Unter dem Schnee begraben
Für die Wintersportler, die sich abseits der gewalzten Skipisten bewegen, stellen Lawinen eine besonders große Gefahr dar. Allerdings sind heute die Überlebenschancen in solch einem Fall deutlich höher als vor einigen Jahren. Das zeigen Studien der Sicherheitsforschung beim Deutschen Alpenverein.
Die Explosion einer Sprengladung hallt vom 2200 Meter hohen Gipfel des Nebelhorns bei Oberstdorf im Allgäu weit ins Tal hinab. Fast lautlos bewegen sich Augenblicke später riesige Schneemassen nach unten – "Ziel erreicht", sagt Alfred Spötzel von der Lawinenkommission Oberstdorf:
"Also durch die Sprengung wird praktisch künstlich die Störung der Schneedecke erzeugt. Was im Unglücksfall der Skifahrer oder eben der Mensch, der dort hineingeht, auslöst, wird hier künstlich erzeugt. Und dadurch wird das Abgleiten der Lawinen praktisch vorhersehbar eingeleitet. Da ist dann alles abgesperrt. Dann geht der Schnee ab. Und der liegt dann unten. Und dann kann man den Weg und die Piste wieder öffnen."
Solche Sprengungen zum gezielten Lawinenabgang werden immer häufiger eingeleitet, um Pisten und Skiwanderwege zu schützen. Sprengladungen, Zeitzünder – all dies haben die Hersteller so entwickelt, dass sie leicht handhabbar sind. Und auch die Prognosetechniken darüber, welche Gebiete und welche Schneekonstellationen besonders gefährlich sind, haben sich erheblich verbessert. Doch die kontrollierte Sprengung ist das eine, verfeinerte Techniken im Falle eines unkontrollierbaren Lawinenabgangs das andere.
Ein Mann im Anorak schreitet kreisförmig die Schneemassen ab, die sich gerade im Zuge der Lawinensprengung am Fuße des Nebelhorn-Gipfels aufgehäuft haben. In seiner Hand hält er ein kleines, piependes Kästchen. Konzentriert blickt er mal auf die Anzeigen darauf, mal auf die Schneemassen.
"Das ist jetzt die Grobsuche, der Erstempfang. Er rennt jetzt ins Feld, wo die Lawine liegt und schaut, wo er zum ersten Mal ein Signal bekommt. So ein Piepsen hört er dann auf seinem Gerät. Und wenn er regelmäßigen Empfang hat, dann hört man das so, dass das Gerät regelmäßig piepst und eine Entfernung und einen Pfeil anzeigt, der zum Verschütteten führt,"
… erklärt Chris Semmel, Leiter der Sicherheitsforschung beim Deutschen Alpenverein. In diesem Fall ist es zum Glück kein Mensch aus Fleisch und Blut, den Semmels Kollege mit dem Gerät in der Hand sucht, sondern eine menschengroße Puppe, ausgestattet mit einem Ortungsgerät. Nach etwa drei Minuten legt der Experte das piepende Suchgerät aus der Hand. Aus dem Rucksack zieht er eine dünne Metallsonde, die er etwa zwei Meter lang ausziehen kann, so ähnlich wie eine Autoantenne. Damit stochert der Mann in kurzen Abständen im Schnee.
Mit einer aufklappbaren Metallschaufel gräbt der Lawineretter in Windeseile ein Loch – erfolgreich.
"Er hat ihn gefunden. Das waren vier Minuten und 25 Sekunden. Das ist extrem schnell."
Aber im Ernstfall muss es auch schnell gehen: Die Experten des Deutschen Alpenvereins sprechen von einem sogenannten "Überlebensknick" von 15 Minuten. Eine Auswertung der Statistiken hat ergeben: Zwei Drittel aller Lawinenopfer, die länger als 15 Minuten unter den Schneemassen liegen, werden nur noch tot geborgen. Werden sie in einem Zeitraum von unter 15 Minuten gefunden, liegt die Überlebenschance dagegen bei rund 70 Prozent. Dass die Suche nach Lawinenopfern heutzutage deutlich rascher als noch vor einigen Jahren funktioniert, liegt, so Sicherheitsexperte Chris Semmel, an der neuen Generation der Ortungsgeräte:
"Gut, vor zehn Jahren hatten wir analoge Geräte. Und heute haben wir digitale Geräte, die einem auch die Richtung und die Entfernung des Verschütteten angeben. Früher musste man diese Richtung mit mühevollem Schwenken selber erhöhen, wenn der Ton lauter oder leiser wurde. Und heute kann man einfach relativ zügig einem Pfeil nachrennen. Und man bekommt auch noch die Distanz zum Verschütteten angezeigt."
Hier spricht die Statistik eine klare Sprache: Wer solche Verschütteten-Suchgeräte im Rucksack mitführt, hat im Falle eines Lawinenabgangs deutlich höhere Überlebenschancen.
"Die eines dabei haben, haben eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 70 Prozent im Vergleich zu den alten VS-Geräten. Da lag die Wahrscheinlichkeit, mit einem VS-Gerät geholt zu werden, bei 40 Prozent."
Chris Semmel hat sich einen Rucksack auf den Rücken geschnallt. Eine Röhre führt zum Gesicht; am Ende befindet sich ein Mundstück wie beim Schnorchel eines Tauchers.
"Das ist eine sogenannte Ava-Lung. Das ist ein Gerät, das die Einatem-Luft von der Ausatem-Luft trennt. Das heißt: Die Ausatem-Luft geht nach hinten, auf den Rücken. Und vorne ist eine Fläche, auf der Brustseite, wo die Luft angesaugt wird. Und damit kann man unter dem Schnee den Sauerstoff im Schnee nutzen, ohne dass die Atemwege vereisen."
Vor allem wird die Luft, die der Verschüttete ausatmet, nach hinten abgeleitet. Dies verhindert tödliche Kohlendioxid-Vergiftungen, die im Regelfall immer dann auftreten, wenn der Betroffene zum Ein- und Ausatmen nur einen kleinen Hohlraum vor seinem Gesicht nutzt. Dabei zieht er das, was er gerade ausgeatmet hat, wieder in die Lungen hinein – ein Teufelskreis, der schnell zum Tod führt – ein Teufelskreis aber auch, der durch den Schnorchel und die "Hilfslunge" im Rücksack durchbrochen wird. Auch dieses System erhöht die Überlebenschance im Falle eines Lawinenabgangs. Schon länger auf dem Markt sind sogenannten "Lawinen-Airbags".
"Ein Lawinen-Airbag ist ein Rucksack, der gezündet werden kann. Dann blasen sich so genannte Airbags so wie im Auto seitlich und um den Hals herum auf, vergrößern das Volumen der Person. Und damit hat man eine große Wahrscheinlichkeit, dass man oben auf der Lawine hängen bleibt und nicht in den Schneemassen vergraben wird."
Darüber hinaus stellen die Sicherheitsexperten des Deutschen Alpenvereins fest, dass sich selbst erfahrene Skitourengeher die physikalischen Gegebenheiten in Gefährdungsgebieten nicht klar machen – und sich völlig falsch verhalten. Florian Helberg, Mitarbeiter der DAV-Sicherheitsforschung:
"Bei Skitouren ist es eben wichtig, das, wenn man sich in steileres, potentiell lawinengefährliches Gelände begibt, den Gruppenverband auflöst. So habe ich zum einen eine geringere Belastung für die Schneedecke und habe auch Sicherheitsabstände zwischen den Gruppenmitgliedern, so dass nicht die ganze Gruppe auf einmal von den Lawinen betroffen ist und jemand noch zur Kameradenrettung übrig bleibt."
Eine Studie der DAV-Sicherheitsforschung, die über zwei Jahre hinweg mehrere Skitouren-Gruppen regelmäßig beobachtet hat, kommt jedoch zu einem ernüchternden Ergebnis: Zwei Drittel aller Teilnehmer verhielten sich gerade andersherum, bildeten in gefährlichen Regionen enge Gruppenverbände. Hier sei, so heißt es beim Deutschen Alpenverein, noch viel Aufklärungsarbeit notwendig. Neben technischen Neuerungen könne auch dies entscheidend dazu beitragen, dass sich Wintersportler sicherer als bisher im Gebirge bewegen – besonders dort, wo Lawinenabgänge häufig vorkommen.
"Also durch die Sprengung wird praktisch künstlich die Störung der Schneedecke erzeugt. Was im Unglücksfall der Skifahrer oder eben der Mensch, der dort hineingeht, auslöst, wird hier künstlich erzeugt. Und dadurch wird das Abgleiten der Lawinen praktisch vorhersehbar eingeleitet. Da ist dann alles abgesperrt. Dann geht der Schnee ab. Und der liegt dann unten. Und dann kann man den Weg und die Piste wieder öffnen."
Solche Sprengungen zum gezielten Lawinenabgang werden immer häufiger eingeleitet, um Pisten und Skiwanderwege zu schützen. Sprengladungen, Zeitzünder – all dies haben die Hersteller so entwickelt, dass sie leicht handhabbar sind. Und auch die Prognosetechniken darüber, welche Gebiete und welche Schneekonstellationen besonders gefährlich sind, haben sich erheblich verbessert. Doch die kontrollierte Sprengung ist das eine, verfeinerte Techniken im Falle eines unkontrollierbaren Lawinenabgangs das andere.
Ein Mann im Anorak schreitet kreisförmig die Schneemassen ab, die sich gerade im Zuge der Lawinensprengung am Fuße des Nebelhorn-Gipfels aufgehäuft haben. In seiner Hand hält er ein kleines, piependes Kästchen. Konzentriert blickt er mal auf die Anzeigen darauf, mal auf die Schneemassen.
"Das ist jetzt die Grobsuche, der Erstempfang. Er rennt jetzt ins Feld, wo die Lawine liegt und schaut, wo er zum ersten Mal ein Signal bekommt. So ein Piepsen hört er dann auf seinem Gerät. Und wenn er regelmäßigen Empfang hat, dann hört man das so, dass das Gerät regelmäßig piepst und eine Entfernung und einen Pfeil anzeigt, der zum Verschütteten führt,"
… erklärt Chris Semmel, Leiter der Sicherheitsforschung beim Deutschen Alpenverein. In diesem Fall ist es zum Glück kein Mensch aus Fleisch und Blut, den Semmels Kollege mit dem Gerät in der Hand sucht, sondern eine menschengroße Puppe, ausgestattet mit einem Ortungsgerät. Nach etwa drei Minuten legt der Experte das piepende Suchgerät aus der Hand. Aus dem Rucksack zieht er eine dünne Metallsonde, die er etwa zwei Meter lang ausziehen kann, so ähnlich wie eine Autoantenne. Damit stochert der Mann in kurzen Abständen im Schnee.
Mit einer aufklappbaren Metallschaufel gräbt der Lawineretter in Windeseile ein Loch – erfolgreich.
"Er hat ihn gefunden. Das waren vier Minuten und 25 Sekunden. Das ist extrem schnell."
Aber im Ernstfall muss es auch schnell gehen: Die Experten des Deutschen Alpenvereins sprechen von einem sogenannten "Überlebensknick" von 15 Minuten. Eine Auswertung der Statistiken hat ergeben: Zwei Drittel aller Lawinenopfer, die länger als 15 Minuten unter den Schneemassen liegen, werden nur noch tot geborgen. Werden sie in einem Zeitraum von unter 15 Minuten gefunden, liegt die Überlebenschance dagegen bei rund 70 Prozent. Dass die Suche nach Lawinenopfern heutzutage deutlich rascher als noch vor einigen Jahren funktioniert, liegt, so Sicherheitsexperte Chris Semmel, an der neuen Generation der Ortungsgeräte:
"Gut, vor zehn Jahren hatten wir analoge Geräte. Und heute haben wir digitale Geräte, die einem auch die Richtung und die Entfernung des Verschütteten angeben. Früher musste man diese Richtung mit mühevollem Schwenken selber erhöhen, wenn der Ton lauter oder leiser wurde. Und heute kann man einfach relativ zügig einem Pfeil nachrennen. Und man bekommt auch noch die Distanz zum Verschütteten angezeigt."
Hier spricht die Statistik eine klare Sprache: Wer solche Verschütteten-Suchgeräte im Rucksack mitführt, hat im Falle eines Lawinenabgangs deutlich höhere Überlebenschancen.
"Die eines dabei haben, haben eine Überlebenswahrscheinlichkeit von 70 Prozent im Vergleich zu den alten VS-Geräten. Da lag die Wahrscheinlichkeit, mit einem VS-Gerät geholt zu werden, bei 40 Prozent."
Chris Semmel hat sich einen Rucksack auf den Rücken geschnallt. Eine Röhre führt zum Gesicht; am Ende befindet sich ein Mundstück wie beim Schnorchel eines Tauchers.
"Das ist eine sogenannte Ava-Lung. Das ist ein Gerät, das die Einatem-Luft von der Ausatem-Luft trennt. Das heißt: Die Ausatem-Luft geht nach hinten, auf den Rücken. Und vorne ist eine Fläche, auf der Brustseite, wo die Luft angesaugt wird. Und damit kann man unter dem Schnee den Sauerstoff im Schnee nutzen, ohne dass die Atemwege vereisen."
Vor allem wird die Luft, die der Verschüttete ausatmet, nach hinten abgeleitet. Dies verhindert tödliche Kohlendioxid-Vergiftungen, die im Regelfall immer dann auftreten, wenn der Betroffene zum Ein- und Ausatmen nur einen kleinen Hohlraum vor seinem Gesicht nutzt. Dabei zieht er das, was er gerade ausgeatmet hat, wieder in die Lungen hinein – ein Teufelskreis, der schnell zum Tod führt – ein Teufelskreis aber auch, der durch den Schnorchel und die "Hilfslunge" im Rücksack durchbrochen wird. Auch dieses System erhöht die Überlebenschance im Falle eines Lawinenabgangs. Schon länger auf dem Markt sind sogenannten "Lawinen-Airbags".
"Ein Lawinen-Airbag ist ein Rucksack, der gezündet werden kann. Dann blasen sich so genannte Airbags so wie im Auto seitlich und um den Hals herum auf, vergrößern das Volumen der Person. Und damit hat man eine große Wahrscheinlichkeit, dass man oben auf der Lawine hängen bleibt und nicht in den Schneemassen vergraben wird."
Darüber hinaus stellen die Sicherheitsexperten des Deutschen Alpenvereins fest, dass sich selbst erfahrene Skitourengeher die physikalischen Gegebenheiten in Gefährdungsgebieten nicht klar machen – und sich völlig falsch verhalten. Florian Helberg, Mitarbeiter der DAV-Sicherheitsforschung:
"Bei Skitouren ist es eben wichtig, das, wenn man sich in steileres, potentiell lawinengefährliches Gelände begibt, den Gruppenverband auflöst. So habe ich zum einen eine geringere Belastung für die Schneedecke und habe auch Sicherheitsabstände zwischen den Gruppenmitgliedern, so dass nicht die ganze Gruppe auf einmal von den Lawinen betroffen ist und jemand noch zur Kameradenrettung übrig bleibt."
Eine Studie der DAV-Sicherheitsforschung, die über zwei Jahre hinweg mehrere Skitouren-Gruppen regelmäßig beobachtet hat, kommt jedoch zu einem ernüchternden Ergebnis: Zwei Drittel aller Teilnehmer verhielten sich gerade andersherum, bildeten in gefährlichen Regionen enge Gruppenverbände. Hier sei, so heißt es beim Deutschen Alpenverein, noch viel Aufklärungsarbeit notwendig. Neben technischen Neuerungen könne auch dies entscheidend dazu beitragen, dass sich Wintersportler sicherer als bisher im Gebirge bewegen – besonders dort, wo Lawinenabgänge häufig vorkommen.