Unter Generalverdacht

Von Homar Attila Mück |
Thomas Mann, Berthold Brecht, Franz Werfel oder Lion Feuchtwanger – die Liste der vor den Nazis in die USA geflüchteten Autoren hat viele große Namen. Was den meisten gar nicht oder erst sehr spät bewusst wurde: Jeder der mehr als zweihundert deutschen Exilautoren wurden vom FBI überwacht.
Fernschreiber in Aktion
31. Januar 1933, Washington D.C., Hauptquartier des „Bureau of Investigation“.

Pünktlich, wie gewohnt, trifft Mister John Edgar Hoover, Direktor der amerikanischen Bundesbehörde in seinem Büro ein. Auf seinem Schreibtisch liegen bereits sortiert die neuesten Meldungen aus dem Fernschreiber. Der 38-jährige Amtschef kümmert sich prinzipiell persönlich um jeden aktuellen Fall. Die erste Nachricht kommt direkt vom State Departement und informiert über die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am Vortag.

Hoover schenkt dem vorerst wenig Aufmerksamkeit. Noch ist er nur peripher an Vorkommnissen im Ausland interessiert. Seine erste Aufgabe ist die Bekämpfung von ca. 200 Verbrechenstypen, darunter Terrorismus, Drogenhandel und Wirtschaftskriminalität im eigenen Land. An diesem Tag widmet er sich der täglichen Routine und dem Entwurf seiner Rede zum 25. Jahrestag seines Polizeiapparats.

Die Rede spiegelt seine wesentliche Charakterzüge wider: Sachlich, präzise, emotionslos. Hoover listet Fakten auf. Sie sollen für sich sprechen.

Das heißt für ihn. Nur einmal weist er daraufhin, dass er bereits 1924 als 29-jähriger Anwalt vom Justizminister Harlan Fiske Stone persönlich zum Direktor dieser Ermittlungsbehörde des Justizministeriums berufen wurde.

Er würdigt dagegen in kurzen Worten den Vater seiner Behörde: Charles Joseph Bonaparte! Er, Hoover, steht sozusagen an der Seite eines unsterblichen Namens:

Bonaparte! Der Anwalt stammte aus Baltimore, Maryland, und war ein Großneffe Kaiser Napoleon I; unter Präsident Theodor Roosevelt war er Marine – und Justizminister.

Der „blaublütige Republikaner“, bekämpfte erfolgreich zahlreiche Wirtschaftskartelle.

Am 26. Juli 1908 erließ er die Anweisung zum Aufbau einer speziellen Bundespolizei zur Bekämpfung der sich seuchenartig ausbreitenden Kriminalität, für die Aufrechterhaltung von Recht und Gesetz.

Ihr Name: „BOI“ – Bureau of Investigation.

Es ist eine Gruppe von gerade einmal 200 schlecht ausgebildeten und unorganisierten Polizisten. Sie soll über die Moral des amerikanischen Volkes wachen und zunehmend auch gegen Sabotage und Spionage vorgehen.

Als Hoover 16 Jahre später das „Bureau“ übernimmt, stehen ihm 650 Mitarbeiter, darunter 440 „Special Agents“ zur Verfügung.

Aber in den Wintertagen 1933 wird er in seinen historischen Betrachtungen allerdings immer wieder gestört und an das gefährlich dröhnende Deutschland und seine deutsch sprechenden Ahnen erinnert. Im März erreicht ihn über das State Departement erneut ein Schreiben, für das er nur mäßiges Interesse zeigt.

Es ist eine Liste von Namen deutscher Schriftsteller und Publizisten, die in Teilen bereits vor dem Machtantritt der Nationalsozialisten von deutschen Regierungsstellen und Parteien angelegt worden war. Dabei handelte es sich um angeblich anti-deutsche, nicht arische, pazifistische, liberale oder kommunistische Personen. Die Quelle wird eindeutig ausgemacht: die Gestapo Berlin!

" Ernst Toller
Erich Maria Remarque
Bertolt Brecht
Carl Zuckmayer
Albert Ehrenstein
Heinrich Mann
Klaus Mann
Ludwig Renn
Anna Seghers
Franz Werfel "

Für Hoover klingen diese Namen wie babylonische Hieroglyphen. Die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz überrascht ihn nicht.

Mehr Aufmerksamkeit jedoch widmet er den beigefügten Berichten der amerikanischen Botschaften in Prag, Wien, Zürich, Paris und Amsterdam an das State Departement. Man meldet von dort eine zunehmende Niederlassung deutscher Intellektueller, vor allem Schriftsteller, Publizisten und die Häufung der Anfrage nach Einreisebestimmungen der USA.

Hoover belässt es zunächst beim Abzeichnen: „Zur Kenntnis genommen!“

Ab 1934 unterschreibt er bereits auf neuem Briefpapier. Seine Behörde führt nun ihren endgültigen Namen:

FBI! – Federal Bureau of Investigation. Hoover buchstabiert die Abkürzung jedoch:

Fidelity – Bravery – Integrity

Zuverlässigkeit – Mut – Redlichkeit! Er wird das FBI in fast fünfzig Jahren mit Hartnäckigkeit, großem bürokratischen Talent, beispielloser Disziplin und auch Skrupellosigkeit zur größten, effizientesten Polizeibehörde der Welt, ja zu einem nationalen Mythos ausbauen.

Hoover übersteht sechzehn Justizminister und acht Präsidenten! Sein Standpunkt:

„Mir ist egal, wer unter mir Präsident ist!“

Die Zeiten, in denen seine Behörde vornehmlich für Bank- und Menschenraub, Erpressung, Geldfälschung, die Jagd auf Gangster wie Al Capone, Bonnie und Clyde, Bandenchef John Dillinger oder die Lieferung sehr zweifelhafter Indizien wie im Fall „Sacco und Vanzetti“ zu-ständig war, wird der Vergangenheit angehören.

Hoovers „künftige Objekte“ sitzen in Berlin, München, Göttingen, Stuttgart oder bereits im europäischen Exil. Er ist vorbereitet für den Einsatz im Innern und auf das, was draußen geschieht und von dort kommen wird.

Und so lange er die Fremden nicht ins Visier nehmen kann, lässt er mit Akribie die Dossiers der amerikanischen Autorenelite weiterführen: Sinclair Lewis, Pearl S. Buck, William Faulkner, John Steinbeck.

Besonders Spanienkämpfer wie Ernest Hemingway „lagen ihm am Herzen“. Aber auch der Autor von „Wem die Stunde schlägt“ hatte eine Definition für das FBI:

Anti-liberal – pro-faschistisch – amerikanische Gestapo!

„Deutsche Exil-Autoren in den USA“ – das ist seit mehr als drei Jahrzehnten auch ein Forschungsschwerpunkt zweier deutscher Germanisten: Irmela von der Lühe von der Freien Universität Berlin und Alexander Stephan von der Ohio State University.

" Das fing an, dass die Akte von Brecht öffentlich wurde. Ein Kollege hatte dann einen interessanten Aufsatz geschrieben über Brechts FBI-Akte. Diese Arbeit lag dann in den Archiven, interessierte niemanden. Ich habe das dann gelesen, zufällig, und habe eine Frage gestellt: Na, wenn es eine Brecht-Akte gab, vielleicht gab es auch eine Akte von anderen Exilanten? "

Die gab es!

Nachdem Alexander Stephan bei seinen Recherchen Einsicht in mehr als 12.000 Akten des FBI und anderer Geheimdienste nehmen konnte, ist das Urteil, zu dem auch seine Kollegin von der Lühe kommt, eindeutig:

Es gab eine flächendeckende Überwachung des literarischen Exils!

Jeder der mehr als zweihundert deutschen Exilautoren wurde observiert und aktenkundig. Diese Tatsache wurde den meisten erst sehr spät bewusst, auch dass sie jederzeit auf Empfehlung des FBI interniert oder ausgewiesen werden konnten. Wozu es jedoch nur einmal, im Fall des bekennenden Kommunisten Gerhard Eisler kam.

Den meisten war erst einmal wichtig, irgendwie durch den Alltag zu kommen und nicht alle Aufmerksamkeit auf eine mögliche Überwachung zu richten. Man war gerettet und hoffte auf eine baldige Rückkehr. Wer war schon auf ein Exil vorbereitet? Wer wusste schon wohin?

Prof. v. d. Lühe: " Es gab die Grundüberzeugung quer durch die politischen Lager, quer durch die intellektuellen Lager, dass dieser „Anstreicher aus Österreich“ wie ihn Brecht genannt hatte, sich nicht lange würde halten könne. Wenn also Exil, so würde es kein Dauerzustand sein. "

Prof. Stephan: " Man ging zunächst einmal in die Länder, wo man mit der Sprache auskam, also in die Tschechoslowakei, in die Schweiz. "

Prof. v. d. Lühe: " Das Exilland USA wird ab ungefähr 1936/37 interessant, vor allem deswegen, weil das Amerika Roosevelts, das Amerika des „New Deal“ als ein Vorbildland für demokratische Hoffnungen und fremdenfreundliche Politik wahrgenommen wurde. "

Die Mehrzahl der Flüchtlinge weiß nicht, wann und ob man überhaupt jemals das Ufer von Manhattan erreichen wird, wie lange die Aufenthaltsgenehmigung und eine Arbeitserlaubnis, falls sie erteilt würde, gültig sind.

„Passagiere“ wie Thomas und Klaus Mann, Franz Werfel oder Lion Feuchtwanger dagegen fahren nach kurzem „check in“ sogleich weiter ins Hotel; andere wie Anna Seghers werden abgewiesen, reisen in ein ungewisses Schicksal nach Mexiko, Chile, Argentinien oder Shanghai weiter.

Hinter den Tischen, an denen die Beamten der Einwanderungsbehörde ihre Fragen stellen und Formulare ausfüllen, bewegt sich hier und dort ein Herr in gedecktem Zwirn, mit korrekter Krawatte und Hut!

Ein Mann Hoovers.

Er kennt die Liste der eingereisten deutschen Autoren; er weiß die Namen, die Ankunftstermine, den Wohnort oder das mögliche nächste Reiseziel.

Am 21. Februar 1938 betritt Thomas Mann den Boden von New York; selbst J. Edgar Hoover ist der Name ein Begriff. Am nächsten Tag sind des Dichters Worte in der New York Times zu lesen: „Where I am, there is Germany. I carry my Germany in me!“

Später wird der Satz: „Wo ich bin, ist Deutschland“ in " ... ist deutsche Kultur“. modifiziert, was zu einiger Verwirrung unter den Exilanten führen wird.

Bald schon kann das FBI drei deutsche Exil-Zentren ausmachen: New York, Los Angelos und – jenseits der Grenze – Mexiko.

Prof. Stephan: " Das FBI hatte verschiedene Gründe, warum sie diese Leute beobachtet haben. Das eine war sicherlich, dass sie Ausländer waren, dass es Fremde waren, die gekommen sind, und man hat immer vor Fremden Angst. Das andere war, dass es natürlich besondere Fremde waren, nämlich Deutsche, und da war immer der Verdacht da, die Möglichkeit da, dass es womöglich Nazis waren, die sich da irgendwie reinschmuggeln wollten in die USA. Aber der wirklich größte Grund war, glaube ich, dass diese Leute als Kommunisten verstanden wurden, ob sie Kommunisten waren oder nicht, war völlig egal, für das FBI waren es potentielle Linke. "

Prof. v. d. Lühe: " Es hat eine Reihe von Emigranten gegeben, die wohl relativ früh gemerkt haben, dass sie unter Beobachtung stehen und wie es bei Geheimdiensten üblich ist, die kooperieren unabhängig von der Ideologie und dem Regierungssystem ihrer Länder und ihrer Regierungen.

Es hat natürlich Kooperationen zwischen der Gestapo und dem FBI gegeben, was zu der paradoxen Situation führte, dass wir Gestapo-Akten der Mann-Familie und FBI-Akten der Mann-Familie haben; das ist für die Forschung außerordentlich interessant, wirft ein Licht auf das Funktionieren von Geheimdiensten. Das Zweite ist: Ab wann die FBI-Dossiers systematisch angelegt wurden.
Das ist vor allem seit Beginn des Zweiten Weltkrieges.

Da wird in allen Aufnahmeländern, in allen so genannten Exilländern ein neuer Blick gerichtet auf die deutschsprachigen Emigranten. Da schwindet fatalerweise das Bewusstsein für den Unterschied zwischen nazitreuen und nazigegnerischen Angehörigen, und die Idiotie dieser Kriegssituation ist, dass nur nach der Nationalität, aber nicht mehr der politische Standpunkt eine Rolle spielt.
Das ist bei der Entstehung und Bewertung dieser FBI-Dokumente zu bedenken und zu berücksichtigen. "
Die mitunter stark geschwärzten Dossiers verraten das übliche geheimdienstliche Ermittlungsrepertoire; die Post – und Telefonzensur ist ebenso vertreten wie die Kontrolle der Leihbüchereikartei und die Hausmüllanalyse. So verschaffte man sich ein verhältnismäßig reales Bild vom Leben der Exilanten.

Das Geflüster in Brechts „verwanzten“ Liebesnestern interessierte Hoover genau so wie dessen Tändelei mit den Moskauer Genossen.

Und dem Dichter wird die Ehre zuteil, vom FBI übersetzt zu werden. Aus einem seiner Gedichte leitet das FBI dessen Absicht ab, ein „Communist state“ zu errichten, sowie zu Sabotage und Zerstörung von amerikanischem Eigentum aufzurufen.

J. Edgar Hoover wird, nachdem er die Interpretation von Brechts „Maßnahme-Text“ erfahren hatte, ein Internierungs- und Ausweisungsverfahren gegen ihn beantragen. Dass ihm dabei ein abgefangener und dann kopierter Brief von Ruth Berlau an Brecht dienlich sein könnte, wird er nicht geglaubt haben. Aber auch der seelische Befund einer Dichter-Muse ist ein Dokument – und wird abgeheftet!

" I become so quiet. I am happy. I thank you, thank you. I will become just like you wish ... I know that I will be worried again now and then, it is mostly fear, that you might become unfaithly. "

Die physische und psychische Verfassung der Exil-Autoren ist nicht von sonderlichem Interesse. Aus den Briefen wird deutlich, wie sehr alle Exilanten die Isolierung, der „Kulturschock“ lähmte, ihnen der Verlust alter, stabiler sozialer wie intellektueller Bindungen, die drohende Verkümmerung der Sprache zusetzt. Lion Feuchtwanger kann mit dem Problem umgehen:

" Ich finde, schreiben kann man nur in seiner Muttersprache. In meinem Haus spreche ich fast ausschließlich deutsch und ich versuche auch deutsch soviel wie möglich zu hören. Ich fühle mich in gewisser Weise immer Zuhause in Deutschland, auch wenn ich hier bin. "

Hans Sahl beschreibt ein anderes Befinden:

" Kein deutsches Wort hab ich so lang gesprochen.
Ich gehe schweigend durch das fremde Land.
Vom Brot der Sprache blieben nur die Brocken,
Die ich verstreut in meinen Taschen fand. "

Lyrische, epische, dramatische Texte, sofern man sie in der abgefangenen Korrespondenz findet, werden wie im Fall Brecht – gelegentlich verblüffend einfühlsam und intelligent – übersetzt und archiviert, wenngleich sich deren geheimdienstlicher Wert sehr in Grenzen hält.

Sehr bald festigt sich beim FBI die beruhigende Erkenntnis: Die deutsche Exilgemeinde ist kein homogenes, staatsgefährdendes Gebilde! Ein Grund dafür war zweifellos die unterschiedliche politische, aber auch ökonomische Situation der Eingewanderten.

In ihren Villen auf den Hügeln von Pacific Palisades sitzen unbedrängt und in bester Gesellschaft Lion Feuchtwanger und sein Nachbar Thomas Mann. In ihrem Rückblick scheint vieles wenig getrübt, man hatte sich eingerichtet:

Feuchtwanger: " Um das Jahr 40 war eine ganze Menge großer Autoren hier: Thomas und Heinrich Mann, Brecht, Werfel, Bruno Frank, Alfred Neumann, wir hatten eine geistig interessante Kolonie. Etwas war seltsam, dass eigentlich unabhängig von einander sie alle hierher gekommen waren. "

Hoover interessiert sich persönlich für Teile jeder Party-Plauderei. Am nächstfolgenden Tag kann er sie bereits lesen.

Das FBI-Dossier des pro-sowjetischen Feuchtwanger umfasst am Ende mehrere hundert Seiten.

Mitte der Fünfziger Jahre geht es bei der „Causa Feuchtwanger“ nicht mehr um Deportation. Sein Antrag auf Einbürgerung war noch immer nicht entschieden. Das wurde mit folgendem Aktenvermerk erledigt:

„..applicant is an ardent proponent of Socialism. It is apparent that he strongly advocates the discarding of the economic system that has made the American workingman the envy of the civilized world. "

" Der Bewerber ist ein glühender Befürworter des Sozialismus! Es ist offensichtlich, dass er für die Abschaffung des amerikanischen Wirtschaftssystems. "

Wenige Tage nach Ablehnung des Einbürgerungsantrages stirbt Lion Feuchtwanger nach 18-jährigem Exils als Staatenloser.

Bei Autoren wie Hans Sahl, Albert Ehrenstein oder Ernst Toller in New York herrscht ein anderes Ambiente als im milden Kalifornien. Sie warten Tag um Tag sehnsüchtig auf Schecks von Zeitungsredaktionen oder die nächste Zuwendung vom Emergency Rescue Commitee.

Prof. v. d. Lühe: " Ein Phänomen dieses deutschsprachigen Exils ist, dass die politischen Kontroversen aus der Spätzeit der Weimarer Republik in die Emigration mitgenommen wurden. Und das betrifft vor allem die scheußliche Kontroverse zwischen den Sozialdemokraten und den Kommunisten. Und damit eine Konstellation, die nicht unmaßgeblich dafür verantwortlich ist, dass Hitler zum Erfolg kam. "

Das Misstrauen, die gegenseitig skeptische Ressentiment geladene Beobachtung der jeweils anderen im Exil, obwohl sie alle in einem Boot saßen, obwohl sie gleichermaßen bedroht waren, die gehört zur „mentalen Un-Kultur“ des deutschsprachigen Exils und hat die Handlungsmöglichkeiten extrem erschwert.

Die hat dann auch im Detail das Bewusstsein von Autoren und Autorinnen sehr stark beschädigt, also das Gefühl, man kann hier womöglich nicht das machen, was wir machen möchten, nämlich das andere Deutschland repräsentieren.

Aus der Feder von Oskar Maria Graf, der wie Klaus Mann durch eine Denunziation zu einer FBI- Akte kam, ist dazu zu lesen.

" New York, 24. Mai 1943

Ich verkehre mit fast niemandem.

Die ganze Emigration, insbesondere die unserer so genannten Schriftsteller-Kollegen ist mir hoch zuwider, ich hasse sie nachgerade, denn so etwas von unsauberen Intrigen, von angesammeltem charakterlosen Ehrgeiz, von Missgunst und Unkameradschaftlichkeit ist nur schwer zu beschreiben. Ich gehe nur noch mit Menschen um, die ganz weit ab sind von der Literatur und Politik. "

Die Verbitterung über zu wenig Popularität kann allein nicht der Grund für diese Klage gewesen sein.

Suspekt erschien Graf wohl auch das Verhalten einiger prominenter Exilanten gegenüber dem FBI und anderer Geheimdienste. Inwieweit er dabei an Erika Mann und Carl Zuckmayer dachte, ist aus keinem Dokument ersichtlich.

Fakt ist aber, dass sowohl die älteste Tochter von Thomas Mann als auch Carl Zuckmayer mit ihren Aktionen für den amerikanischen Geheimdienst, für das FBI unter den Exilanten und die spätere Forschung für erhebliche Irritationen sorgten.

In seiner 1995 erschienenen Studie „Im Visier des FBI- Deutsche Exilschriftsteller in den Akten amerikanischer Geheimdienste“ – längst ein Standartwerk der literaturwissenschaftlichen Exilforschung, schreibt Alexander Stephan:

" Das FBI-Dossier von Erika Mann unterscheidet sich von den anderen mir vorliegenden FBI-Akten vor allem darin, dass Erika Mann über mehr als ein Jahrzehnt hinweg nicht nur Gegenstand einer Untersuchung war, sondern auch mit Hoovers Behörde Kontakt suchte beziehungsweise sich über verschiedene Themen befragen ließ. Hoover ließ sich die Möglichkeit, eine so hohe in Exilantenkreisen angesiedelte Nachrichtenquelle anzuzapfen, nicht entgehen. "

Auch Irmela von der Lühe geht in ihrer sehr lesenswerten Erika-Mann-Biographie der Frage nach: Diese engagierte Antifaschistin eine FBI-Informantin, eine US-Geheimdienstspionin?

Prof. v. d. Lühe: " Wir haben ein „Dossier Erika Mann“, ein Eröffnungsnotat, aus dem hervorgeht, dass Erika Mann selbst den Kontakt mit dem FBI gesucht hat und ihre Kooperation angeboten hat. Und was war der Hintergrund?

Der Hintergrund war, dass die durch das gesamt Land reisende Publizistin, Vortragsrednerin Erika Mann regelmäßig und gehäuft mit nationalsozialistischen Schmähungen und Drohungen konfrontiert war und dass sie ihrerseits Erfahrungen damit gemacht hatte, dass ganz offensichtlich getarnte Emigranten also als Emigranten getarnte Nazis sich in Versammlungen, Veranstaltungen und Emigrantenzirkel eingeschlichen hatten. "

Und bei der Enttarnung dieser nun fraglos gefährlichen um nicht zu sagen unlauteren Personen hat Erika Mann dem FBI auf der Basis ihrer eigenen Erfahrung eine Kooperationsangebot gemacht. Das ist der Sachverhalt. Ein Blatt! Der Rest sind Dokumente ihrer eigenen Bespitzelung.

Prof. Stephan: " Aber das geht ein bisschen weiter als Nazis, denn um Nazis geht es ja gar nicht; und in diesen Unterlagen, sondern es geht auch darum, dass man als Exilant, aber auch ganz normaler Mensch sozusagen mit der Macht nicht ungern spielt, dass man dazu gehört, dass man am Rande dieser Macht noch mitspielen darf, dabei sein.

Und wenn man dann gefragt wird, dann ist ja auch die gewisse Eitelkeit dabei womöglich, da ist eine weite Palette da, die die Gründe gibt dafür. "

Fazit: Die Beweislage ist schwer. Die meisten Seiten sind geschwärzt, viele Papiere vermutlich nicht freigeben.

Anders liegt der „Fall Carl Zuckmayer“.

Als 2003 die Seiten seines „Geheimreports“ für den amerikanischen Geheimdienst „Office of Strategic Services“ freigegeben und auch in Deutschland veröffentlich werden, sprechen die einen von Zuckmayers bester Prosa, die anderen von unangenehmer Anbiederung, ja gar übler Denunziation.

Das Erste ist Ansichtssache, das Zweite ist falsch.

Zuckmayers „Geheimreport“ besteht aus hundertfünfzig Charakterporträts von Autoren, Verlegern, Musikern, Schauspielern und Regisseuren, die in Deutschland verblieben waren.

Für die künftige Besatzungsmacht USA war es natürlich von Interesse zu wissen, auf welche Personen man sich später in Deutschland verlassen könne.

Wer nach der Kapitulation Deutschlands glaubte, wieder problemlos in die Heimat zurückkehren zu können, erwartet zu werden, irrte. Was Deutschland in jenen Tagen benötigte waren am aller wenigsten Romane, Gedichte, Gemälde und Opern.

Nach fast einem Jahrzehnt im Exil fand man sich in einer von Unruhe geprägten Warteschleife wieder. 1947 allerdings wird sie abrupt unterbrochen. Der Krieg war für die USA beendet, jetzt blies man wieder und lauter zum Sturm auf das reanimierte „rote Gespenst“, die Kommunistische Partei.
Es war die Stunde für Senator Joseph McCarthy, der selbst in der Regierung, im Weißen Haus sowjetische Agenten vermutete.

Die Überprüfung der Bundesangestellten liegt in den Händen von J. Edgar Hoover. Vor dem Ausschuss für Unamerikanische Aktivitäten bezieht er sich nachdrücklich erneut auf die „staatsschützende Mission“ des FBI:

Nach der erfolgreichen Säuberung in den Amtsstuben, geraten die amerikanischen Künstler, Intellektuellen und die Exilanten ins Visier. Ganz oben auf der Verhör-Liste von McCarthys Tribunal steht Bertolt Brecht. Der kommunistischen Partei steht er natürlich fern und gesteht nicht mehr, als ohnehin schon bekannt ist:

" Mein Name ist Bertolt Brecht. Ich bin am 10.Februar 1898 geboren, in Augsburg.
Und lebe in NY in der 83. Street. Ich schreibe Poeme, Songs. "

Am Tag nach der Vernehmung verlässt er das Land.

Auch Thomas Mann erhält Kenntnis von seiner FBI-Akte. Darin sind einige seiner politischen Positionen als " unamerikanisch“ eingestuft. Im Gegensatz zu seiner Tochter wird er jedoch später ohne Gram zurückblicken:

Erika Mann: " McCarthy hat es ganz anders gemacht als die Nazis, man wurde nicht eingesperrt oder offiziell verboten, man wurde abgewürgt.

Das FBI kam jede Woche einmal zum Verhör, das hat mich sehr schockiert in dem von mir unter Roosevelt so geliebten Amerika, dass ich diese Erfahrung zum dritten Mal machen musste. Erst in Deutschland, dann in Europa und nun in Amerika wieder, und nachdem ich so schön Fuß gefasst hatte, war das ein enormer Schock; von 1950 an war ich dort fertig. "

Thomas Mann: " Amerika mit seiner splendiden Geräumigkeit verdanke ich viel. Ich möchte die Erweiterung meines Horizonts, das es mir gewährte, nicht missen. Aber je länger ich dort lebte, je älter ich wurde, desto stärker spürte ich meine europäischen Wurzeln, desto entschiedener fühlte ich mich als Europäer. "

Erika Mann bleibt konsequent: Sie zieht ihren Einbürgerungsantrag zurück. Die Lebensmitte der Manns wird wieder Europa.

Viele Entwurzelten waren schon vor ihnen zurückgekehrt, heimgekehrt in eine Fremde. Wie sollte wo Anschluss gefunden werden? Was war geblieben von dem Gestern?

" „Jeder Intellektuelle in der Emigration, ohne alle Ausnahme, ist beschädigt. Er lebt in einer Umwelt, die ihm unverständlich bleiben muss. Enteignet ist seine Sprache und abgegraben die geschichtliche Dimension, aus der seine Erkenntnis die Kräfte zog.“

Sagt Theodor W. Adorno aus eigener Erfahrung. Und am Ende bleibt die Frage: Was hat die permanente Überwachung der „Einwanderer auf Zeit“ den USA gebracht?

Prof. Stephan: " Gar nichts. Es ist unglaublich viel Geld vergeudet worden. Es ist sehr viel Kraft investiert worden in einer Zeit, wo man eigentlich Kraft brauchte, nämlich mitten im Zweiten Weltkrieg. Es ist eine „No-Story“ würde ich das auf Englisch sagen. Es war eine Nicht – Geschichte, die völlig sinnlos war. Es wird endlos viel Material zusammengebracht, man weiß gar nicht warum man das braucht, wozu das gut ist, es wird auch nicht benutzt, es wird auch falsch benutzt. Und am Ende – ist gar nichts! "
J. Edgar Hoover stirbt im Mai 1972 im Schlaf. Sein Leichnam liegt in einem Ehrengrab auf dem Capitol.

Der Dichter Albert Ehrenstein, den er in New York beobachten ließ, schloss, zermürbt vom Exil, in einem Armenhospital auf Roosevelt Island seine Augen.