Unter die Haut

Von Johannes Halder |
Ihre Bilder handeln von der nackten Existenz: von Geburt, Sexualität und Tod, und vor allem von der Identität. Die Kunsthalle Baden-Baden zeigt nun 250 Arbeiten der Malerin Marlene Dumas.
Gesichter, nichts als Gesichter. Kopf an Kopf hängen sie nebeneinander, übereinander, zwei ganze Wände voll. Köpfe, Münder, Augen, Nasen, Haare. "Female" – "Weiblich" heißt das Panorama der 211 Porträts, das die Malerin Marlene Dumas vor einem Dutzend Jahren mit schwarzer Tusche aufs nasse Papier gesetzt hat. Ein Sammler hat ihr den Zyklus damals auf einen Schlag abgekauft und man kann verstehen, was den Mann daran so faszinierte, an den zerfressenen Konturen und zerfließenden Flächen, an der zerronnenen Farbe, an den ausdrucksvoll aufgeschwemmten Physiognomien.

211-mal muss der Betrachter Antwort geben auf die Blicke, die ihn treffen, muss fremde Identitäten sortieren und wird im Angesicht der Fülle dieser weiblichen Visagen überschüttet mit einem Schwall von Sinnlichkeit.

"Female" – der Titel war Programm, denn Marlene Dumas ist eine Frau. Wäre sie ein Mann, würde man sie wohl einen Malerfürsten nennen: einflussreich, von der Szene hofiert und entsprechend honoriert. Sie eine Diva zu nennen, wäre allerdings vermessen, denn sie ist völlig bodenständig und ohne Allüren. Körper, Gesichter, der menschliche Leib – ihre Themen handeln allesamt von der nackten Existenz: von Geburt, Sexualität und Tod, und vor allem von der Identität, auch ihrer eigenen. Von dem, was ein Mensch preisgibt, wenn er zum Bild wird; von dem, was eine Frau von sich selbst verrät, wenn sie malt.

Ihre Bilder legt sie uns vor wie pathologische Befunde. Das Bild einer gebärenden Frau zum Beispiel, den skelettierten Schädel eines Kindes. Den hingestreckten Leichnam eines Missionars, der nur zu schlafen scheint. Den Kopf einer Schlafenden wiederum, die wirkt, als wäre sie tot. Es ist diese Mehrdeutigkeit, die uns zwingt, Stellung zu beziehen, selbst zu deuten, was wir da sehen wollen. Und das Leben, sagt Marlene Dumas, ist voll von solchen Bildern:

Marlene Dumas: "Ich habe ein breit gefächertes Interesse an Bildern, die ich aus Zeitungen ausschneide: Pornographie, Krieg, Tod, Kinder… Ich habe da alle möglichen Schachteln voller Bilder. In gewisser Weise sind das auch meine Modelle, denn ich benutze keine echten Personen, die für mich posieren. Und wenn ich zum Beispiel das Bild eines Hinterteils benötige, dann finde ich das eben am ehesten in Pornobüchern."

Es war schon immer der gewisse Reiz an diesem Werk, dass da eine Frau ganz offensiv mit Themen und Motiven umgeht, für die ein Mann vielleicht ein Alibi bräuchte. Ein nackter Schwarzer, der uns sein Hinterteil entgegenstreckt, sein baumelndes Geschlecht; eine Frau desgleichen ihre Scham, scheinbar obszön. Ein Pin-up-Girl in schwarzen Lederstiefeln, eine Blonde, die sich lasziv im Glitzer-BH räkelt. Doch Dumas verwandelt Obszönität stets in Ehrfurcht, und wie ihr diese Transformation gelingt, jedes Mal, ist ihr Geheimnis, ihre Kunst. Zu sehen, wie das Aquarellpapier, anders als bei den Ölgemälden, die Erotik ihrer Sinnlichkeit verschlingt, wie es die Farbe leckt und schlürft, ist eine Lust.

Marlene Dumas: "Ölfarbe macht so gut wie nie etwas von sich aus. Man kann nicht zur Farbe sagen: So, jetzt fließ mal schön! Sie hat immer etwas Widerspenstiges. Bei den Aquarellen ist das anders. Ich male auf dem Boden und zwar so, dass sich mein Körper fast im jeweiligen Format bewegen kann. Und wenn man das Papier mitbewegt, legt sich die Farbe fast wie eine Haut darüber. Das Illusionistische kommt vom Pinselduktus; aber das Eigentliche, diese Haut, entsteht fast von alleine, ohne Zutun. Man überlässt die Farbe einfach ein bisschen sich selbst."

In der Baden-Badener Schau entblößt sich Marlene Dumas auch selbst ein gutes Stück, indem sie uns buchstäblich in ihre Bücher blicken lässt. Zahlreiche Skizzenblocks und Notizhefte aus ihren südafrikanischen Schul- und Studienjahren belegen, wie zielgerichtet ihr Werk von Anfang an war. Tabus kennt sie nicht. Erst jüngst hat sie eine Serie von Bildern gemalt, die auf Fotos aus psychiatrischen Kliniken im Irak zurückgehen. Da steht ein Mann in einer weißen Kutte, den Kopf gesenkt, die Arme ausgebreitet. Die Pose glauben wir zu kennen. Er könnte ein Folteropfer sein aus dem Skandalknast Abu Ghreib in Bagdad. Doch der Kontext ist ein völlig anderer. Ein Bild, das dennoch unter die Haut geht und eine weitere Lektion im großen Projekt der Künstlerin, das sich, so glaubt Kurator Matthias Winzen, auf eine einfache Formel bringen lässt: Das, was wir sehen, ist nicht immer das, was es ist.

"Es sind im Grunde genommen wirklich Bedeutungsgenerierungsapparate ihre Bilder, die den Betrachter extrem herausfordern. Das kann sie eben gut. Und wenn ein Witz dazu hilft, wenn ein Schuss Frivolität dazu hilft, wenn ein Schuss existenzieller Abgrund da hilft, – es gibt ja auch hier in der Ausstellung das Bild eines gehenkten kleinen Mädchens, da kommt man ja gar nicht drüber weg, das kann man gar nicht vergessen, wenn man dieses Bild gesehen hat – wenn das eben nötig ist, dann tut sie das."

Die Ausstellung ist vom 17. Dezember bis zum 26. Februar zu sehen.