Unverblümte Äußerungen eines zerrissenen Dichters

Rezensiert von Wolfgang Schneider · 30.12.2005
Der Brief ist ein "Thermometer, woraus man meine Gemüthsstimmung erkennen kann", schrieb Heinrich Heine in einem seiner unzähligen Briefe. Wie treffend sich der Dichter hier beschreibt, zeigt die von Jan-Christoph Hauschild herausgegebene Sammlung von Briefen Heines. Hier zeigt sich ein leidenschaftlicher Briefeschreiber, aber auch die ganze Zerrissenheit Heines.
Was bietet das anstehende Heine-Jubiläum dem Lesepublikum? Zum einen natürlich eine Reihe von Biographien, die den "zerrissenen" Heine, diesen melancholisch-frivol-heiter-verzweifelten Menschen zeitgemäß nahe bringen wollten. Dann gibt es zahlreiche Sonderausgaben der berühmten Gedichte, es gibt in vielen Fassungen zum Hören und Lesen den Paradetext des sozialkritischen Heine, "Deutschland, ein Wintermärchen", als wäre es sein Hauptwerk.

Von der virtuosen Prosa des Publizisten, Pamphletisten und Literarphilosophen Heine mit ihrer einzigartigen Stilmischung aus Pathos und Ironie, erhabenem Ernst und maliziösem Witz - davon wird den Lesern zum Jubiläum leider nicht viel zugemutet. Da dürfen die Germanisten auch im Heine-Jahr unter sich bleiben.

Immerhin gibt es eine erfreuliche Ausnahme. Mehrere Bücher widmen sich einer eher unbekannten Seite Heines: dem leidenschaftlichen Briefschreiber. Jan-Christoph Hauschild präsentiert unter dem schönen Titel "Leben Sie wohl und hole Sie der Teufel" (natürlich ein Zitat) 199 Briefe am Leitfaden der Biographie, kapitelweise mit Einführungen in Heines Lebens- und Schreibsituation versehen - wichtige Kontexte für die Lektüre. Die Liste der Adressaten bietet viele prominente Namen der Epoche: Balzac, Dumas, George Sand, Hans Christian Andersen, Marx und Lassalle, Liszt und Meyerbeer, Goethe und Gutzkow sind darunter.

Heines Briefe lesen sich frisch und lebendig. Sein Alltag, seine Beziehungen und Kämpfe, seine Zerwürfnisse und Verletzungen offenbaren sich nirgendwo so ungeschützt wie hier. Es geht um die Nöte des Pariser Exils, um Schwierigkeiten mit der Zensur, aber natürlich ebenso um Liebe, Geld und Wohlleben. Und um das ambivalente Verhältnis zu Deutschland zwischen Sehnsucht und Verachtung: "Alles Deutsche wirkt auf mich wie ein Brechpulver", heißt es in einem der Briefe. "Meine Brust ist ein Archiv deutschen Gefühls", in einem anderen.

In Heines Briefen ist nichts zu spüren von "klassischer" Ausgeglichenheit; vielmehr wird eine nervöse, hin- und hergerissene Seele erkennbar. Anders als etwa die Briefe Schillers sind es keine reflektierenden, monologischen Schriften, die die Nachwelt mehr als den jeweiligen Adressaten im Auge haben. Heine bat seine Briefpartner, konkret zu bleiben, mitten aus ihren Leben zu schildern: "darum ist mir der Brief im Negligee-Gewand tausendmahl lieber als der Galla-Brief".

"Ellenlange Contemplazionen" langweilten ihn. Seine eigenen Briefe sind immer auf die Person des Empfängers abgestimmt. Man wird Zeuge einer Gesprächssituation; bisweilen bleibt der heutige Leser dann allerdings auch von der Vertraulichkeit ausgeschlossen. Faszinierend aber die Palette der Gefühle, die der Briefschreiber aufträgt: von sirupsüßer Schmeichelei über diplomatische Höflichkeit bis hin zu schneidender Bosheit. Der Brief ist ein "Thermometer, woraus man meine Gemüthsstimmung erkennen kann", heißt es in einer dieser Episteln.

Gerade weil er sich so unverblümt äußerte, hat Heine des Öfteren versucht, wieder in den Besitz eigener Briefe zu kommen, die ihn hätten diskreditieren können. Mehrfach hat er eigene Briefe verbrannt; schließlich hat er sogar einen Appell an Nachwelt gerichtet:

"Es ist eine unerlaubte und unsittliche Handlung auch nur eine Zeile von einem Schriftsteller zu veröffentlichen, die er nicht selbst für das Publikum bestimmt hat. Dieses gilt ganz besonders von Briefen, die an Privatpersonen gerichtet sind", mahnte er künftige Editoren. Tatsächlich haben sich später die völkischen Literaturexperten in ihrer Denunziation des Juden Heine immer wieder auf Briefpassagen bezogen: "wir wissen (...) jetzt bestimmt, dass er ein Lump war", lautet eine Einsicht von Adolf Bartels aus dem Jahr 1924.

Auch an den Briefen bewundert man die außergewöhnliche Fähigkeit des Prosaisten Heine, mit wenigen Worten Situationen und Personen treffend darzustellen und in ein komisches oder entlarvendes Licht zu rücken. Und natürlich den pointierten, bildhaften Ausdruck. Pockennarben als "Spucknäpfchen der Liebesgötter" zu beschreiben - darauf muss man erst einmal kommen.

Sehnsucht nach der Leichtigkeit des Seins kennzeichnet viele diese Briefe, und das heftige Verlangen nach Lebensgenuss. Denn: "Ueber das Leben hinaus verspreche ich nichts. Mit dem letzten Odemzuge ist alles vorbey, Freude Liebe, Aerger, Lyrik, Makaroni, Normaltheater, Linden, Himbeerbonbons, Macht der Verhältnisse, Klatschen, Hundegebell, Champagner..." - so Heine in einem Brief aus dem Jahr 1823.


Heinrich Heine: Leben Sie wohl und hole Sie der Teufel
Biographie in Briefen, hg. von Jan-Christoph Hauschild.
Aufbau Verlag,
477 Seiten, 24,90 Euro