Unter Realitätsdruck
Sie hielten sich für die Avantgarde im Alltag jenes langen Marsches, den die intellektuellen Maulhelden der Revolte von 1968 ausgerufen hatten: Die linken Lehrer, die im Jahrzehnt danach in die Klassenstuben kamen, entschlossen, die Schule neu zu erfinden, damit in ihr die Keimzelle einer neuen, gerechteren Gesellschaft gelegt werden könnte.
Die Gesamtschule war der Ort, wo sich ihre pädagogische Utopie verwirklichen sollte: Hier würden Kinder aller sozialen Klassen und aus allen Ländern gemeinsam lernen und leben. Man vertraute einem pädagogischen Imperialismus, der kaum ein gesellschaftliches Problem kannte, das nicht mit seinen Mitteln lösbar schien. Natürlich gehörte ein linker Lehrer jener Generation nicht dem Beamtenbund an, sondern der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, die dafür sorgte, dass der Glaube an den Fortschritt, der aus dem Schulhaus kommt, nicht erlosch.
Aus diesen Kreisen rekrutierten sich nicht bloß die fleißigsten Leserbriefschreiber des Landes, die im Kampf gegen das Böse und für das Gute stets aufgeregt sich zu Wort melden. Die Ortsvereine der Grünen und der Sozialdemokratie haben sie gefüllt. Und sie waren die Bannerträger der Parole von der multikulturellen Gesellschaft, die in der öffentlichen Erziehung verwirklichen wollten, was als endgültige Erlösung des Landes von seiner deutschnationalen Erbsünde gedacht wurde. Die Forderung nach eigenen Integrationsanstrengungen von Einwanderern oder gar nach Assimilation galt hier als völkisch-faschistoider Versuch der Auslöschung fremder Identitäten und wurde lautstark mit politisch korrektem Einschüchterungsvokabular bekämpft.
Nun gibt es Anzeichen dafür, dass dieser nervtötende Brummkreisel zur Ruhe kommt. Plötzlich dringen aus dem Milieu jener Generation linker Lehrer, die heute um die 60 Jahre alt sind, ganz andere Töne. Resignation und Zweifel am Sinn der eigenen Lebensarbeit mischen sich mit einem hier ganz ungewohnten Realismus in der Wahrnehmung und Beschreibung pädagogischer und sozialer Probleme. In Magazinen und Illustrierten liest man einfühlsam erzählte Lebensgeschichten von Gesamtschullehrern, die nach 30 Dienstjahren ihre Illusionen verloren haben und fast schon so klingen wie die Kollegen, die abzulösen sie am Anfang ihrer Berufstätigkeit angetreten waren.
Auslöser solcher Krisen- und Wenderlebnisse sind überwiegend die Erfahrungen mit der multikulturellen Schule. Die nahe Pensionsgrenze scheint manchem die Zunge zu lockern: Da ist auf einmal vom Zorn auf "arabische Großfamilien" die Rede, die sich auf eine Dauerexistenz zwischen Kriminalität und Sozialhilfe eingerichtet haben. Die Borniertheit türkischer Väter wird beklagt, die die Bildungschancen ihrer klugen Töchter blockieren und stattdessen lieber den intellektuell minderbemittelten Sohn erfolgreich sehen wollen.
In Gewerkschaftszeitungen liest man erstaunlich offene Schilderungen eines multikulturellen Schulalltags voller Gewalt und Rassismus, die diesmal aber von den Einwandererkindern ausgehen. Ausführlich erzählen Pädagogen, die sich zum Teil seit Jahrzehnten an so genannten "sozialen Brennpunkten" voller Enthusiasmus und Dialogbereitschaft engagiert haben, von ihren Enttäuschungen, ihrem Scheitern.
Ausgerechnet die von ihnen so umsorgten "Opfer" der Migranten haben es offenbar manchmal faustdick hinter den Ohren. Es sind unerfreuliche Geschichten von Rohheit und Verwahrlosung, vom Zusammenbruch der Familien, von der Auflösung kultureller Selbstverständlichkeiten, die "Integration" zu einem kaum noch erreichbaren Ziel machen.
Und es mehren sich die Alarmrufe gerade linker oder ehemals linker Pädagogen, die in ihren Schulstunden mit den Folgen fundamentalistischer Indoktrination konfrontiert werden. Mal ist es der Sexualkundeunterricht, der auf wütendes Ressentiment stößt, mal erregt schon die Evolutionslehre den Widerspruch. Und von der Mischung aus Unfähigkeit und bockiger Ignoranz, sich der deutschen Sprache zu bedienen, ist vielerorts die Rede. Offenbar wird ein täglicher Kleinkrieg, bei dem wenige Fortschritte, oft aber Rückschritte zu vermelden sind.
So bitter solche Einsichten für manchen sein müssen, der über Jahrzehnte hinweg die Augen vor den Anzeichen dieser Entwicklung verschlossen hat, so wichtig ist es, dass wir diesen pädagogischen Renegaten zuhören. Ihre Botschaft ist ebenso einfach wie wahr: Die Schule ist der erste und zentrale Begegnungsort, an dem Kinder und Jugendliche mit verschiedenen kulturellen Prägungen aufeinander treffen. Dieser Raum muss endlich so eingerichtet werden, dass ihn am Ende nicht Fremde verlassen, sondern junge Bürger, die gemeinsam dieses Land als ihr Land begreifen.
Heribert Seifert, Pädagoge und Journalist, geboren 1948 in Dorsten/Westfalen. Studium der Geschichte, Germanistik, Philosophie und Erziehungswissenschaft in Münster, Berlin und Zürich. Danach Lehrer am Gymnasium in Recklinghausen, seit 1980 Lehrerausbilder an Studienseminar und Universität. Herausgeber von Schulbüchern, Autor von "Lehren und Lernen in der Schule". Ständiger Mitarbeiter der "Neuen Zürcher Zeitung", Beiträge für "epd medien", "du - Zeitschrift für Kultur", "novo".
Aus diesen Kreisen rekrutierten sich nicht bloß die fleißigsten Leserbriefschreiber des Landes, die im Kampf gegen das Böse und für das Gute stets aufgeregt sich zu Wort melden. Die Ortsvereine der Grünen und der Sozialdemokratie haben sie gefüllt. Und sie waren die Bannerträger der Parole von der multikulturellen Gesellschaft, die in der öffentlichen Erziehung verwirklichen wollten, was als endgültige Erlösung des Landes von seiner deutschnationalen Erbsünde gedacht wurde. Die Forderung nach eigenen Integrationsanstrengungen von Einwanderern oder gar nach Assimilation galt hier als völkisch-faschistoider Versuch der Auslöschung fremder Identitäten und wurde lautstark mit politisch korrektem Einschüchterungsvokabular bekämpft.
Nun gibt es Anzeichen dafür, dass dieser nervtötende Brummkreisel zur Ruhe kommt. Plötzlich dringen aus dem Milieu jener Generation linker Lehrer, die heute um die 60 Jahre alt sind, ganz andere Töne. Resignation und Zweifel am Sinn der eigenen Lebensarbeit mischen sich mit einem hier ganz ungewohnten Realismus in der Wahrnehmung und Beschreibung pädagogischer und sozialer Probleme. In Magazinen und Illustrierten liest man einfühlsam erzählte Lebensgeschichten von Gesamtschullehrern, die nach 30 Dienstjahren ihre Illusionen verloren haben und fast schon so klingen wie die Kollegen, die abzulösen sie am Anfang ihrer Berufstätigkeit angetreten waren.
Auslöser solcher Krisen- und Wenderlebnisse sind überwiegend die Erfahrungen mit der multikulturellen Schule. Die nahe Pensionsgrenze scheint manchem die Zunge zu lockern: Da ist auf einmal vom Zorn auf "arabische Großfamilien" die Rede, die sich auf eine Dauerexistenz zwischen Kriminalität und Sozialhilfe eingerichtet haben. Die Borniertheit türkischer Väter wird beklagt, die die Bildungschancen ihrer klugen Töchter blockieren und stattdessen lieber den intellektuell minderbemittelten Sohn erfolgreich sehen wollen.
In Gewerkschaftszeitungen liest man erstaunlich offene Schilderungen eines multikulturellen Schulalltags voller Gewalt und Rassismus, die diesmal aber von den Einwandererkindern ausgehen. Ausführlich erzählen Pädagogen, die sich zum Teil seit Jahrzehnten an so genannten "sozialen Brennpunkten" voller Enthusiasmus und Dialogbereitschaft engagiert haben, von ihren Enttäuschungen, ihrem Scheitern.
Ausgerechnet die von ihnen so umsorgten "Opfer" der Migranten haben es offenbar manchmal faustdick hinter den Ohren. Es sind unerfreuliche Geschichten von Rohheit und Verwahrlosung, vom Zusammenbruch der Familien, von der Auflösung kultureller Selbstverständlichkeiten, die "Integration" zu einem kaum noch erreichbaren Ziel machen.
Und es mehren sich die Alarmrufe gerade linker oder ehemals linker Pädagogen, die in ihren Schulstunden mit den Folgen fundamentalistischer Indoktrination konfrontiert werden. Mal ist es der Sexualkundeunterricht, der auf wütendes Ressentiment stößt, mal erregt schon die Evolutionslehre den Widerspruch. Und von der Mischung aus Unfähigkeit und bockiger Ignoranz, sich der deutschen Sprache zu bedienen, ist vielerorts die Rede. Offenbar wird ein täglicher Kleinkrieg, bei dem wenige Fortschritte, oft aber Rückschritte zu vermelden sind.
So bitter solche Einsichten für manchen sein müssen, der über Jahrzehnte hinweg die Augen vor den Anzeichen dieser Entwicklung verschlossen hat, so wichtig ist es, dass wir diesen pädagogischen Renegaten zuhören. Ihre Botschaft ist ebenso einfach wie wahr: Die Schule ist der erste und zentrale Begegnungsort, an dem Kinder und Jugendliche mit verschiedenen kulturellen Prägungen aufeinander treffen. Dieser Raum muss endlich so eingerichtet werden, dass ihn am Ende nicht Fremde verlassen, sondern junge Bürger, die gemeinsam dieses Land als ihr Land begreifen.
Heribert Seifert, Pädagoge und Journalist, geboren 1948 in Dorsten/Westfalen. Studium der Geschichte, Germanistik, Philosophie und Erziehungswissenschaft in Münster, Berlin und Zürich. Danach Lehrer am Gymnasium in Recklinghausen, seit 1980 Lehrerausbilder an Studienseminar und Universität. Herausgeber von Schulbüchern, Autor von "Lehren und Lernen in der Schule". Ständiger Mitarbeiter der "Neuen Zürcher Zeitung", Beiträge für "epd medien", "du - Zeitschrift für Kultur", "novo".