Unterhaltung für den Kopf
"Braintertainment" nimmt den Leser mit auf eine Reise durch den menschlichen Denkapparat. Wissenschaftliche Fakten über das Gehirn werden anschaulich vermittelt und durch feuilletonistische Beiträge begleitet - ein echtes Lesevergnügen mit viel Wissen und Humor.
Ohne Spaß kein Wissen. Freude und Humor sind für das Gehirn genauso wichtig wie Sauerstoff und Energie. Denn unsere Gehirnzellen funktionieren am besten in einer fröhlich entspannten Situation, Stress dagegen schränkt das Denken ein.
Wer weiß das besser, als Deutschlands bekanntester Hirnforscher Manfred Spitzer. Gemeinsam mit seinem Kollegen Wulf Bertram und zahlreichen weiteren Wissenschaftlern hat er deshalb dieses Prinzip zum Leitmotiv seines neuen Buches "Braintertaiment" gemacht. Herausgekommen ist: Unterhaltung für den Kopf, ein sachkundiger und zugleich amüsanter Blick in die komplexe Architektur unseres Gehirns, der eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft schlägt.
Hirnforschung ist viel zu spannend, um sie im Elfenbeinturm der Wissenschaft schlummern zu lassen, schreiben die Herausgeber. Auf 220 Seiten vermitteln sie eine Fülle von Fakten und Erkenntnisse, ohne dem Leser auf den Geist zu gehen.
Konkret erwartet uns ein spannender Spaziergang durch die Großhirnrinde, ein ausführlicher Rückblick in die Geschichte der Hirnforschung, erstaunliche Erläuterungen zu optischen Täuschungen, viele kritische Fragen zum Thema Psychopharmaka, eine sprachwissenschaftliche Untersuchung über die Namen der Hirnregionen, und Erkenntnisse über das Gehirn aus dem Denkapparat eines Kabarettisten, der früher Arzt war.
Los geht es mit einer grundlegenden Orientierung. Was liegt wo im Gehirn und hat welche Funktion? Wulf Bertram erklärt im ersten Kapitel Struktur und Aufbau des menschlichen Hirns. Verschiedene Zeichnungen veranschaulichen alle wichtigen Regionen. Wie vor einer großen Reise, werfen wir einen ausführlichen Blick auf die Landkarte unseres Gehirns, und verschaffen uns einen Überblick, bevor es weiter geht in die große weite Welt von Geist und Gehirn.
Dabei ist die Expedition nicht ungefährlich. Sie beginnt im zweiten Kapitel gleich mit ein paar Stromschlägen. Wir befinden uns bereits mitten im Thema, im Gehirn. Über uns hängt eine feucht-schwabbelige Masse, die man nicht berühren sollte - natürlich probiert es einer aus und - zack - erwischt ihn ein elektrischer Schlag. Die Wanderung durch ein stark vergrößertes Gehirn, das die Ausmaße einer Kathedrale hat, ist das erste Highlight auf der Reise durch den menschlichen Denkapparat.
Eine Erfahrung die Wissenschaftler sonst nur durch den Blick ihres Mikroskops erleben, im Buch beschrieben als sinnliche Wanderung. Gemeinsam mit dem Autor klettern die Leser über ein paar Millionen Nervenfasern, die zwischen Augen und Ohren Verbindungen schaffen, und erleben im Gehirn, wie unsere Sinne funktionieren.
Der Expeditionstrupp besteht aus einer Reihe hochkarätiger Forscher aus Neurobiologie, Psychiatrie und Medizin sowie Feuilletonautoren und - wie bereits erwähnt - einem Kabarettisten. Sie sind unsere Reiseleiter und verschaffen sie uns verständliche Einblicke in ihr Fachgebiet.
So erklärt uns zum Beispiel der Sprachwissenschaftler Axel Karenberg, warum der Hippocampus, Hippocampus, also Seepferdchen heißt. Als 1587 ein italienischer Anatom diesen in der Mitte des Gehirns liegenden Teil entdeckte, verglich er es vermutlich mit dem Bild eines geflügelten kleinwüchsigen Pferdes, das auf einem damals sehr berühmten Mosaik zu sehen war. Der Hippocampus hatte damit seinen Namen.
Und wir erfahren, dass Hirnforscher die meisten Begriffe für die verschiedenen Teile des Gehirns aus dem Vokabular der Architekten der Antike übernommen haben. Die Hirnkammern, Brücken, Dächer, Balken, Gruben und Vorhöfe unter der Schädeldecke haben ihren Namen meist bis heute behalten.
Wie das Gehirn in Cartoons aussieht und wie viel Grips eine Comicfigur mindestens braucht, erklärt uns der österreichscher Publizist Michael Freund. Das Gehirn unter dem Blick des Feuilletonisten kommt zu überraschenden Erkenntnissen.
Homer Simpsons Hirn zum Beispiel ist gerade mal so groß wie eine Wallnuss, besteht aus sieben Nervenzellen, von denen allerdings eine durch Alkohol zerstört wurde. Das wirkt sich nachteilig auf die Kommunikation zwischen den Wahrnehmungsorganen und der Reizverarbeitung im Gehirn der Comicfigur aus. Erkennbar an den vielen hirnrissigen Dialogen, die Homer führt, über die sich die Zuschauer aber immer wieder amüsieren.
Wer hier laut gelacht hat, steckt seinen Kopf im nächsten Kapitel gerne in den Computertomographen, um aus erster Hand zu erfahren, wie Emotionen in unserem Kopf entstehen. Die Biologin Katja Gaschler schreibt über Spiegelneuronen und mit welchen Mechanismen sie uns dazu veranlassen, Mitgefühl zu empfinden.
In einem der nächsten Kapitel diskutiert der Neurologe Josef Aldenhoff über Medikamente für das Gehirn. Brauchen wir Glückspillen oder wie viel Chemie verträgt die Psyche?
Diese Themenspannbreite und die fächerübergreifende Betrachtung sind ungewöhnlich und trotzdem geht das Konzept des Buches hervorragend auf. Das liegt zum einem an dem besten Vorwort, das man für so ein Sachbuch schreiben kann. Manfred Spitzer versteht es einfach, Lust auf Wissen zu machen. Sogar das ein oder andere etwas schwierigere Kapitel, von denen es in diesem Buch ein paar wenige gibt, erkämpft man sich als Leser nach der furiosen Einleitung freiwillig. Zudem haben die beiden Herausgeber darauf geachtet, dass die Kapitel sinnvoll aufeinander aufbauen. Was zunächst vielleicht wie eine Anthologie wirken mag, immerhin sind es 18 Autoren, die hier schreiben, entpuppt sich schnell als klug aufeinander aufbauende Geschichten, denen die beiden Herausgeber an verschiedenen Stellen selber ein paar spritzige Seiten hinzugefügt haben. Wulf Bertram Kapitels etwa über seinen Erfolg mit einer neuen Therapiemethode, der Mandelkernmassage, ist ein augenzwinkernder Blick auf die Praxis vieler Psychotherapeuten und ihr Umgang mit Erkenntnissen aus der Hirnforschung geworden. Am Ende kommentiert der Arzt und Kabarettist Eckard von Hirschhausen ironisch alle Kapitel. Eine gelungene Zusammenfassung, die den Leser mit viel Wissen und einer ordentlichen Portion Humor entlässt.
Ein amüsantes Buch, das Wissenschaft in sehr unterschiedlichen Facetten zeigt. Ironisch, witzig und anspruchsvoll. Durch die unterschiedlichen Betrachtungsweisen aus den verschiedenen Disziplinen erfährt man als Leser im eigenen Kopf, wie vielfältig und flexibel unser Geist sein kann. Dass sich das Gehirn während der Lektüre unmerklich, aber leibhaftig verändert, gehört zu den spannendsten Erkenntnissen, die dieses Buch vermittelt. Schreiben die Herausgeber vorn im Klappentext. Und sie haben Recht! "Brainteraintment" mitsamt seiner gesammelten Expeditionen in die Welt von Geist und Gehirn ist ein echtes Lesevergnügen.
Rezensiert von Susanne Nessler
Manfred Spitzer/Wulf Bertram (Hrsg.): Braintertainment. Expeditionen in die Welt von Geist und Gehirn
Schattauer Verlag 2006
248 Seiten, 29,95 Euro
Wer weiß das besser, als Deutschlands bekanntester Hirnforscher Manfred Spitzer. Gemeinsam mit seinem Kollegen Wulf Bertram und zahlreichen weiteren Wissenschaftlern hat er deshalb dieses Prinzip zum Leitmotiv seines neuen Buches "Braintertaiment" gemacht. Herausgekommen ist: Unterhaltung für den Kopf, ein sachkundiger und zugleich amüsanter Blick in die komplexe Architektur unseres Gehirns, der eine Brücke zwischen Wissenschaft und Gesellschaft schlägt.
Hirnforschung ist viel zu spannend, um sie im Elfenbeinturm der Wissenschaft schlummern zu lassen, schreiben die Herausgeber. Auf 220 Seiten vermitteln sie eine Fülle von Fakten und Erkenntnisse, ohne dem Leser auf den Geist zu gehen.
Konkret erwartet uns ein spannender Spaziergang durch die Großhirnrinde, ein ausführlicher Rückblick in die Geschichte der Hirnforschung, erstaunliche Erläuterungen zu optischen Täuschungen, viele kritische Fragen zum Thema Psychopharmaka, eine sprachwissenschaftliche Untersuchung über die Namen der Hirnregionen, und Erkenntnisse über das Gehirn aus dem Denkapparat eines Kabarettisten, der früher Arzt war.
Los geht es mit einer grundlegenden Orientierung. Was liegt wo im Gehirn und hat welche Funktion? Wulf Bertram erklärt im ersten Kapitel Struktur und Aufbau des menschlichen Hirns. Verschiedene Zeichnungen veranschaulichen alle wichtigen Regionen. Wie vor einer großen Reise, werfen wir einen ausführlichen Blick auf die Landkarte unseres Gehirns, und verschaffen uns einen Überblick, bevor es weiter geht in die große weite Welt von Geist und Gehirn.
Dabei ist die Expedition nicht ungefährlich. Sie beginnt im zweiten Kapitel gleich mit ein paar Stromschlägen. Wir befinden uns bereits mitten im Thema, im Gehirn. Über uns hängt eine feucht-schwabbelige Masse, die man nicht berühren sollte - natürlich probiert es einer aus und - zack - erwischt ihn ein elektrischer Schlag. Die Wanderung durch ein stark vergrößertes Gehirn, das die Ausmaße einer Kathedrale hat, ist das erste Highlight auf der Reise durch den menschlichen Denkapparat.
Eine Erfahrung die Wissenschaftler sonst nur durch den Blick ihres Mikroskops erleben, im Buch beschrieben als sinnliche Wanderung. Gemeinsam mit dem Autor klettern die Leser über ein paar Millionen Nervenfasern, die zwischen Augen und Ohren Verbindungen schaffen, und erleben im Gehirn, wie unsere Sinne funktionieren.
Der Expeditionstrupp besteht aus einer Reihe hochkarätiger Forscher aus Neurobiologie, Psychiatrie und Medizin sowie Feuilletonautoren und - wie bereits erwähnt - einem Kabarettisten. Sie sind unsere Reiseleiter und verschaffen sie uns verständliche Einblicke in ihr Fachgebiet.
So erklärt uns zum Beispiel der Sprachwissenschaftler Axel Karenberg, warum der Hippocampus, Hippocampus, also Seepferdchen heißt. Als 1587 ein italienischer Anatom diesen in der Mitte des Gehirns liegenden Teil entdeckte, verglich er es vermutlich mit dem Bild eines geflügelten kleinwüchsigen Pferdes, das auf einem damals sehr berühmten Mosaik zu sehen war. Der Hippocampus hatte damit seinen Namen.
Und wir erfahren, dass Hirnforscher die meisten Begriffe für die verschiedenen Teile des Gehirns aus dem Vokabular der Architekten der Antike übernommen haben. Die Hirnkammern, Brücken, Dächer, Balken, Gruben und Vorhöfe unter der Schädeldecke haben ihren Namen meist bis heute behalten.
Wie das Gehirn in Cartoons aussieht und wie viel Grips eine Comicfigur mindestens braucht, erklärt uns der österreichscher Publizist Michael Freund. Das Gehirn unter dem Blick des Feuilletonisten kommt zu überraschenden Erkenntnissen.
Homer Simpsons Hirn zum Beispiel ist gerade mal so groß wie eine Wallnuss, besteht aus sieben Nervenzellen, von denen allerdings eine durch Alkohol zerstört wurde. Das wirkt sich nachteilig auf die Kommunikation zwischen den Wahrnehmungsorganen und der Reizverarbeitung im Gehirn der Comicfigur aus. Erkennbar an den vielen hirnrissigen Dialogen, die Homer führt, über die sich die Zuschauer aber immer wieder amüsieren.
Wer hier laut gelacht hat, steckt seinen Kopf im nächsten Kapitel gerne in den Computertomographen, um aus erster Hand zu erfahren, wie Emotionen in unserem Kopf entstehen. Die Biologin Katja Gaschler schreibt über Spiegelneuronen und mit welchen Mechanismen sie uns dazu veranlassen, Mitgefühl zu empfinden.
In einem der nächsten Kapitel diskutiert der Neurologe Josef Aldenhoff über Medikamente für das Gehirn. Brauchen wir Glückspillen oder wie viel Chemie verträgt die Psyche?
Diese Themenspannbreite und die fächerübergreifende Betrachtung sind ungewöhnlich und trotzdem geht das Konzept des Buches hervorragend auf. Das liegt zum einem an dem besten Vorwort, das man für so ein Sachbuch schreiben kann. Manfred Spitzer versteht es einfach, Lust auf Wissen zu machen. Sogar das ein oder andere etwas schwierigere Kapitel, von denen es in diesem Buch ein paar wenige gibt, erkämpft man sich als Leser nach der furiosen Einleitung freiwillig. Zudem haben die beiden Herausgeber darauf geachtet, dass die Kapitel sinnvoll aufeinander aufbauen. Was zunächst vielleicht wie eine Anthologie wirken mag, immerhin sind es 18 Autoren, die hier schreiben, entpuppt sich schnell als klug aufeinander aufbauende Geschichten, denen die beiden Herausgeber an verschiedenen Stellen selber ein paar spritzige Seiten hinzugefügt haben. Wulf Bertram Kapitels etwa über seinen Erfolg mit einer neuen Therapiemethode, der Mandelkernmassage, ist ein augenzwinkernder Blick auf die Praxis vieler Psychotherapeuten und ihr Umgang mit Erkenntnissen aus der Hirnforschung geworden. Am Ende kommentiert der Arzt und Kabarettist Eckard von Hirschhausen ironisch alle Kapitel. Eine gelungene Zusammenfassung, die den Leser mit viel Wissen und einer ordentlichen Portion Humor entlässt.
Ein amüsantes Buch, das Wissenschaft in sehr unterschiedlichen Facetten zeigt. Ironisch, witzig und anspruchsvoll. Durch die unterschiedlichen Betrachtungsweisen aus den verschiedenen Disziplinen erfährt man als Leser im eigenen Kopf, wie vielfältig und flexibel unser Geist sein kann. Dass sich das Gehirn während der Lektüre unmerklich, aber leibhaftig verändert, gehört zu den spannendsten Erkenntnissen, die dieses Buch vermittelt. Schreiben die Herausgeber vorn im Klappentext. Und sie haben Recht! "Brainteraintment" mitsamt seiner gesammelten Expeditionen in die Welt von Geist und Gehirn ist ein echtes Lesevergnügen.
Rezensiert von Susanne Nessler
Manfred Spitzer/Wulf Bertram (Hrsg.): Braintertainment. Expeditionen in die Welt von Geist und Gehirn
Schattauer Verlag 2006
248 Seiten, 29,95 Euro