Unterentwicklung oder "islamische Moderne"?

Die beiden Autoren von der Universität Wien sind keine Islamwissenschaftler, Peter Feldbauer und Gottfried Liedl sind Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler und –historiker. In ihrem Buch gehen sie nicht auf die Religion ein, sondern beschreiben Strukturen der Wirtschaft, der staatlichen Herrschaft und gesellschaftliche Strukturen der islamischen Welt in einer Zeit, die andere Islamwissenschaftler als Zeit des Niedergangs darstellen.
Die zeitliche Begrenzung ihrer Monographie auf die Jahre 1000 bis 1517 ist etwas merkwürdig, zumal schon im Vorwort gesagt wird, man beschränke sich auf den Zeitraum des Spätmittelalters. Das beginnt allerdings erst Mitte des 13. Jahrhunderts (im Buch selbst lautet der Titel dann plötzlich auch nur noch: "Die islamische Welt bis 1517"). Als Endmarke hätte man sich auch das Jahr 1453 vorstellen können, die Eroberung des christlichen Konstantinopel durch die moslemischen Türken.

In gewisser Weise ist das Buch eine Fortsetzung von Feldbauers 1995 erschienener Monographie "Die islamische Welt 600 bis 1250". Das Jahr 622 (Mohammeds Auswanderung nach Medina) ist das Jahr Null in der islamischen Zeitrechnung. 1250 war der Beginn der mameluckischen Dynastie in Ägypten (und des Spätmittelalters in Europa), und mit den Mamelucken kam das Ende der 200jährigen Kreuzzugsgeschichte. 1517 wiederum bedeutet das Ende der Mamelucken, Ägypten wurde von osmanischen Truppen erobert.

Im Gegensatz zu einer großen Anzahl von Forschern, die spätestens seit den Kreuzzügen von einer Zeit des Niedergangs der islamischen Welt sprechen, nehmen die beiden Autoren den Untertitel des Feldbauer-Buches von 1995, "Ein Frühfall von Unterentwicklung?", wieder auf und versuchen, die Leistungsfähigkeit, militärische Stärke, ja, partiell sogar eine "Vormoderne" der damaligen islamischen Welt herauszuarbeiten, drücken sich aber trotz ihrer klaren Stoßrichtung sehr vorsichtig aus: Vokabeln wie "wahrscheinlich", "wohl", "eher" sind häufig.

Charakteristisch für die meisten islamischen Staaten bis zum frühen 16. Jahrhundert sind, so betonen sie, "leistungs-, anpassungs- und innovationsfähige Ökonomien". Die islamische Welt sei Europa nicht unterlegen gewesen. Auch in der Zeit, in der die vor allem arabische Expansion zurückgedrängt wurde (durch Kreuzzüge und Reconquista), habe es dauerhafte Staatsgebilde mit zentralisierten Verwaltungsstrukturen und beachtlicher Finanz- und Militärkraft gegeben. Auch die Landwirtschaft funktionierte, manche sprechen gar von einer "arabischen Agrarrevolution". Man führte wichtige Nahrungsmittel ein, die später auch in Europa alltäglich wurden, darunter Reis, Zuckerrohr, Hirse und Spinat. Interessant ist auch die Rolle der Städte, die trotz fehlender selbständiger Verwaltung und fehlenden Bürgertums ein gewisses politisches Gewicht hatten und sehr viel größer waren als europäische Metropolen wie Paris, Mailand oder Venedig.

Das Buch bietet eine dichte, leider auch ziemlich gedrechselt geschriebene, aber ausführliche Zusammenfassung des Forschungsstandes (mit Glossar und Liste der wichtigsten Dynastien), geeignet weniger für ein Laienpublikum, aber durchaus für interessierte Nicht-Akademiker, die sich über die islamische Welt jener Zeit ein Bild machen wollen.

Rezensiert von Peter Urban-Halle

Peter Feldbauer/Gottfried Liedl: Die islamische Welt 1000 bis 1517
Wirtschaft. Gesellschaft. Staat
Mandelbaum Verlag, Wien 2008
223 Seiten, 17,80 Euro