Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht

Viele Opfer, wenig schuldig Gesprochene

Menschengruppen vor der Kulisse des Kölner Doms, dazwischen Rauchschwaden.
Menschen in der Silvesternacht 2015/2016 auf dem Vorplatz des Hauptbahnhofs in Köln. © dpa / Markus Böhm
Von Vivien Leue · 25.10.2017
Der Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht 2015/2016 absolvierte 59 öffentliche Sitzungen, vernahm 178 Zeugen und durchforstete zehntausende Seiten Aktenmaterial. Was er nicht leisten konnte: den Opfern Genugtuung zu verschaffen.
Köln, Silvesternacht 2015/2016: Zwischen Hauptbahnhof und Domplatz werden hunderte Frauen angegriffen, sexuell belästigt, zum Teil vergewaltigt und bestohlen. Auf Polizeivideos ist zu erkennen, dass die Beamten die Lage kaum noch unter Kontrolle haben.
"Die Ereignisse in Köln haben Angst bereitet, manche sprechen davon, dass sie einen Schock ausgelöst haben",
Peter Biesenbach, CDU-Abgeordneter im Landtag von Nordrhein-Westfalen, tritt etwa sechs Wochen später, im Februar 2016, vor die Presse.
"Und wir wollen daran gehen, das Vertrauen, das möglicherweise auch in unsere Sicherheitskräfte verloren gegangen ist, wiederherzustellen."
Biesenbach ist Vorsitzender des kurz zuvor vom Düsseldorfer Landtag eingesetzten Parlamentarischen Untersuchungsausschusses – dem PUA Silvesternacht, wie er fortan intern genannt wird.
"Es darf nicht sein, dass der Eindruck entsteht, in Köln oder in Deutschland oder in Nordrhein-Westfalen geht der Rechtsstaat einmal spazieren oder er macht Pause."
Biesenbach und seine elf Kollegen aus dem Untersuchungsausschuss sollen unter anderem herausfinden, wie es zu den Geschehnissen der Kölner Silvesternacht kommen konnte und warum die Öffentlichkeit erst relativ spät, einige Tage nach Silvester, von den hunderten Übergriffen erfuhr.
Schon nach den ersten Sitzungen und Zeugenvernehmungen zeichnen sich Ergebnisse ab, erklärt später der FDP-Abgeordnete und Ausschussmitglied Marc Lürbke:
"Es zeigen sich Fehler beispielsweise bei der Kommunikation, beim Personaleinsatz und und und. Und das sind grundsätzliche Strukturen, die müssen halt einfach verändert werden, da muss man sich aber auch die Zeit nehmen, die sauber aufzudecken, damit sie dann auch verändert werden können."
Immer mehr wird klar: Die Polizei und die Stadt Köln haben in der Silvesternacht schwere Fehler gemacht. So seien viel zu wenige Polizisten vor Ort gewesen, erklärt einer der Zeugen, der Kriminologe Rudolf Egg:
"Diese Kölner Silvesternacht ist für mich eine Nacht der Hilflosigkeit. Nicht nur der Opfer, sondern auch der Sicherheitskräfte, die vor Ort waren. Was sollen denn zwei Polizisten machen, wenn da tausend Männer den Platz beherrschen, was sollen die denn tun?"
Schon bei der Einsatzplanung hätten Erkenntnisse über Gruppen nordafrikanischer Männer, die seit einiger Zeit dadurch auffielen, dass sie Frauen "antanzten" und dann beklauten, mit einfließen müssen, heißt es. In diesem Punkt sehen die Ausschussmitglieder von CDU und FDP auch die damalige rot-grüne Landesregierung mit in der Verantwortung, erklärt die CDU-Abgeordnete Ina Scharrenbach:
"Wir kommen zu der Feststellung, dass dies nicht ausreichend durch das Landesinnenministerium begleitet wurde, insbesondere bei der Frage, wie geht man denn in der Bekämpfung dieser aufwachsenden Kriminalitätslage vor."

Neues Gewalt-Phänomen

Das Phänomen der massenhaften sexuellen Übergriffe sei zwar tatsächlich neu gewesen, berichten mehrere Zeugen. Allerdings hätten viele dieser Übergriffe wohl verhindert werden können, wenn schon bei den ersten Straftaten frühzeitig und entschlossen durchgegriffen worden wäre – so die Erkenntnis des Ausschusses.
Aber: Die Kölner Polizei, Landes- und Bundespolizei und die Bahnhofsmitarbeiter – sie alle waren in der Silvesternacht 2015/2016 offenbar überfordert. Straftaten wurden nicht schnell genug an die Einsatzleiter weitergegeben, sodass diese erst viel zu spät realisierten, dass es nicht nur vereinzelte, sondern massenhafte Übergriffe gab.
Der Vorsitzende der Polizeigewerkschaft in Nordrhein-Westfalen, Arnold Plickert, hat die Arbeit des Untersuchungsausschusses verfolgt. Er kann den Wunsch nach einer öffentlichen Aufarbeitung dieser Vorkommnisse nachvollziehen – auch wenn die Polizei selbst einen solchen Untersuchungsausschuss nicht gebraucht hätte.
"Für Polizei ist das eine Standardmaßnahme. Wir bewerten alle Einsätze, die gewalttätig sind, in großem Maße immer nach, um zu fragen: Haben wir uns richtig aufgestellt, gibt's Verbesserungsmöglichkeiten. Also wenn der Parlamentarische Untersuchungsausschuss nicht getagt hätte, hätten wir über unsere internen Arbeitsgruppen heute die gleichen Ergebnisse."
Zumindest, was den polizeilichen Aspekt der Geschehnisse anbelangt.

Auch Ministerpräsidentin musste als Zeugin aussagen

Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss hat zusätzlich noch auf die politischen Verantwortlichkeiten geschaut. So musste auch die damalige Ministerpräsidentin Hannelore Kraft, SPD, als Zeugin aussagen. Im Raum stand die Frage, ob die rot-grüne Landesregierung die Geschehnisse möglicherweise vertuschen oder zumindest herunterspielen wollte. Denn obwohl es schon am 1. Januar erste Meldungen zu den Geschehnissen gab, äußerte sich die Landesregierung erst einige Tage später dazu. Hannelore Kraft sagte vor dem Untersuchungsausschuss, sie habe diese ersten Meldungen nicht erhalten:
"Ich sage auch deutlich, hätte ich die drei Meldungen gekannt, wäre ich auch nicht alarmiert gewesen. Heute wissen wir alle, welche Dimension es an Silvester hatte. Es war damals ein neues Gewaltphänomen."
Dieser Punkt und die Frage, inwieweit die Landesregierung und hier insbesondere das Landesinnenministerium sich schon im Vorfeld stärker in die Einsatzplanung hätte einmischen müssen, führten nach 59 öffentlichen Sitzungen, 178 Zeugenvernehmungen und der Durchsicht von zehntausenden Seiten Aktenmaterial letztlich dazu, dass es zum Streit über den Abschlussbericht kam. FPD-Ausschussmitglied Marc Lürbke:
"Rot-Grün hat in diesem Ausschuss ganz offensichtlich nicht die Wahrheit, die Fehler gesucht, sondern Schuldige, die aber keinesfalls, so war offensichtlich von vornherein klar, keinesfalls in der Landesoberbehörde oder im Innenministerium sitzen dürfen."
Dennoch: Der Parlamentarische Untersuchungsausschuss zur Kölner Silvesternacht hat in großem Maße dazu beigetragen, dass die Geschehnisse vom 31. Dezember 2015 und 1. Januar 2016 öffentlich aufgearbeitet wurden. Unter dem Strich stehen viele Fehler. Der Abschlussbericht zeigt auf, dass die involvierten Behörden den Einsatz nicht gut oder nicht gut genug vorbereitet und dass viele Beamte Situationen falsch eingeschätzt haben oder einfach nur überfordert waren.
Eines konnte der Untersuchungsausschuss aber natürlich nicht leisten: den Opfern Genugtuung verschaffen. Denn es gibt auf Seiten der Einsatzkräfte eben nicht DEN Schuldigen, der das alles hätte verhindern können. Und die Schuldigen der Silvesternacht, die sind im Chaos der Geschehnisse größtenteils davongekommen.
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