Unverblümt und gnadenlos ehrlich
Von Blanka Weber · 21.03.2011
Menschen mit Down-Syndrom sind körperlich und geistig nicht so leistungsfähig wie andere. Doch das hindert manche nicht an interessanten Aufgaben - und an guten Gedanken, die sie zu Papier bringen, wie beispielsweise Hermine Fraas.
"Aber denk dran, ich halt dich auch fest wenn es gar nicht anders geht."
Das Festhalten ist symbolisch im Leben der heute 55-Jährigen. Sie sitzt auf ihrem Lieblingsplatz, einem alten Sofa im Wohnzimmer ihrer Mutter, und findet, es gibt keinen Grund traurig zu sein. Denn Glück hat viele Definitionen:
"Glück ist für mich nicht, dass ich immer Sie sagen soll und nicht gleich Du sagen soll. Da bin ich sehr ungehalten. Glück ist, dass ich einen Brieffreund habe. Glück ist, wenn ich mal lesen darf und im Lesen hatte ich in der Schule immer eine eins gehabt."
Sie strahlt übers ganze Gesicht, lacht fast lautlos und berührt – wenn sie sich besonders freut - mit den Handinnengelenken die Ohrläppchen oder ergreift mit ihrer kleinen Hand den Ellbogen des kurzen Armes. Sie weiß, dass sie anders ist und geht sehr offen damit um:
"Also ich heiß Hermine Fraas. Ich bin rundlich gebaut, rundlich geboren, mit schwarzen Haaren, mit großen schwarzen Augen bin ich geboren. Ich habe Schlitzaugen. Ich schreibe sehr gerne. Ich bin eine Autorin."
Wie viele Artikel Hermine Fraas bislang geschrieben hat, das kann sie nicht sagen. Nur so viel. Ordnerweise hat ihre Mutter all’ die Papierdokumente aufgehoben. Für Zeitungen, Zeitschriften, das Magazin "Ohrenkuss" hat sie geschrieben, eine Publikation von Menschen mit Down-Syndrom für Menschen mit Down-Syndrom. Ihre Themen sind vielfältig. Sie schreibt über Tiere, über das Essen, Trinken, ihre Brieffreunde oder - das Glück.
"Das isses, ja. Das ist auch Glück für mich."
Sie streicht die Papiere glatt, die vor ihr liegen, lacht und erzählt von ihren Reisen:
"Über mich selber hab’ ich noch nie geschrieben. Lieber über die Reiseziele, die wir gemacht haben. Über Polen hab’ ich was aufgeschrieben, über Bulgarien hab ich was aufgeschrieben. Wo waren wir noch? Moskau, Italien, Monaco, Ungarn."
Nichts war ihrer Mutter, heute 83 Jahre alt, zu schwer. Reisen ja, egal wohin. Hauptsache die Welt sehen, auch mit einem Kind, das am Down-Syndrom leidet. Hermine war immer dabei, selbst wenn sie manchmal plötzlich umfiel und ihr Kreislauf schlapp machte.
"Man setzt andere Prioritäten und ärgert sich nicht über Kleinigkeiten, sondern es geht manches eigentlich an uns vorbei, weil wir denken, es gibt andere Schwierigkeiten."
Die sympathische, an Kultur und Sport interessierte Dame lebt in einem kleinen Apartment in Ilmenau. Hermine wohnt ganz in der Nähe, in einem Heim, gemeinsam mit anderen Behinderten, rund um die Uhr betreut. Ihre Mutter ist froh, dass Hermine eine glückliche Kindheit und Jugend hatte. Denn davon zehrt sie. Die Artikel werden kürzer, das Sprechen fällt schwerer, die Kraft lässt nach und das Erinnern ihrer Tochter sei wie bei einem alten Menschen.
"Man hätte ja dann niemals gedacht, dass sie 55 Jahre alt wird. Sie hatte also ihren 55. Geburtstag und es ist nach wie vor so, dass sie Freude am Leben hat und dass sie mir auch Höhepunkte schenkt. Ja, weil sie manches äußert, wo ich selber gar nicht darauf käme und wo ich denke, eigentlich hat sie recht."
Unverblümt und gnadenlos ehrlich ist das, was Hermine sagt und schreibt. Eine bildhafte Sprache entsteht, wenn sie vom Vogel schreibt, der auf ihrem Kopf sitzt und zwitschert. Auch das ist Glück, sagt Hermine. Als Kind hat sie in der DDR eine Hilfsschule besucht, kann rechnen, lesen und schreiben.
"Ich sollte mir ein bisschen Mühe geben mit den Punkten und den Kommas, auch das mach ich immer ein bisschen verkehrt."
Ihren Wohnort Ilmenau mag sie sehr, besucht mit ihrer Mutter Konzerte und Lesungen, geht ins Kino und in eine Trommelgruppe.
"Ilmenau ist eine Kurstadt, früher mal. Aber früher habe ich ja nicht gelebt. Aber eine Frau hat
darüber erzählt. Da hat auch früher Goethe gelebt und da gibt’s auch Goethewanderwege in Ilmenau."
Und Goethes bekanntes Gedicht, welches er dort geschrieben hat – auf einem Berg namens Kickelhahn - das kennt Hermine auch:
"Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du einen Hauch. Warte nur ein Weilchen ... balde, aber nur im Walde ... "
Manchmal vermischt sich Dichtung und Wahrheit, sagt ihre Mutter und zwinkert. Sie und ihr früh verstorbener Mann hatten immer eine große Nähe zu den beiden Töchtern. Denn nach Hermine kam Claudia, die heute Professorin für Germanistik ist. Beide Geschwister wuchsen mit Freunden, vielen Nachbarskindern und vor allem mit Literatur auf. Für Hermine wurde das Lesen und Schreiben ebenso wichtig wie für die gesunde Schwester.
Mindestens fünf dicke Aktenordner sind zusammen gekommen. Fotos, Artikel, Reiseandenken. Dokumente eines reichen Lebens, sagt Christine Fraas, die über ihr Leben mit Hermine ein Buch geschrieben hat.
"Und das Leben ist ein anderes, ja, wenn so ein behindertes Kind ankommt, da muss sich die ganze Familie darauf einstellen und es ist manches wunderbar möglich und manches gar nicht möglich und es ist aber so, dass man sagen kann, es hat uns eigentlich gut getan."
Das Festhalten ist symbolisch im Leben der heute 55-Jährigen. Sie sitzt auf ihrem Lieblingsplatz, einem alten Sofa im Wohnzimmer ihrer Mutter, und findet, es gibt keinen Grund traurig zu sein. Denn Glück hat viele Definitionen:
"Glück ist für mich nicht, dass ich immer Sie sagen soll und nicht gleich Du sagen soll. Da bin ich sehr ungehalten. Glück ist, dass ich einen Brieffreund habe. Glück ist, wenn ich mal lesen darf und im Lesen hatte ich in der Schule immer eine eins gehabt."
Sie strahlt übers ganze Gesicht, lacht fast lautlos und berührt – wenn sie sich besonders freut - mit den Handinnengelenken die Ohrläppchen oder ergreift mit ihrer kleinen Hand den Ellbogen des kurzen Armes. Sie weiß, dass sie anders ist und geht sehr offen damit um:
"Also ich heiß Hermine Fraas. Ich bin rundlich gebaut, rundlich geboren, mit schwarzen Haaren, mit großen schwarzen Augen bin ich geboren. Ich habe Schlitzaugen. Ich schreibe sehr gerne. Ich bin eine Autorin."
Wie viele Artikel Hermine Fraas bislang geschrieben hat, das kann sie nicht sagen. Nur so viel. Ordnerweise hat ihre Mutter all’ die Papierdokumente aufgehoben. Für Zeitungen, Zeitschriften, das Magazin "Ohrenkuss" hat sie geschrieben, eine Publikation von Menschen mit Down-Syndrom für Menschen mit Down-Syndrom. Ihre Themen sind vielfältig. Sie schreibt über Tiere, über das Essen, Trinken, ihre Brieffreunde oder - das Glück.
"Das isses, ja. Das ist auch Glück für mich."
Sie streicht die Papiere glatt, die vor ihr liegen, lacht und erzählt von ihren Reisen:
"Über mich selber hab’ ich noch nie geschrieben. Lieber über die Reiseziele, die wir gemacht haben. Über Polen hab’ ich was aufgeschrieben, über Bulgarien hab ich was aufgeschrieben. Wo waren wir noch? Moskau, Italien, Monaco, Ungarn."
Nichts war ihrer Mutter, heute 83 Jahre alt, zu schwer. Reisen ja, egal wohin. Hauptsache die Welt sehen, auch mit einem Kind, das am Down-Syndrom leidet. Hermine war immer dabei, selbst wenn sie manchmal plötzlich umfiel und ihr Kreislauf schlapp machte.
"Man setzt andere Prioritäten und ärgert sich nicht über Kleinigkeiten, sondern es geht manches eigentlich an uns vorbei, weil wir denken, es gibt andere Schwierigkeiten."
Die sympathische, an Kultur und Sport interessierte Dame lebt in einem kleinen Apartment in Ilmenau. Hermine wohnt ganz in der Nähe, in einem Heim, gemeinsam mit anderen Behinderten, rund um die Uhr betreut. Ihre Mutter ist froh, dass Hermine eine glückliche Kindheit und Jugend hatte. Denn davon zehrt sie. Die Artikel werden kürzer, das Sprechen fällt schwerer, die Kraft lässt nach und das Erinnern ihrer Tochter sei wie bei einem alten Menschen.
"Man hätte ja dann niemals gedacht, dass sie 55 Jahre alt wird. Sie hatte also ihren 55. Geburtstag und es ist nach wie vor so, dass sie Freude am Leben hat und dass sie mir auch Höhepunkte schenkt. Ja, weil sie manches äußert, wo ich selber gar nicht darauf käme und wo ich denke, eigentlich hat sie recht."
Unverblümt und gnadenlos ehrlich ist das, was Hermine sagt und schreibt. Eine bildhafte Sprache entsteht, wenn sie vom Vogel schreibt, der auf ihrem Kopf sitzt und zwitschert. Auch das ist Glück, sagt Hermine. Als Kind hat sie in der DDR eine Hilfsschule besucht, kann rechnen, lesen und schreiben.
"Ich sollte mir ein bisschen Mühe geben mit den Punkten und den Kommas, auch das mach ich immer ein bisschen verkehrt."
Ihren Wohnort Ilmenau mag sie sehr, besucht mit ihrer Mutter Konzerte und Lesungen, geht ins Kino und in eine Trommelgruppe.
"Ilmenau ist eine Kurstadt, früher mal. Aber früher habe ich ja nicht gelebt. Aber eine Frau hat
darüber erzählt. Da hat auch früher Goethe gelebt und da gibt’s auch Goethewanderwege in Ilmenau."
Und Goethes bekanntes Gedicht, welches er dort geschrieben hat – auf einem Berg namens Kickelhahn - das kennt Hermine auch:
"Über allen Gipfeln ist Ruh, in allen Wipfeln spürest du einen Hauch. Warte nur ein Weilchen ... balde, aber nur im Walde ... "
Manchmal vermischt sich Dichtung und Wahrheit, sagt ihre Mutter und zwinkert. Sie und ihr früh verstorbener Mann hatten immer eine große Nähe zu den beiden Töchtern. Denn nach Hermine kam Claudia, die heute Professorin für Germanistik ist. Beide Geschwister wuchsen mit Freunden, vielen Nachbarskindern und vor allem mit Literatur auf. Für Hermine wurde das Lesen und Schreiben ebenso wichtig wie für die gesunde Schwester.
Mindestens fünf dicke Aktenordner sind zusammen gekommen. Fotos, Artikel, Reiseandenken. Dokumente eines reichen Lebens, sagt Christine Fraas, die über ihr Leben mit Hermine ein Buch geschrieben hat.
"Und das Leben ist ein anderes, ja, wenn so ein behindertes Kind ankommt, da muss sich die ganze Familie darauf einstellen und es ist manches wunderbar möglich und manches gar nicht möglich und es ist aber so, dass man sagen kann, es hat uns eigentlich gut getan."