Unter Folter
Paulo César Fonteles de Lima saß in den 70er Jahren unter der brasilianischen Militärdiktatur zwei Jahre in Haft. Die grausamen Erlebnisse, die er ebenso wie seine inhaftierte Schwangere Frau durchlebte, hat er in Gedichten verarbeitet, die nun erstmal auf Deutsch erschienen sind und an ein dunkles Kapitel in der brasilianischen Geschichte erinnern.
"Mit Blut tränkt sich ihr Speichel./ Schwanger/ Wird die Frau gefoltert/ Dem Meer vergehen die Wasser/ Dem Wind das sanfte Streicheln./ Der Zeit, jede Hoffnung/ Auf eine zukünftige./ Schwanger / Wird die Frau gefoltert."
Knappe, lakonische, sich jeglicher blumigen Geschwätzigkeit verweigernde Verse sind es, die der brasilianische Lyriker Paulo César Fonteles de Lima nach knapp zwei Jahren Haft ab dem 6. Juni 1973 zu Papier gebracht hatte. Die verbrauchte Metapher fürs Schreiben erhält in diesem Fall Sinn, denn es wurden schließlich zehn Jahre, während derer er seine Erlebnisse zu Erfahrungen und zu Gedichten reifen ließ, die tatsächlich aufs Papier gebracht werden mussten – mit weißen Zwischenräumen auf den Buchseiten, die das Schweigen markieren, mit eingerückten Zeilen und Wiederholungen für den notwendigen Rhythmus. Das verleugnet seine Prägung durch die Konkrete Poesie nicht, hat jedoch nichts von l´art pour l´art, nichts von spielerischem Formalismus.
In dieser suggestiven Lyrik geht es um alles, das heißt, um zwei Menschen, die wegen ihres Engagements gegen die damals in Brasilien herrschende Militärjunta verhaftet und gefoltert wurden, die andere verraten und anschließend verstummen sollten: Paulo César Fonteles de Lima, geboren 1949, und seine gleichaltrige, zum Zeitpunkt der Inhaftierung schwangere Frau Hecilda. Ein kluges Nachwort des Übersetzers Steven Uhly stellt die literarisch-politischen Zusammenhänge her und zeigt dabei das Solitäre dieser Gedichte, die sich von dokumentarischen Hafterinnerungen der Zeitgenossen ebenso unterscheiden wie vom appellativen Ton gängiger engagierter Lyrik. Nur einmal versuchte der damals junge Dichter gegen seine Einsamkeit, gegen das Gefühl entsetzlichen Ausgeliefertseins das vermeintlich schützende Kollektiv anzurufen: "Wer kann gegen das Volk bestehen?" Es ist die einzige hohl klingende Zeile in einem schmalen, aber sprachlich hochkonzentrierten Werk, das deutsche Leser wohl vor allem an die Gefängnisgedichte des DDR-Bürgerrechtlers Jürgen Fuchs und die Folter-Reflexionen von Jean Améry erinnern wird. Keine Rhetorik, keine Phrasen, nur das in seiner Genauigkeit zu Kunst, zu Literatur gewordene Auge-in-Auge mit einer Erfahrung, die das ganze Leben verändern wird.
"Das Flugzeug hebt ab./ Keine Handschellen fesseln das Gelenk der Frau/ deren freier Arm auf dem gewölbten Bauch ruht./ Das Radio übermittelt die Nachricht: Hallo/ Hallo/ Die Ware/ Die Ware/ die Ware/ ist angekommen/ Die Ware/ ist angekommen."
Was jedoch in der Absicht der Schergen zur Ware, zum Ding werden sollte, ist Mensch geblieben, ist Dichter geworden. Und dennoch kein Happy End: Am 11. Juni 1987 wird Paulo Fonteles de Lima, nun auch im wieder demokratisch gewordenen Brasilien auf der Seite der Unterdrückten und landlosen Bauern, von einem gedungenen Mörder, einem ehemaligen Militärpolizisten, dreimal in den Kopf geschossen. So groß damals aber auch die Anteilnahme unter der Bevölkerung war – im heutigen, von "normaler" Kriminalität gebeutelten Brasilien erinnert man sich an die von 1964 bis 1985 dauernde Militärdiktatur eher ungern. Die Gedichte des Bandes "Wenn der Tod sich nähert, nur ein Atemzug" erscheinen deshalb nicht allein zum erstenmal auf Deutsch, sondern überhaupt zum ersten Mal in gedruckter Form. Ausgehändigt wurden sie dem Übersetzer von Paulo Fonteles Filho, dem damals noch ungeborenen Kind aus dem Gedicht über die gefolterte schwangere Frau. So ist dieses Buch außer seinem unbestreitbaren literarischen Rang vielleicht doch noch zu einem Zeichen der Hoffnung geworden: Streng, jeder wohlfeilen Illusion abhold, widerständig bis zum letzten Wort.
Rezensiert von Marko Martin
Paulo César Fonteles de Lima: Wenn der Tod sich nähert, nur ein Atemzug
Gedichte
Aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt und mit einem Essay versehen von Steven Uhly
Matthes & Seitz, Berlin 2006
191 Seiten, 16, 20 Euro
Knappe, lakonische, sich jeglicher blumigen Geschwätzigkeit verweigernde Verse sind es, die der brasilianische Lyriker Paulo César Fonteles de Lima nach knapp zwei Jahren Haft ab dem 6. Juni 1973 zu Papier gebracht hatte. Die verbrauchte Metapher fürs Schreiben erhält in diesem Fall Sinn, denn es wurden schließlich zehn Jahre, während derer er seine Erlebnisse zu Erfahrungen und zu Gedichten reifen ließ, die tatsächlich aufs Papier gebracht werden mussten – mit weißen Zwischenräumen auf den Buchseiten, die das Schweigen markieren, mit eingerückten Zeilen und Wiederholungen für den notwendigen Rhythmus. Das verleugnet seine Prägung durch die Konkrete Poesie nicht, hat jedoch nichts von l´art pour l´art, nichts von spielerischem Formalismus.
In dieser suggestiven Lyrik geht es um alles, das heißt, um zwei Menschen, die wegen ihres Engagements gegen die damals in Brasilien herrschende Militärjunta verhaftet und gefoltert wurden, die andere verraten und anschließend verstummen sollten: Paulo César Fonteles de Lima, geboren 1949, und seine gleichaltrige, zum Zeitpunkt der Inhaftierung schwangere Frau Hecilda. Ein kluges Nachwort des Übersetzers Steven Uhly stellt die literarisch-politischen Zusammenhänge her und zeigt dabei das Solitäre dieser Gedichte, die sich von dokumentarischen Hafterinnerungen der Zeitgenossen ebenso unterscheiden wie vom appellativen Ton gängiger engagierter Lyrik. Nur einmal versuchte der damals junge Dichter gegen seine Einsamkeit, gegen das Gefühl entsetzlichen Ausgeliefertseins das vermeintlich schützende Kollektiv anzurufen: "Wer kann gegen das Volk bestehen?" Es ist die einzige hohl klingende Zeile in einem schmalen, aber sprachlich hochkonzentrierten Werk, das deutsche Leser wohl vor allem an die Gefängnisgedichte des DDR-Bürgerrechtlers Jürgen Fuchs und die Folter-Reflexionen von Jean Améry erinnern wird. Keine Rhetorik, keine Phrasen, nur das in seiner Genauigkeit zu Kunst, zu Literatur gewordene Auge-in-Auge mit einer Erfahrung, die das ganze Leben verändern wird.
"Das Flugzeug hebt ab./ Keine Handschellen fesseln das Gelenk der Frau/ deren freier Arm auf dem gewölbten Bauch ruht./ Das Radio übermittelt die Nachricht: Hallo/ Hallo/ Die Ware/ Die Ware/ die Ware/ ist angekommen/ Die Ware/ ist angekommen."
Was jedoch in der Absicht der Schergen zur Ware, zum Ding werden sollte, ist Mensch geblieben, ist Dichter geworden. Und dennoch kein Happy End: Am 11. Juni 1987 wird Paulo Fonteles de Lima, nun auch im wieder demokratisch gewordenen Brasilien auf der Seite der Unterdrückten und landlosen Bauern, von einem gedungenen Mörder, einem ehemaligen Militärpolizisten, dreimal in den Kopf geschossen. So groß damals aber auch die Anteilnahme unter der Bevölkerung war – im heutigen, von "normaler" Kriminalität gebeutelten Brasilien erinnert man sich an die von 1964 bis 1985 dauernde Militärdiktatur eher ungern. Die Gedichte des Bandes "Wenn der Tod sich nähert, nur ein Atemzug" erscheinen deshalb nicht allein zum erstenmal auf Deutsch, sondern überhaupt zum ersten Mal in gedruckter Form. Ausgehändigt wurden sie dem Übersetzer von Paulo Fonteles Filho, dem damals noch ungeborenen Kind aus dem Gedicht über die gefolterte schwangere Frau. So ist dieses Buch außer seinem unbestreitbaren literarischen Rang vielleicht doch noch zu einem Zeichen der Hoffnung geworden: Streng, jeder wohlfeilen Illusion abhold, widerständig bis zum letzten Wort.
Rezensiert von Marko Martin
Paulo César Fonteles de Lima: Wenn der Tod sich nähert, nur ein Atemzug
Gedichte
Aus dem brasilianischen Portugiesisch übersetzt und mit einem Essay versehen von Steven Uhly
Matthes & Seitz, Berlin 2006
191 Seiten, 16, 20 Euro