Unter den Leuchttürmen wird es dunkel

Von Jochen Stöckmann |
Kulturmanager und Kommunalpolitiker wollen mit überdimensionierten Museumsbauten und hoch subventionierten Theatern die Massen anziehen. Doch das "Leuchtturm-Prinzip" hat viele Tücken. Was als großartige Chance ausgegeben wird, gefährdet eine dringend nötige kulturelle Strukturpolitik, meint Jochen Stöckmann.
Mit einem frei schwebenden Kubus über den Silos der zum Kunstmuseum umfunktionierten Küppersmühle wollte Duisburg pünktlich zum Jubeljahr 2010 seine Bedeutung als Kulturhauptstadt markieren. Veranschlagt waren für den Entwurf des Schweizer Architekten-Duos Herzog de Meuron etwa 30 Millionen Euro. Tatsächlich hat das Prestigeprojekt dann mehr als das Doppelte gekostet - und ist trotzdem nicht fertig geworden. Nachdem nun auch noch Mängel an den Schweißnähten festgestellt wurden, liegt der Wolkenbügel als Bauruine am Boden. Das nackte Stahlgerippe eignet sich allenfalls noch als Kulisse für ein tristes Lehrstück über die sogenannten "kulturelle Leuchttürme".

Demnach sollen herausragende Museen, Theater oder auch Bibliotheken in Zeiten finanzieller Ebbe einen rettenden Kurs für die Kulturpolitik abstecken. So suggeriert es das von Haushalts- wie auch Kulturpolitikern in verdächtiger Eintracht benutzte Sprachbild. Und auf den ersten Blick scheint es auch ganz plausibel, die schwindenden Budget-Mittel auf besonders wichtige, einzigartige oder auch beispielgebende Institutionen und Projekte zu konzentrieren. Andererseits muss es skeptisch stimmen, dass in den politischen Debatten zunehmend schwammige Metaphern solide Argumente ersetzen. Wer erinnert sich nicht an jene Reizvokabeln, mit denen vor Jahren jede Kürzung von Kunstförderungen als "Rasenmäher-Methode" geschmäht und eine Kultursubvention in der Fläche als "Gießkannen-Prinzip" verworfen wurde?

Es ist durchaus nicht verwerflich, die komplizierten Feinheiten der Politik mit Sprichwörtern und illustrativen Beispielen aus dem täglichen Leben verständlich zu machen. Nur dürfen Logik und gemeiner Menschenverstand dabei nicht zu kurz kommen: "Unter dem Leuchtturm ist es dunkel", das wusste einst jeder Küstenbewohner. Heute dagegen versprechen Kulturmanager, Projektentwickler und am Ende auch die Kommunalpolitiker allen Ernstes, dass der repräsentative - de facto also überdimensionierte - Museumsbau oder ein auf Kosten aller anderen Bühnen hoch subventioniertes Theater die Massen anziehen, Geld in die Kassen spülen und am Ende die ganze Stadt beleben wird.

Was da als großartige Chance ausgegeben wird, muss jeder, der nur halbwegs aufmerksam durch unsere Straßen geht, als trügerische Hoffnung, sogar als Gefährdung einer dringend nötigen kulturellen Strukturpolitik einstufen: Berlin zum Beispiel mit einer Nationalgalerie auf dem völlig verödeten Kulturforum und dem architektonisch überwältigenden Jüdischen Museum zwischen Sozialbau-Tristesse. Berlin dürfte zwischen all diesen "Leuchttürmen" nicht nur sein städtebauliches Gleichgewicht verlieren.

Und republikweit passen Leuchttürme so gut, pardon: so schlecht in die föderalistisch geprägte Kulturlandschaft wie Windräder in ein Naturschutz-Gebiet. Ein schiefes Bild? Mag sein, doch auch die Analyse der Zahlen, der strukturellen Probleme bringt ein ganz Ähnliches Ergebnis: Da beklagen etwa Experten im "Blaubuch der kulturellen Leuchttürme", dass die Bibliothek im Schloss Friedenstein in Gotha nicht entsprechend ihrer Bedeutung gefördert wird. Dieser Missstand aber liegt vor allem darin begründet, dass die kulturellen Großprojekte in Weimar die Masse der in Thüringen verfügbaren Mittel an sich ziehen. Auf der anderen Seite blitzen kleine Institutionen wie das Bach-Haus in Eisenach mit ihren Förder-Anträgen ab, weil die in Rede stehenden Beträge einfach zu gering sind, den ganzen Aufwand der Experten-Untersuchung, der Evaluation und Begutachtung nicht lohnen.

Das "Leuchtturm-Prinzip" hat allzu viele Tücken. Kulturpolitischen Landratten, die weiterhin ihre Vorliebe für maritime Metaphern pflegen wollen, sei deshalb geraten: Verzichtet auf die trägen Panzerkreuzer, baut viele wendige Schnellboote.

Jochen Stöckmann, Jahrgang 1956, freier Kulturjournalist, Kunst- und Architekturkritiker. Studium Soziologie und Sozialpsychologie, Feuilletonredakteur der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung", Arbeitsaufenthalte in Frankreich, Ausflüge in das 18. Jahrhundert und - nach 15 Monaten als "Bürger in Uniform" - in Militärgeschichte und -politik.
Jochen Stöckmann
Jochen Stöckmann© privat