halbstarken Hochdrucktheater mit blutigem Ende aufmotzt.
Anders als Köhler scheut Bösch auch vor drastischen Eingriffen in den Text nicht zurück. Die Wirkung seiner Inszenierung ist allerdings ähnlich unmittelbar, wie die von Köhlers "Othello". Ein Unmittelbarkeit, die so eben nur im Theater herzustellen ist. Weshalb David Böschs Antwort auf die Frage, was ihn mit den anderen am Festival vertretenen Regisseuren verbindet, wohl doch mehr benennt, als eine rein äußerliche Gemeinsamkeit:
"Vielleicht ist das gemeinsame, dass wir alle relativ junge Leute sind, die alle so ein altes Medium sind, machen und mit diesem alten Medium ihre Auseinandersetzung mit der Welt zu vermitteln. Vielleicht ist das die Gemeinsamkeit."
Wahrscheinlich liegt die Radikalität dieser jungen Regisseure tatsächlich nicht im Politischen, sondern: in ihrer Hinwendung zu einem unzeitgemäßen Medium. Einem Medium, das sich gerade wegen seiner unmittelbaren Wirkungsweise, die diese jungen Regisseure, jeder auf seine eigene Art, auszuschöpfen versuchen, so gut eignet, um die Welt und das Leben zu befragen. Privileg der Jugend ist es, dass sie auf dieser Suche zu aller erst bei sich selbst anfängt. Noch einmal Regisseurin Hanna Rudolph:
"Ich hatte irgendwie den Eindruck, die jungen Regisseure sind da alle auf der Suche nach sich selbst, oder nach irgendwas, was sie wirklich aus sich heraus zur Welt sagen wollen."
... sagt Hanna Rudolph, die mit einer Inszenierung des Deutschen Theaters Berlin nach München eingeladen war: Moritz von Uslars "Waldstein oder der Tod des Walter Gieseking" – immerhin ein Text übers Jungsein und die Schwierigkeiten, erwachsen zu werden.
"”Vielleicht ist in diesem Begriff ‚Jungsein’ irgendwie so ‚ne Hoffnung drin, das da was Neues kommt, was neue Wege aufzeigt und neue Ansätze zeigt. Weil man spricht ja auch immer von der Krise vom Theater. Und da ist eine Hoffnung, dass eine Sensation kommt, weswegen die Leute wieder ins Theater gehen. Aber ich finde ‚jung’ an sich verspricht das nicht.""
Dass diese Hoffnung existiert in der deutschen Stadttheaterlandschaft, in der schon seit geraumer Zeit Nachwuchspflege bei den Autoren ebenso wie den Regisseuren groß geschrieben wird, das ist kaum von der Hand zu weisen. Das Münchner Volkstheater etwa, Gastgeber des Festivals, arbeitet fast ausschließlich mit jungen Regisseuren. Der Etat von Münchens dritter großer Bühne ist eher bescheiden, da hilft es ungemein, dass junge Regisseure in der Regel billiger sind. Doch Intendant Christian Stückl fährt kein reines Sparprogramm.
Er hat aus der Not eine Tugend gemacht und dem Münchner Volkstheater, dem beim Publikum lange – zu Unrecht – der Ruf einer Bauernbühne anhing, ein neues Profil gegeben: eben das eines jungen, spielfreudigen Theaters, das ohne falsche Ehrfurcht vor großen Texten und Namen ans Werk geht. Das Festival "Radikal jung" passt da perfekt ins Programm. Auch wenn die hohen Erwartungen, die so ein Jugendkonzept und so ein flotter Festivalname wecken, bisweilen trügerisch sein mögen, wie Festivalteilnehmerin Hanna Rudolph anmerkt:
"Ich glaube, es ist eine Illusion zu glauben, man macht was Neues, eigentlich ist schon alles da gewesen. Das, was da stattfindet: da kommt eine Persönlichkeit, eine neue Persönlichkeit, die aus dem, was sie gesehen hat, und aus dem, wie sie individuell ist, was zusammenbaut. Und sich abzugrenzen, von dem was gewesen ist, ist eigentlich unmöglich.”"
Und Jugend allein noch kein Verdienst. Vielleicht aber doch eine bestimmte Qualität. Eine, die sich gefährlich nach Klischee anhört; und dennoch auffiel, zumindest an einem Teil der auf dem Festival gezeigten Inszenierungen: nämlich der unverkrampfte, unverbrauchte Zugriff auf die Themen und Texte.
Tilmann Köhlers Weimarer Inszenierung von Shakespeares "Othello" beispielsweise, mit der das Festival vor einer Woche eröffnet wurde, tut so, als hätte das rund vier Jahrhunderte alten Stück nicht längst sämtliche Spielarten an Regietheaterzugriffen – bis hin zur völligen Dekonstruktion – erlebt. Köhler schert sich nicht, um das was vor ihm war, er inszeniert "Othello" als wäre er der erste, der das tut: nah am Text, die Handlung treu nacherzählend, ohne dem Stück eine betont eigenständige Lesart abgewinnen oder gar aufdrängen zu wollen. Mit Jago als klassischem Strippenzieher und Othello als Viechs-Kerl mit langer Zottelmähne und strähniger Gesichtsbehaarung, als käme er geradewegs vom Planeten der Affen.
Das ganze auf einer simplen, angeschrägten, quadratischen Holzbretterplattform, beleitet von einem Bläserquarett. So hätte man "Othello" auch schon vor 30, 40 Jahren sehen können. Und doch wirkt Tilmann Köhlers Inszenierung erstaunlich vital; hat so rein gar nichts Museales – weil der junge Regisseur mit seinem gleichfalls jungen Ensemble ein packendes Schauspielertheater entfesselt hat.
Tilmann Köhler: ""Etwas, was mich an dem Theater reizt, ist natürlich. dass da jemand vor dir steht und dir eine Geschichte erzählt, und du diesem Menschen in die Augen gucken kannst und ein es ein Moment ist, der jetzt gerade im Moment passiert; dass du nach zwei Stunden sehen kannst, wie er mit diesen Texten gekämpft hat; dass du auf eine Art riechen kannst, dass der gearbeitet hat da vor dir. Also dieser Moment von Unmittelbarkeit mit jemandem vor dir, der dir eine Geschichte erzählt, das ist glaub ich ein ganz wichtiger Moment für die Besonderheit von Theater."
Tilmann Köhler ist der aktuelle Shooting-Star unter den jungen Regisseuren. Gerade erst entdeckt von einem breiteren Publikum - auch weil seine gleichfalls in Weimar entstandene Inszenierung von Ferdinand Bruckners "Krankheit der Jugend" zum diesjährigen Berliner Theatertreffen eingeladen wurde, wo sie ab kommenden Mittwoch zu sehen sein wird.
David Bösch wurde bis jetzt zwar noch nicht zum Theatertreffen eingeladen, aber das scheint nur eine Frage der Zeit. Er ist bereits eine feste Größe in der deutschsprachigen Theaterlandschaft, hat schon in Bochum, Essen, Hamburg und Berlin inszeniert. Bei "Radikal jung" zeigte er - neben Tilmann Köhlers "Othello" - die zweite Shakespeare-Inszenierung des Festivals: "Viel Lärm um Nichts", in seiner am Hamburger Thalia Theater entstandenen Zirkus-Zelt-Version, die Shakespeares Liebeskomödie effektsicher, und durchaus überzeugend zum halbstarken Hochdrucktheater mit blutigem Ende aufmotzt.
Anders als Köhler scheut Bösch auch vor drastischen Eingriffen in den Text nicht zurück. Die Wirkung seiner Inszenierung ist allerdings ähnlich unmittelbar, wie die von Köhlers "Othello". Ein Unmittelbarkeit, die so eben nur im Theater herzustellen ist. Weshalb David Böschs Antwort auf die Frage, was ihn mit den anderen am Festival vertretenen Regisseuren verbindet, wohl doch mehr benennt, als eine rein äußerliche Gemeinsamkeit:
"Vielleicht ist das gemeinsame, dass wir alle relativ junge Leute sind, die alle so ein altes Medium sind, machen und mit diesem alten Medium ihre Auseinandersetzung mit der Welt zu vermitteln. Vielleicht ist das die Gemeinsamkeit."
Wahrscheinlich liegt die Radikalität dieser jungen Regisseure tatsächlich nicht im Politischen, sondern: in ihrer Hinwendung zu einem unzeitgemäßen Medium. Einem Medium, das sich gerade wegen seiner unmittelbaren Wirkungsweise, die diese jungen Regisseure, jeder auf seine eigene Art, auszuschöpfen versuchen, so gut eignet, um die Welt und das Leben zu befragen. Privileg der Jugend ist es, dass sie auf dieser Suche zu aller erst bei sich selbst anfängt. Noch einmal Regisseurin Hanna Rudolph:
"Ich hatte irgendwie den Eindruck, die jungen Regisseure sind da alle auf der Suche nach sich selbst, oder nach irgendwas, was sie wirklich aus sich heraus zur Welt sagen wollen."