Unterhaltung für starke Nerven

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack |
"Helden der Nacht" bietet einen düsteren New-York-Thriller um einen Nachtclub in Brooklyn, in dem sich die russische Mafia trifft. Im Mittelpunkt der Geschichte stehen zwei verfeindete Brüder. "Sweeny Todd - Der teuflische Barbier aus der Fleet Street" ist ein ungewöhnliches Musical, in dem viel Blut fließt - mit einem singenden Johnny Depp.
Helden der Nacht - We Own the Night
USA 2007, Regie: James Gray, Hauptdarsteller: Joaquin Phoenix, Eva Mendes, Mark Wahlberg, ab zwölf Jahren

Regisseur und Drehbuchautor James Gray, Jahrgang ´69, ist einer der spannendsten wie unbekanntesten New Yorker Genre-Filmemacher überhaupt. Der in den letzten 13 Jahren lediglich drei Filme gedreht hat, aber zumindest die ersten beiden haben es wirklich in sich und beinhalteten "Scorsese-Nachfolge-Hoffnungen": 1995 stellte er seinen Debütfilm "Little Odessa" (mit u.a. Edward Furlong, Maximilian Schell, Vanessa Redgrave) bei den Filmfestspielen von Venedig vor und gewann den "Silbernen Löwen".

Im Jahr 2000 lief auf den Filmfestspielen von Cannes sein zweiter Film "The Yards - Im Hinterhof der Macht", der wieder so eine düstere Familien-Mafia-Geschichte erzählte (cineastisch á la "Der Pate" trifft "Rocco und seine Brüder" mit Mark Wahlberg, Joaquin Phoenix, Charlize Theron, James Caan, Ellen Burstyn, Faye Dunaway, Tony Musante), und der es hierzulande sogar nicht mal in die Kinos schaffte, sondern gleich auf Video "verramscht" wurde.

Und auch sein dritter Spielfilm hatte im Vorjahr beim Cannes-Festival Premiere. Er trägt den Originaltitel "We Own The Night" ("Die Nacht gehört uns"), und das war Ende der 80er Jahre eine Art "Schlachtruf" der New Yorker Polizei, als sie sich im Kampf gegen die russische Drogen-Mafia befand. Dabei starben zahlreiche Polizisten, und deshalb hingen Transparente mit diesem Aufdruck in den Polizeiwachen. Aber James Gray geht es (wiederum) nicht um die blutigen authentischen Auseinandersetzungen zwischen Recht und Verbrechen, um die historischen Details, sondern (erneut) um ein Familiendrama, das sich wie eine griechische Antiken-Tragödie ausnimmt: zwei ungleiche Brüder. Joseph und Robert/Bobby. Joseph ist, genauso wie sein Vater, bei der Polizei, Bobby dagegen hat den Mädchennamen seiner Mutter angenommen, Greene, weil er nicht mit seiner - bekannten - New Yorker Polizei-Familie in Verbindung gebracht werden will.

Bobby leitet für die russische Mafia einen florierenden Nachtclub. Als dieser, samt Boss, der wie ein Ersatzvater für ihn ist, ins Visier der Polizei gerät, muss sich Bobby entscheiden. Aber erst als sein Bruder angeschossen und schwer verletzt wird, wechselt er endgültig die Seiten. Und gerät nun auch selbst unter "scharfen Beschuss". Ein düsterer New York-Thriller mit atmosphärischen Bildern (sensationell eingefangen - eine halsbrecherische Autoverfolgungsjagd im Platzregen), einer getragenen Seelen-(Qual-)Stimmung und überzeugend-guten Akteuren.

Allerdings: Längst nicht von solcher Konsequenz, Kraft und (Gesellschafts-)Stimmung wie bei den originelleren Vorgängern wie "GoodFellas" bzw. "Departed" von Scorsese oder (kürzlich erst) "Tödliche Versprechen" von David Cronenberg. Zudem: Da sich James Gray fast nur um die seelischen Innereien seiner Family-Helden kümmert, bleiben wirkliche Überraschungen, Wendungen, Krimi-Kribbeleien aus. Der 36-jährige Mark Wahlberg ("Shooter", "Departed", "Boogie Nights") und der 33-jährige Joaquin Phoenix (Johnny Cash in "Walk The Line", "Signs - Zeichen", "Gladiator") sind als lange Zeit verfeindete Brüder absolut okay, während "Oscar"-Preisträger Robert Duvall ("Apocalypse Now"; "Open Range - Weites Land") routiniert den Vater-Leitwolf-Polizisten mimt.

Fazit: Ein solider, aber nur manchmal richtig (an-)packender Schwermut-Thriller, mit (zu) viel bekanntem, erzählerisch abgewetztem Psycho-Geschmack.

<im_42909>"Sweeny Todd" (NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DEM FILMSTART)</im_42909>Sweeny Todd - Der teuflische Barbier aus der Fleet Street
USA 2007, Regie: Tim Burton, Hauptdarsteller: Johnny Depp, Helena Bonham Carter, ab 16 Jahren

Der heute 49-jährige Kalifornier Tim Burton (geb. am 25. August 1958 in Burbank) zählt zu den - im besten Sinne - schrägsten Filmemachern Hollywoods. Er hat witzige, morbide, bizarre, originelle Werke wie "Pee Wee´s irre Abenteuer" (Debüt 1985), "Beetlejuice" (1988), "The Nightmare Before Christmas" (1993, Stop-Motion-Pupppentrickfilm) oder das noch unentdeckte Meisterwerk "Big Fish" (2003) geschaffen.

Eines seiner Markenzeichen: Er setzt für seine Filme regelmäßig dieselben Schauspieler ein wie z.B. seine Lebenspartnerin Helena Bonham Carter, mit der er seit den Dreharbeiten zu "Planet der Affen" 2001 liiert ist und inzwischen zwei Kinder hat. Seit 1990 aber schon arbeitet er vorwiegend mit Johnny Depp zusammen und hat mit dem jetzigen Piraten-Superstar ("Fluch der Karibik 1-3") insgesamt sechs Produktionen verwirklicht: "Edward mit den Scherenhänden" (1990), "Ed Wood" (1994, "Golden Globe"), "Sleepy Hollow - Köpfe werden rollen" (1999), "Charlie und die Schokoladenfabrik" (2005, "Golden Globe"), "Corpse Bride - Hochzeit mit einer Leiche" (2005, Animationsfilm, Depp spricht die Hauptfigur) sowie nun auch den aktuellen Film.

Er basiert auf einem Broadway-Musical von Stephen Sondheim (Musik) und Hugh Wheeler (Buch), das eine Groschenroman-Serie aus der Mitte des 19. Jahrhunderts zum wahrscheinlichen Vorbild hat, am 1. März 1979 in New York uraufgeführt wurde und dann mit gleich neun Bühnen-"Oscars", den "Tony Awards", ausgezeichnet wurde (und nach 557 Vorstellungen bis zum 29. Juni 1980 dort lief). 1984 nahm die New York City Opera das Stück in ihr Repertoire auf, danach folgten andere Opernhäuser weltweit, darunter auch die Komische Oper Berlin.

24 Songs werden hier in rund zweieinhalb Stunden geträllert, das gesprochene Wort ist hier also zweitrangig. Das heißt: Johnny Depp darf hier ständig (mit-)singen. In einer Geschichte, die an Motive des französischen Rache-Klassikers "Der Graf von Monte Christo" erinnert: Der Titel-Barbier kehrt nach 15-jähriger unschuldiger Strafkolonie in Australien in das viktorianisch-düstere London zurück. Einst hieß er Benjamin Barker, war ein glücklicher Ehemann und Familienvater. Doch ein schurkischer Richter neidete ihm die schöne Frau und schickte ihn unter falscher Anklage in die Verbannung. Jetzt nennt er sich Sweeney Todd, hält seine Ehefrau für tot, sieht seine heranwachsende Tochter als Mündel seines Todfeindes, Richter Turpin, in einem "Goldenen Käfig" ein unglückliches Leben fristen und nimmt Rache.

Zu seiner Liebschaft-Komplizin wird die nett-"schmuddlige" verwitwete Fleischpastetenbäckerin, Mrs. Lovett. Denn seine künftig-reichlichen "Frischfleischlieferungen" werden in ihrem (ziemlich heruntergekommenen, abgeschriebenen) Laden nunmehr zum Gourmet-Knaller der Gegend. Und Sweeneys Blut-Hunger ist gigantisch. Doch dann beginnt sich das auszubreiten, was gemeinhin "Schicksal" bedeutet..... Zunächst.

Fazit: Zartbesaitete sollten vorsichtig sein, hier sprudeln die Blut-Fontänen in einem für Musicals ungeahnten, ungewohnten Ausmaß. Wo sonst fröhliche Menschen beschwingt-rhythmisch die heile Welt umgarnen, darf hier ein diabolischer Barbier das Kehledurchschneiden in epischer Breite und bei lautem Singsang makaber Dauerausüben.

Das Musical als bigottes Schauer-Märchen also, mit Anklängen an "Jack, The Ripper" etwa, mit Referenzen an den Stummfilm-Charme, an die "Prekariat"-Atmosphäre einer "Dreigroschenoper" oder auch an die Charles-Dickens-Elendigkeit. Visuell eher konventionell-"überschaubar" (also ohne große Optik-Opulenz) dargeboten, "eigenwillig" halt mit dem Genre Musical "hantierend", mit den hübsch-"wackligen" Stimmen der beiden Stars Depp und Carter und mit einem namhaften Ensemble drumherum: Der auf Bösewichtrollen spezialisierte Alan Rickman ("Stirb langsam", "Robin Hood - König der Diebe", der Severus Snape in den "Harry Potter"-Filmen, aber auch "Snow Cake", mit Sigourney Weaver, Berlinale-Eröffnungsfilm von 2006) ist ein dämonischer Richter-Satan.

Der dicke Timothy Spall (der Peter Pettigrew, genannt Wurmschwanz, in den "Harry Potter"-Filmen; neulich in Disneys Blöd-Komödie "Verwünscht") als sein fies-mieser Adlatus besitzt prima-schurkische Schleimer-Qualitäten; und - in einem furiosen Kurz-Auftritt - "Borat" Sacha Baron Cohen als köstlicher Pseudo-Italiener-Sweeney-Konkurrent halten das Darsteller-Niveau hoch. Eine sicherlich gewöhnungsbedüftige (Musical-)Unterhaltung, ausgesprochen schwarz- bzw. bluthumorig, was über die Dauer von 116 Minuten ganz ordentlich-"anders", aber keineswegs brillant unterhält. Amüsement für ein stabiles Nervenkostüm.