Unter dem Gefrierpunkt menschlicher Deformation

17.09.2010
Rip, Blair, Trent, Clay: So hießen 1985 die Helden aus Bret Easton Ellis' Debütroman "Unter Null". Die Knappheit der Namen war Programm: Derart auf das Ökonomische reduziert hatte man literarische Figuren selten erlebt. Der Autor beschrieb emotional verknappte, sozial abgeschnittene Charaktere, die, obwohl wohlhabende Kinder der Schickeria Hollywoods, vor sich hin vegetierten – freilich auf höchstem Niveau.
Nun, rund 25 Jahre später, besichtigt Ellis diese Gestalten in ihrem natürlich-unnatürlichen Lebensraum L.A. noch einmal: den mittlerweile zum Drehbuchstar avancierten Clay, der auch diesmal als Ich-Erzähler auftritt; den erfolgreichen Agenten Trent; den skrupellosen Dealer und Clubbesitzer Rip. Und die mysteriöse Blair, Clays Jugendliebe.

Liebe - darf man mit solch einem Wort überhaupt umgehen angesichts des vom Autor entworfenen Szenarios? Liebe - das ist auch in dieser Geschichte nur eine Marketing-Vokabel, mit der sich Produkte losschlagen und Emotionen vermarkten lassen. Denn tatsächlich treibt die Helden der "Imperial Bedrooms" ein furchtbares Begehren um. Mal schlägt es um in Larmoyanz, mal in Verletzlichkeit, meist aber in Gewalt und Sadismus.

Der dramaturgische Angelpunkt ist Rain, eine mäßig begabte Aktrice, auf die es alle abgesehen haben, vor allem Clay und Rip, der bereit ist, für die Erfüllung seiner Obsession über Leichen zu gehen. Im Weg steht ihm dabei Julian, ein ehemaliger Callboy, der sich nun als Zuhälter versucht. Rain und Julian sind auf vertrackte Weise ein Paar, fast scheint es, als gäbe es in ihrer Verbindung jenseits der ausbeuterischen Härte so etwas wie romantische Ergebenheit. Und genau dieses Ausscheren aus der Verwertbarkeitslogik ist in der Welt der "Königlichen Schlafgemächer" eine ungeheuere - eine tödliche Provokation.

"Unter Null" verschaffte der Romanliteratur der 80er-Jahre einen Kälteschock, von dem sie bis heute profitiert. Cool waren auf einmal nicht mehr die spekulative Prosa-Schlaumeierei eines Don DeLillo oder die Genre-Vexierspiele von Paul Auster. Ellis’ artistische Kälte hatte den Effekt eines Vereisungssprays; seine literarische Ästhetik schlug, ein Wort des Philosophen Wolfgang Welsch aufgreifend, in Anästhetik, in Anästhesie um.

Betäubt wie die Helden aus "Unter Null" war am Ende auch der Leser: Ereignis- und Teilnahmslosigkeit, zwei Gesichter spätkapitalistischer Verhältnisse, bestimmten die ästhetische Erfahrung.

"Imperial Bedrooms" nun inszeniert mit den Widergängern aus "Unter Null" das Aufbäumen einer Klasse, deren Sinn- und Selbstsuche in einer perversen Zuckung endet. Wie tief sich Korruption in die Beziehungen eingeschrieben hat, demonstriert der Autor in einem sich grausig steigernden Finale, das in seiner Schonungslosigkeit an die brutale Lakonie von "American Psycho" erinnert.

Auch mit diesem Text operiert Bret Easton Ellis also im Bereich der Minusgrade, nur dass er den Gefrierpunkt menschlicher Deformation noch um ein weiteres Stück absenkt. Ein Buch, das einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.

Zum Autor:
Bret Easton Ellis, geboren 1964 in Los Angeles, gehört zu den erfolgreichsten Autoren der jüngeren US-amerikanischen Postmoderne in der Literatur. Sein Debüt "Unter Null", erschienen 1985, wurde als Auftakt einer neuen Ästhetik gefeiert: kühl, lakonisch und dabei schonungslos in der Darstellung von Gewalt und Sexualität porträtierte das Buch eine lost generation von Jugendlichen in den 80er-Jahren. Mit "American Psycho" schrieb Ellis das Skandalbuch der 90er, die Figur des Menschen schlachtenden Yuppies Patrick Bateman gehört zum pathologischen Kanon der Gegenwartsliteratur. "Imperial Bedrooms" schreibt die Geschichte der Helden aus "Unter Null" fort, eine Konfrontation und Abrechnung mit jenen Gestalten, die Ellis berühmt gemacht haben.

Besprochen von Daniel Haas

Bret Easton Ellis: Imperial Bedrooms
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Sabine Hedinger
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2010
224 Seiten, 18,95 Euro