"Ein guter Chef kann loslassen"
33:50 Minuten
Mit Anfang 30 wird Insa Klasing Deutschland-Chefin einer großen Fast-Food-Kette. Dann bricht sie sich beide Arme – und ändert ihren Führungsstil radikal. Sie wird zur 2-Stunden Chefin. Heute unterstützt sie andere in ihrer Karriere und im Loslassen.
Als Chef genügt es, nur zwei Stunden am Tag zu führen, davon ist Insa Klasing überzeugt. Das bedeutet für sie aber nicht, wenig zu arbeiten. "Ein Chef sollte nicht nach zwei Stunden nach Hause gehen und zum Frühstücksdirektor werden", sagt sie. Stattdessen gehe es darum, als Führungskraft Zeit zu haben, um eine Vision für das Unternehmen zu entwickeln.
Autonomie als Schlüssel
Es sei die Rolle des Chefs, den Rahmen für Erfolg zu schaffen – und die Aufgabe der Mitarbeiter, diesen Rahmen zu füllen. Der Schlüssel dafür: Autonomie. Der Mitarbeiter hat dadurch die Macht zu priorisieren und kann Dinge weglassen, die unnötig sind. "Dadurch schärfen wir den Blick fürs Wesentliche", meint Insa Klasing. "Die ganze Präsenzkultur bringt gar nichts." Ihre Erfahrung: Die deutsche Unternehmenskultur wird vielerorts geprägt von Kontrolle, dadurch wird Autonomie ausgeschlossen und Kreativität gebremst.
Der Unfall als Chance
Als Insa Klasing nach einem Reitunfall mit zwei gebrochenen Armen aufwacht, ist ihre erste Frage: "Wann bin ich zurück in der Firma?" Die Krankenschwester antwortet daraufhin, dass ihr Körper das selbst entscheiden werde. Für die Unternehmerin Klasing zunächst eine seltsame Antwort. "Da hätte sie genauso gut Chinesisch sprechen können, denn bis dato hatte mein Körper rein gar nichts zu sagen", erinnert sie sich. Heute schaut sie lachend auf dieses Ereignis zurück und resümiert: "Der Unfall war das Beste, was mir passieren konnte." Durch den Unfall habe sie gelernt, loszulassen, zu vertrauen und weniger zu kontrollieren.
Von Norddeutschland bis nach Kenia
In Hannover geboren, in Wilhelmshaven aufgewachsen, ist Insa Klasing ein Küstenkind. Sie liebt an Norddeutschland, dass Klartext gesprochen wird und es eine ganz große Ehrlichkeit unter den Menschen gibt – verbunden mit einem gesunden Maß an Selbstironie. "Und es gibt natürlich – und das zelebriere ich bis heute – die Geselligkeit, bei einer Tasse Tee zusammenzukommen und zu klönen."
Für ihr Studium verlässt sie ihre Heimat, studiert in Oxford Politik, Philosophie und Wirtschaft und geht nach Indien, um sich dort in der Entwicklungszusammenarbeit zu engagieren. Diese Erfahrung prägt sie als Unternehmerin. "In Europa wachsen wir mit Selbstverständlichkeiten auf, die ich Indien zu schätzen gelernt habe", erzählt Klasing – zum Beispiel das kostenlose Gesundheitssystem oder die soziale Sicherheit in Deutschland.
Doch Klasing bleibt nicht in der Entwicklungszusammenarbeit, sie wird Unternehmerin. Mit Anfang 30 (*) wird sie Deutschland-Chefin von Kentucky Fried Chicken, heute leitet sie ein Start-up. Ihr Interesse für den globalen Süden ist geblieben: Demnächst fliegt sie im Auftrag des Weltwirtschaftsforums ins größte Flüchtlingslager Kenias nach Kakuma, um dort ihre Erfahrungen als Unternehmerin weiterzugeben.
Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Transformation
Insa Klasing verlässt mit Ende 30 den sicheren Arbeitsplatz und gründet das Start-up "TheNextWe". "Vom CEO zum Gründer: Das ist ein großer Sprung in der Platte. Ein bisschen wie bei Monopoly: Gehe nicht zurück auf Los, ziehe nicht 200 Euro ein", sagt sie.
Insa Klasing ist überzeugt: "Die deutsche Wirtschaft steckt in einer Transformation." Und sie ist angetreten, um diese Transformation mitzugestalten. "In dem Land der Ingenieure konzentrieren wir uns darauf, Methoden, Prozesse und Strategien zu digitalisieren. Dabei gelingt es uns in den wenigsten Fällen, die Menschen mitzunehmen", analysiert Klasing. Unternehmerischer Erfolg und Höchstleistungen sind ihrer Meinung nach nur möglich, wenn Menschen sich mit ihrer Arbeit identifizieren und wissen, was sie warum tun. Genau das möchte sie mit ihrem Start-up erreichen.
In vielen Gremien die einzige Frau
In vielen Gremien ist Insa Klasing, wie sie erzählt, die einzige Frau. Die Hälfte der Bevölkerung ist weiblich, aber nur ein Bruchteil der Entscheidungen weltweit werden von Frauen gefällt. "Wir müssen ja nur die Zeitung aufschlagen oder den Fernseher anschalten. Die Gesellschaft ist ganz klar von Männern dominiert. Das muss sich ändern. Wir brauchen mehr Diversität." Je diverser die Köpfe seien, die an einer Lösung arbeiten, desto besser sei das Ergebnis.
"Wenn wir uns die Bankenkrise oder den Dieselskandal anschauen, dann ist das auch ein Ergebnis vom sogenannten Group-Think: Sehr ähnliche Menschen sitzen am Tisch, schauen mit sehr ähnlichen Perspektiven auf die Probleme." Mehr Diversität in Führungspositionen und in der Wirtschaft, so Klasing, seien besser für alle.
(kl/sus)
* Alter korrigiert