Untergang der Wunderwelt

08.04.2008
Sein Leben lang hat der französische Meeresforscher und Filmemacher Jacques Cousteau die Ozeane bereist. Er hat Bilder und Geschichten faszinierender Meeresbewohner mitgebracht und sich immer wieder für den Schutz der Meere eingesetzt. In den letzten Jahren seines Lebens hat er sein persönliches und umweltpolitisches Vermächtnis geschrieben.
Cousteaus Buch mit dem wunderbaren Titel "Der Mensch, die Orchidee und der Oktopus", das jetzt elf Jahre nach seinem Tod erschienen ist, ist ein leidenschaftliches und zum Teil wütendes Vermächtnis, das immer wieder angereichert ist mit persönlichen Erinnerungen und Anekdoten. Es ist sehr spannend geschrieben und gerade am Anfang hat es starke biographische Züge. Da erzählt Jacques Cousteau zum Beispiel wie er mit seinem Tauchboot einmal von einer Schlammlawine verschluckt wurde, und blind und orientierungslos im Meer ausharren musste – in dem Glauben, lebendig begraben zu sein.

Er beschreibt die Wunder und Schätze, die er und seine Freunde am Grund des Ozeans entdeckten. Man wird als Leser mitgerissen, von dieser anfangs naiven Faszination, die mit den Jahren übergeht in Fassungslosigkeit ob blinder Zerstörungswut und gedankenloser Verschmutzung der Meere.

Im Laufe des Buches wandelt sich die persönliche Geschichte immer mehr in einen wütenden Appell zum Umweltschutz. Da geht es zum Beispiel darum, welche leichtsinnigen Umweltrisiken Staaten und Unternehmen bewusst in Kauf genommen haben, um einen kurzfristigen wirtschaftlichen oder militärischen Vorteil zu erlangen.

Zwar weiß jeder von uns, dass es bis in die Achtzigerahre gedauert hat, bis in Europa Abgasbegrenzungen für Autos vorgeschrieben wurden, obwohl die negativen Auswirkungen des sauren Regens schon lange bekannt waren und viele Regierungen einfach nichts tun wollten, weil sie Absatzeinbußen in der Automobilindustrie befürchteten. Das ist zwar keine neue Erkenntnis, die Cousteau und seine Co-Autorin Susan Schiefelbein hier liefern, aber die beiden Autoren tragen so viele solcher Beispiele zusammen, dass es einen als Leser dann doch schaudern lässt.

Die Co-Autorin Susan Schiefelbein ist Journalistin, Buch- und Fernsehautorin, die seit den Siebzigern mit Jacques Cousteau zusammengearbeitet hat. Sie hat die Einleitung geschrieben: Es ist eine glühende 30-seitige Lobeshymne auf Jacques Cousteau, die allerdings von Seite zu Seite zäher zu lesen ist. Ganz im Gegensatz zum Rest des Buches, das sich so leicht wie ein guter Roman liest.

Wie ein roter Faden zieht sich die zunehmende Verschmutzung der Ozeane durch das Buch. Immer wieder beschreibt Cousteau, wie er einstmals vor Leben wuselnde Korallenriffe nach wenigen Jahren wieder besuchte und nichts lebendiges mehr vorfand. An diesen Stellen hört man zwischen den Zeilen den wütenden alten Mann. Da heißt es zum Beispiel: "15 Milliarden Jahre hat es gedauert, bis sich aus Sternenstaub ein lebender Planet entwickelte. Zwölf Jahre vergingen, und das Mittelmeer unter meinem Fenster hatte sich von Wasser, das einen Schwimmer kräftigte, in eine Kloake verwandelt, die zu schmutzig war, um einen Leichnam darin zu bestatten."

Ein ganzes Kapitel widmet sich den internationalen Fischfangflotten und ihren verheerenden Folgen für die Ökosysteme im Meer und für die kleinen Fischer. Es beschreibt Cousteaus Begegnung mit einem hungernden jamaikanischen Fischer, der immer engmaschigere Netze knüpft, um wenigstens noch die kleinsten Fische aus dem leergefischten Ozean zu holen – wohlwissend dass er sich damit um seine eigene Nahrungsgrundlage von morgen bringt. Es sind diese schlichten Beschreibungen, die anrühren, weil sie besser als jede Statistik das Dilemma zeigen, in dem sich die Menschheit befindet.

Aber Jacques Cousteau beschränkt sich nicht aufs Meer. Sein anderes großes Thema ist die Atomkraft mit ihren Gefahren. Die beiden Autoren geben einen sehr umfassenden Überblick über die Entwicklung von den ersten Entdeckungen Henri Becquerels, Albert Einsteins sowie Frédéric und Irène Joliot-Curies bis hin zum Umgang mit der Atombombe.

Auch hier wieder liefern Cousteau und Schiefelbein keine neuen Fakten, aber sie schildern sehr eindrücklich das – ihren Worten nach – leichtgläubige Verhalten der Wissenschaftler und die arroganten Positionen vieler Entscheidungsträger. Wenn Jacques Cousteau von einem Essen erzählt, bei dem ein berühmter Meeresforscher wie selbstverständlich erklärt, dass die Meere als Aufnahmebehälter für Atommüll geopfert werden müssten, dann kann man die Wut und Fassungslosigkeit des Autors nachempfinden.

Am Ende des Buches werden die beiden dann wieder etwas versöhnlicher und einige der Geschichten, die sie erzählen, haben einen geradezu poetischen Reiz. Wenn sie zum Beispiel den als Fluchtmechanismus gedachten Tanz der Jakobsmuscheln beschreiben oder einen bunten Papageifisch, der sich in einem Korallenriff im Roten Meer in einen glasklaren Kokon aus Speichel einhüllt, um sich zwischen den Riffspalten zu verankern und auszuruhen. Eine, Zitat: "schlafende Schönheit in einer Blase aus Zellophan".

Rezensiert von Monika Seynsche

Jacques Cousteau und Susan Schiefelbein: Der Mensch, die Orchidee und der Oktopus. Mein Leben für die Erforschung und Bewahrung unserer Umwelt
Campus Verlag, Frankfurt am Main 2008
371 Seiten, 24,90 Euro