Unterm Brennglas der Emotionen
Der israelische Erzähler Amos Oz ging als 15-Jähriger in einen Kibbuz. Nun ist er literarisch an diesen Ort zurückgekehrt, an dem er etwas weniger als die Hälfte seines Lebens verbracht hat. "Unter Freunden" heißt seine Sammlung von acht Kurzgeschichten.
In den Jahrzehnten vor und nach Gründung Israels galten die Kibbuzim als die Säulen des Staates. In ihnen wurde eine neue Gesellschaftsordnung erprobt und der "neue Hebräer" geschaffen: kräftig, selbstbewusst und anspruchslos, idealistisch und charakterfest, dem Kollektiv und sozialistischen Idealen stärker verbunden als der Religion. Aus dem Kibbuz rekrutierten sich bis weit in die 1970er Jahre die Eliten des Landes.
Mittlerweile hat der Kibbuz seine Bedeutung eingebüßt. Die israelische Gesellschaft insgesamt ist verbürgerlicht, Gemeinschaftseigentum schon längst kein reizvolles Konzept mehr. Das Land lebt von Hightech, idealisiert dynamische Start-Up-Unternehmer statt Traktorfahrer im Unterhemd.
Amos Oz, der große israelische Erzähler, geboren 1939 in Jerusalem, ging als 15-Jähriger in einen Kibbuz. Er lebte dort mehr als 30 Jahre. Nun ist er literarisch an diesen Ort zurückgekehrt, an dem er etwas weniger als die Hälfte seines Lebens verbracht hat. "Unter Freunden" heißt seine Sammlung von acht Kurzgeschichten, die man auch als Roman lesen kann. Sie alle spielen am selben Ort: im fiktiven Kibbuz Jikhat. Zwei oder drei seiner Bewohner stehen jeweils im Mittelpunkt einer Geschichte. Sie tauchen in den folgenden dann wieder als Hintergrundpersonal auf.
Es ist aus heutiger Sicht eine fast märchenhafte Welt, in die Oz den Leser entführt. Sie wirkt fern, die Menschen, die uns der Autor vorstellt, erzeugen einen Eindruck von Rührung und Erstaunen, wie er manchmal bei Ansicht eines alten Dokumentarfilms entsteht. Und das, obwohl keineswegs märchenhafte Verhältnisse beschrieben werden. Da verführt der charismatische Lehrer des Kibbuzes mit über 50 die siebzehnjährige Tochter seines Freundes; ein Fünfjähriger wird von Spielkameraden gedemütigt, nachts stürmt sein Vater ins Kinderhaus und schlägt wild auf einen Jungen ein, der nichts damit zu tun hatte; der verantwortungsbewusste Kibbuzsekretär beruhigt eine Frau, die ihren Mann verlassen will – und merkt, dass er selbst sie begehrt.
Verzicht, Verlangen, Liebe, Einsamkeit und der Schmerz, der entsteht, wenn die Lebenswirklichkeit den tieferen Sehnsüchten von Menschen keinen Raum lässt – das sind die Themen dieser Geschichten. Man könnte sie überall auf der Welt finden, in Amos Oz‘ Kibbuz Jikhat aber werden sie wie unter einem Brennglas sichtbar. Schnörkellos, ohne ein Wort zu viel, erzählt der Autor, und was er nicht benennt, ist dennoch spürbar: die Trauer über eine aufgegebene Utopie, das altersweise Einsehen in die Bedingtheit der Menschen.
Der Autor – immer wieder wechselt er von der auktorialen Erzählform in ein "wir" - verneigt sich noch einmal vor der Generation, die ihn geprägt hat. Die Entbehrungen ertrug, weil sie feste Vorstellungen davon hatte, wie in einem neuen Staat, unter Freunden, zu leben sei. Und die sich Gewalt antat, indem sie Zweifel unterdrückte und individuelle Entfaltung dem Kollektiv zuliebe behinderte. Doch so wie Oz diese Menschen beschreibt, möchte man sie gekannt haben.
Besprochen von Carsten Hueck
Mittlerweile hat der Kibbuz seine Bedeutung eingebüßt. Die israelische Gesellschaft insgesamt ist verbürgerlicht, Gemeinschaftseigentum schon längst kein reizvolles Konzept mehr. Das Land lebt von Hightech, idealisiert dynamische Start-Up-Unternehmer statt Traktorfahrer im Unterhemd.
Amos Oz, der große israelische Erzähler, geboren 1939 in Jerusalem, ging als 15-Jähriger in einen Kibbuz. Er lebte dort mehr als 30 Jahre. Nun ist er literarisch an diesen Ort zurückgekehrt, an dem er etwas weniger als die Hälfte seines Lebens verbracht hat. "Unter Freunden" heißt seine Sammlung von acht Kurzgeschichten, die man auch als Roman lesen kann. Sie alle spielen am selben Ort: im fiktiven Kibbuz Jikhat. Zwei oder drei seiner Bewohner stehen jeweils im Mittelpunkt einer Geschichte. Sie tauchen in den folgenden dann wieder als Hintergrundpersonal auf.
Es ist aus heutiger Sicht eine fast märchenhafte Welt, in die Oz den Leser entführt. Sie wirkt fern, die Menschen, die uns der Autor vorstellt, erzeugen einen Eindruck von Rührung und Erstaunen, wie er manchmal bei Ansicht eines alten Dokumentarfilms entsteht. Und das, obwohl keineswegs märchenhafte Verhältnisse beschrieben werden. Da verführt der charismatische Lehrer des Kibbuzes mit über 50 die siebzehnjährige Tochter seines Freundes; ein Fünfjähriger wird von Spielkameraden gedemütigt, nachts stürmt sein Vater ins Kinderhaus und schlägt wild auf einen Jungen ein, der nichts damit zu tun hatte; der verantwortungsbewusste Kibbuzsekretär beruhigt eine Frau, die ihren Mann verlassen will – und merkt, dass er selbst sie begehrt.
Verzicht, Verlangen, Liebe, Einsamkeit und der Schmerz, der entsteht, wenn die Lebenswirklichkeit den tieferen Sehnsüchten von Menschen keinen Raum lässt – das sind die Themen dieser Geschichten. Man könnte sie überall auf der Welt finden, in Amos Oz‘ Kibbuz Jikhat aber werden sie wie unter einem Brennglas sichtbar. Schnörkellos, ohne ein Wort zu viel, erzählt der Autor, und was er nicht benennt, ist dennoch spürbar: die Trauer über eine aufgegebene Utopie, das altersweise Einsehen in die Bedingtheit der Menschen.
Der Autor – immer wieder wechselt er von der auktorialen Erzählform in ein "wir" - verneigt sich noch einmal vor der Generation, die ihn geprägt hat. Die Entbehrungen ertrug, weil sie feste Vorstellungen davon hatte, wie in einem neuen Staat, unter Freunden, zu leben sei. Und die sich Gewalt antat, indem sie Zweifel unterdrückte und individuelle Entfaltung dem Kollektiv zuliebe behinderte. Doch so wie Oz diese Menschen beschreibt, möchte man sie gekannt haben.
Besprochen von Carsten Hueck
Amos Oz: Unter Freunden
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Suhrkamp, Berlin 2013
215 Seiten, 18,95 Euro
Aus dem Hebräischen von Mirjam Pressler
Suhrkamp, Berlin 2013
215 Seiten, 18,95 Euro
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