Unter Beobachtung
Mit einem Besuch in der römischen Synagoge will Papst Benedikt XVI. ein Zeichen der Annäherung zwischen Christen und Juden setzen. Seit er vor einem Jahr entschied, die abgespaltenen Bischöfe der Piusbruderschaft wieder in die Kirche aufzunehmen, gilt das Verhältnis als angespannt.
Nur noch zwei Tage, dann kommt der Papst und alles soll glänzen. In der römischen Synagoge polieren die Restauratoren das Geländer. Äußerlich wird alles perfekt sein, wenn das Oberhaupt der Katholiken am Sonntag die jüdische Gemeinde in Rom und ihren Tempel besucht. Draußen errichten Arbeiter Balustraden, an manchen Häusern werden die letzten Renovierungsarbeiten vorgenommen. Als Gastgeber putzt sich das Ghetto vor dem Rendezvous heraus.
Männer vor der Synagoge: "Endlich ein bisschen Frieden zwischen Juden und Christen. Für uns ist der Besuch sehr wichtig. Eine bedeutende Person lässt sich zu einem kleineren Volk herab, auch wenn wir eigentlich die großen Brüder sind. Der Besuch hilft dem Frieden, dem Dialog, dem Zusammenleben."
Es scheint, als stehe eine harmlose Visite unter Freunden an. Doch das ist nur der erste Eindruck. Im Ghetto will man den wichtigen Gast nicht gleich mit Kritik vergraulen, bevor er überhaupt angekommen ist.
Die Bar Totò, 100 Meter von der großen Synagoge am Tiberufer entfernt, ist der Treffpunkt im Ghetto. Vor Beginn des Shabbats sitzen vor der Bar die Männer auf den Holzbänken und tauschen sich aus. Einige erinnern sich noch, als Johannes XXIII. 1963 das Judentum als gleichberechtigte Religion anerkannte und eines Samstagmorgens die Menschen segnete, die aus der Synagoge strömten. Oder 1986, als mit Johannes Paul II. zum ersten Mal ein Papst die Synagoge in Rom besuchte. Nur drei Kilometer liegt der Petersdom vom jüdischen Tempel entfernt. Selbst im Ghetto gibt es Kirchen. Juden und Katholiken, nirgends sind sie so sehr Nachbarn wie in Rom.
Leo: "Wir fühlen uns in jeder Hinsicht als Römer. Wir sind sogar römischer als die Römer. Denn die wahren Römer sind die Juden."
Seit Urzeiten sind Juden in Rom ansässig. Schon vor der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 nach Christus hatten sich Händler und Unterhändler am Tiberufer angesiedelt. Als anschließend immer mehr jüdische Sklaven nach Rom gebracht wurden, wuchs die Gemeinde zu einer der größten der Diaspora an. 1555 ließ Papst Paul IV. die römischen Juden in ein enges, ständig von Überschwemmungen heimgesuchtes Ghetto sperren, das äußerlich nichts mehr mit dem heutigen Bezirk zu tun hat.
Heute ist das kleine Ghetto eine beliebte Touristenattraktion. Es gibt schicke Boutiquen, Kunstgalerien, Handwerksbetriebe, Schmuck- und Stoffläden. Bis vor kurzem versteckte sich einer der angesagtesten Nachtclubs der Stadt in einer der verwinkelten, in gelbes Licht getünchten Gassen. Die Piazza Mattei mit dem Schildkrötenbrunnen ist einer der suggestivsten Plätze der Stadt. Schauspieler, Regisseure, Fernsehmoderatoren und wohlhabende Ausländer haben sich die teuren Wohnungen gesichert. Die meisten römischen Juden leben in anderen Vierteln, viele kommen aber regelmäßig hierher. Schräg gegenüber der Synagoge befindet sich eine Schule im Gemeindehaus. Auch in den einladenden Imbissen und koscheren Restaurants lebt die jüdische Tradition offen sichtbar weiter.
Wirt: "Unsere Spezialitäten sind Rindsschmorbraten, frittierte Artischocken nach jüdischer Art, Blätterteig mit Endiviensalat und Sardellen. Die jüdische Küche hat ihre Wurzeln im antiken Rom. Das ist keine israelische oder nahöstliche Tradition, sondern eine römische. Die Leute kommen sogar aus Norditalien, um die jüdisch-römische Küche zu genießen."
Ardel und seine Taverna del Ghetto sind nicht die einzige kulinarische Attraktion. Aus ganz Rom kommen Kenner, um sich das Gebäck der winzigen Konditorei Boccione an der Via Portico d'Ottavia zu besorgen und der grimmigen Inhaberin Vilma Limentani mit viel Glück ein paar Worte abzuringen. Die spartanische Einrichtung, die typisch römische Murrigkeit der Verkäuferinnen, die jahrhundertealten Rezepte haben Boccione zum heimlichen Kultort des Ghettos gemacht.
Vilma: "Jetzt habe ich wenig da, ich mache ja gleich zu. Ricotta-Torte, Mandelgebäck und Pizza Ebraica, Jewish Pizza."
Gibt es ein besseres Symbol für die hebräisch-römische Ökumene als jüdische Pizza? Ein schwerer Kuchen aus kandierten Früchten, Mandeln, Rosinen und Pinienkernen. Es ist kein Geheimnis, dass die süßen Köstlichkeiten der Konditorei auch im Vatikan hoch geschätzt sind. Papst Benedikt XVI. lässt sich von seinem Leibarzt stets Zimtkekse und ein Stück jüdische Pizza von Boccione mitbringen. Papst hin oder her: Vilma hat jetzt keine Zeit mehr zu verlieren, gleich ist Shabbat und sie muss schließen.
Ginge es nur ums Essen, der Besuch des Papstes wäre ein sicherer Erfolg. Doch die Menschen im Ghetto haben hohe Erwartungen an Joseph Ratzinger und stehen dem deutschen Papst, der Pius XII. selig sprechen will, skeptisch gegenüber.
Lello: "1500 Menschen wurden von den Nazis aus dem Ghetto deportiert. Jetzt wollen sie Papst Pius selig sprechen. Aber er hat damals kein Wort gesagt. Dass das römische Bürger sind. So etwas vergisst man nicht. Meine Großmutter und fünf Geschwister meiner Mutter wurden deportiert. Jeder von uns hat Verwandte."
Das ist die Hypothek, mit der der deutsche Papst am Sonntag vom Vatikan in die Synagoge hinüber kommen wird. Es sind bloß fünf Minuten mit dem Auto und doch gilt es, eine wesentlich größere Distanz zu überwinden.
Männer vor der Synagoge: "Endlich ein bisschen Frieden zwischen Juden und Christen. Für uns ist der Besuch sehr wichtig. Eine bedeutende Person lässt sich zu einem kleineren Volk herab, auch wenn wir eigentlich die großen Brüder sind. Der Besuch hilft dem Frieden, dem Dialog, dem Zusammenleben."
Es scheint, als stehe eine harmlose Visite unter Freunden an. Doch das ist nur der erste Eindruck. Im Ghetto will man den wichtigen Gast nicht gleich mit Kritik vergraulen, bevor er überhaupt angekommen ist.
Die Bar Totò, 100 Meter von der großen Synagoge am Tiberufer entfernt, ist der Treffpunkt im Ghetto. Vor Beginn des Shabbats sitzen vor der Bar die Männer auf den Holzbänken und tauschen sich aus. Einige erinnern sich noch, als Johannes XXIII. 1963 das Judentum als gleichberechtigte Religion anerkannte und eines Samstagmorgens die Menschen segnete, die aus der Synagoge strömten. Oder 1986, als mit Johannes Paul II. zum ersten Mal ein Papst die Synagoge in Rom besuchte. Nur drei Kilometer liegt der Petersdom vom jüdischen Tempel entfernt. Selbst im Ghetto gibt es Kirchen. Juden und Katholiken, nirgends sind sie so sehr Nachbarn wie in Rom.
Leo: "Wir fühlen uns in jeder Hinsicht als Römer. Wir sind sogar römischer als die Römer. Denn die wahren Römer sind die Juden."
Seit Urzeiten sind Juden in Rom ansässig. Schon vor der Zerstörung des Jerusalemer Tempels im Jahr 70 nach Christus hatten sich Händler und Unterhändler am Tiberufer angesiedelt. Als anschließend immer mehr jüdische Sklaven nach Rom gebracht wurden, wuchs die Gemeinde zu einer der größten der Diaspora an. 1555 ließ Papst Paul IV. die römischen Juden in ein enges, ständig von Überschwemmungen heimgesuchtes Ghetto sperren, das äußerlich nichts mehr mit dem heutigen Bezirk zu tun hat.
Heute ist das kleine Ghetto eine beliebte Touristenattraktion. Es gibt schicke Boutiquen, Kunstgalerien, Handwerksbetriebe, Schmuck- und Stoffläden. Bis vor kurzem versteckte sich einer der angesagtesten Nachtclubs der Stadt in einer der verwinkelten, in gelbes Licht getünchten Gassen. Die Piazza Mattei mit dem Schildkrötenbrunnen ist einer der suggestivsten Plätze der Stadt. Schauspieler, Regisseure, Fernsehmoderatoren und wohlhabende Ausländer haben sich die teuren Wohnungen gesichert. Die meisten römischen Juden leben in anderen Vierteln, viele kommen aber regelmäßig hierher. Schräg gegenüber der Synagoge befindet sich eine Schule im Gemeindehaus. Auch in den einladenden Imbissen und koscheren Restaurants lebt die jüdische Tradition offen sichtbar weiter.
Wirt: "Unsere Spezialitäten sind Rindsschmorbraten, frittierte Artischocken nach jüdischer Art, Blätterteig mit Endiviensalat und Sardellen. Die jüdische Küche hat ihre Wurzeln im antiken Rom. Das ist keine israelische oder nahöstliche Tradition, sondern eine römische. Die Leute kommen sogar aus Norditalien, um die jüdisch-römische Küche zu genießen."
Ardel und seine Taverna del Ghetto sind nicht die einzige kulinarische Attraktion. Aus ganz Rom kommen Kenner, um sich das Gebäck der winzigen Konditorei Boccione an der Via Portico d'Ottavia zu besorgen und der grimmigen Inhaberin Vilma Limentani mit viel Glück ein paar Worte abzuringen. Die spartanische Einrichtung, die typisch römische Murrigkeit der Verkäuferinnen, die jahrhundertealten Rezepte haben Boccione zum heimlichen Kultort des Ghettos gemacht.
Vilma: "Jetzt habe ich wenig da, ich mache ja gleich zu. Ricotta-Torte, Mandelgebäck und Pizza Ebraica, Jewish Pizza."
Gibt es ein besseres Symbol für die hebräisch-römische Ökumene als jüdische Pizza? Ein schwerer Kuchen aus kandierten Früchten, Mandeln, Rosinen und Pinienkernen. Es ist kein Geheimnis, dass die süßen Köstlichkeiten der Konditorei auch im Vatikan hoch geschätzt sind. Papst Benedikt XVI. lässt sich von seinem Leibarzt stets Zimtkekse und ein Stück jüdische Pizza von Boccione mitbringen. Papst hin oder her: Vilma hat jetzt keine Zeit mehr zu verlieren, gleich ist Shabbat und sie muss schließen.
Ginge es nur ums Essen, der Besuch des Papstes wäre ein sicherer Erfolg. Doch die Menschen im Ghetto haben hohe Erwartungen an Joseph Ratzinger und stehen dem deutschen Papst, der Pius XII. selig sprechen will, skeptisch gegenüber.
Lello: "1500 Menschen wurden von den Nazis aus dem Ghetto deportiert. Jetzt wollen sie Papst Pius selig sprechen. Aber er hat damals kein Wort gesagt. Dass das römische Bürger sind. So etwas vergisst man nicht. Meine Großmutter und fünf Geschwister meiner Mutter wurden deportiert. Jeder von uns hat Verwandte."
Das ist die Hypothek, mit der der deutsche Papst am Sonntag vom Vatikan in die Synagoge hinüber kommen wird. Es sind bloß fünf Minuten mit dem Auto und doch gilt es, eine wesentlich größere Distanz zu überwinden.