Unterwegs mit einer Vor-Ort-Staatsanwältin in Berlin-Neukölln

Dem organisierten Verbrechen auf der Spur

Polizeifahrzeuge stehen bei einem Einsatz gegen arabische Großfamilien am 12.04.2016 vor einem Gebäude in Berlin im Bezirk Neukölln
Die Polizei wird bei Einsätzen gegen arabische Clans auch von der Staatsanwaltschaft begleitet. © picture alliance / dpa / Gregor Fischer
Von Eleni Klotsikas · 20.02.2018
Drogenhandel, Schutzgelderpressung, Raub, Menschenhandel und Prostitution – damit verdienen arabischstämmige Clans viel Geld. Um effektiver gegen die organisierte Kriminalität vorzugehen, begleiten Staatsanwälte die Polizei in Berlin-Neukölln nun bei ihren Einsätzen vor Ort.
Der Tross aus 29 Polizisten und Mitarbeitern des Ordnungsamtes hat sein Ziel erreicht: Eine Shisha-Bar im Berliner Problem-Bezirk Neukölln. Auch die Mitarbeiter des Ordnungsamtes tragen schuss- und messerstichsichere Westen – in Neukölln gehört das zu ihrer Arbeitsausrüstung. Dabei werden an diesem Abend nur Gewerbe- und Personenkontrollen durchgeführt.
"Präsenz zeigen ist, glaube ich, das Stichwort für das, was wir hier machen, wir zeigen, der Staat hat hier durchaus noch beide Beine auf dem Boden …"
… sagt Jens Steinmann, ein Mitarbeiter der Bezirksbürgermeistern Franziska Giffey, Initiatorin polizeilicher Großeinsätze in Neukölln.
Mittendrin Veronika Berger. Die schlanke Oberstaatsanwältin ist auf Organisierte Kriminalität spezialisiert. Sie weiß, wie schnell die Lage außer Kontrolle geraten kann. Wenn sie Hausdurchsuchungen bei gewissen Clanmitgliedern anordnet, dann nur mit Hilfe eines Sondereinsatzkommandos. Heute ist die erfahrende Oberstaatsanwältin vor Ort, um der Polizei bei ihrer Arbeit über die Schulter zu schauen. Es geht darum, ein Gespür für ein Milieu zu entwickeln, in dem sie immer wieder gegen einzelne Personen ermittelt.
"Es ist natürlich der Gedanke dabei zum einen, dass man sein Revier in Anführungszeichen kennen sollte. Wichtig ist es auch für die Personen, die beim Bezirksamt arbeiten oder auch für die Abschnitte, dass sie einfach wissen, da ist tatsächlich jemand, der sich interessiert."

Unbeeindruckt vom Großaufgebot der Polizei

Mittlerweile haben sich die Polizisten und die Mitarbeiter des Ordnungsamtes in der Shisha-Bar verteilt. Einer der Beamten weist den Kellner an, die Musik auszumachen. Der junge Mann in dem weißen Kapuzenshirt weigert sich. Doch die Beamten setzen sich durch.
Sieben Männer mittleren Alters, Gäste der Bar, machen es sich auf den Sesseln und Sofas bequem, inhalieren den Dampf der blubbernden Wasserdampfpfeifen. Sie zeigen sich sichtlich unbeeindruckt vom polizeilichen Großaufgebot. Der Einsatz dauert etwa eine dreiviertel Stunde, die Gewerbepapiere scheinen in Ordnung, doch die Beamten beschlagnahmen zwei Waffen.
"Wir haben jetzt in einem Lagerraum zwei verbotene Gegenstände gefunden, eine Taschenlampe, die eigentlich ein Elektroschocker ist, die fällt unter das Waffengesetz als verbotener Gegenstand, dann haben in der Jacke einer der Gäste ein nicht zugelassenen Pfefferspray."
Die Staatsanwältin hört aufmerksam zu. Beide tauschen im Laufe des Abends viele Informationen aus, es fallen Namen von verdächtigen Clans und deren Aktivitäten. Es geht darum im Kampf gegen die Organisierte Kriminalität, einzelne Puzzleteile zu einem großen Ganzen zusammenzufügen.
"Man hat viele Zusammenhänge nicht erkannt, dass man beispielsweise die Bandenzugehörigkeit nur dann feststellen kann, wenn man überhaupt den Überblick darüber hat, welche Straftaten einzelne Personen begangen haben."
Nächste Station eine Kneipe namens "Easy Cafe". Drinnen hängen an den Wänden Schals des türkischen Fussballclubs "Galatasary Istanbul". Auf einem Tisch steht ein Käfig mit zwei Wellensittichen. Hinter dem Tresen kommt ein älterer Mann mit Halbglatze und weißem Schnurrbart hervor. Er spricht kaum Deutsch. Die Beamten schauen sich um, fragen den Mann, was sich im verriegelten Zimmer im hinteren Bereich des Ladens befindet. Der Mann zuckt mit den Achseln. Schließlich finden die Beamten einen Schlüssel und öffnen die Tür. In einer Schublade finden sie eine Feinwaage und über ein Kilo Gramm Mariuhana in kleine Einheiten portioniert, auf einem Couchtisch liegt ein Messer und ein Schneidebrett. Doch der Dealer ist weg. Das Fenster steht sperrangelweit offen. Jens Steinmann fasst die Lage nüchtern zusammen:
"In dem ganz speziellen Fall dürfte uns der eigentliche Händler abhanden gekommen sein, der angemeldete Betreiber ist uns bekannt, und wer der Hintermann ist, ganz klar, da kann man dann nur auf Hinweise gucken."

15 Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten

Der ältere Herr am Tresen mit dem Schnurrbart wirkt verängstigt. Er gibt an, Hartz-IV-Empfänger zu sein und arbeite nur auf Probe hier, den Besitzer kenne er gar nicht. Wem dieser Laden wirklich gehört und wer hinter dem Drogengeschäft steckt, bleibt den Beamten zu diesem Zeitpunkt unbekannt. Aus Erfahrung wissen sie, dass es nicht lange dauert, bis ein neuer Strohmann den Laden, den sie heute verriegeln, wieder eröffnet.
Gegen Mitternacht endet der Großeinsatz. Bilanz der Polizei: Insgesamt 15 Strafanzeigen und 15 Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten in mehreren Lokalitäten. Oberstaatsanwältin Veronika Berger hat einen langen Tag mit 16 Stunden Arbeit hinter sich. Schon früh morgens hat sie Akten durchgearbeitet und stand im Gerichtssaal. Was ihr dieser Polizeieinsatz gebracht hat, kann sie noch nicht abschließend beurteilen:
"Man erhält Erkenntnisse, die auf den ersten Blick vielleicht gar nicht interessant sind, also wer ist wo aufgefallen, wo treffen sich verschiedene Personen, die im Rahmen eines späteren Verfahrens noch von großer Bedeutung sein können. Es ist ein Puzzle."
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