Unsichtbares Weltkulturerbe

Von Lisa Weiß |
Die Unesco hat prähistorische Pfahlbausiedlungen rund um den Alpenraum zum Weltkulturerbe erklärt, darunter Standorte im Bodensee sowie bei der Roseninsel im Starnberger See. Doch dort ist außer ein paar Hölzern im See von der ehemaligen Siedlung nichts zu sehen.
„Ja, liebe Gäste, noch einmal herzlich willkommen zur überfahrt auf die Roseninsel, die ja auch ins Weltkulturerbe der Unesco aufgenommen worden ist, darauf samma natürlich sehr stolz, freut uns sehr."“

Schon vor rund 5000 Jahren gab es auf der kleinen Insel ganze Siedlungen, die auf Stelzen im Starnberger See standen, erzählt der Fährmann – heute wohnt nur noch ein einziger Mensch auf der Roseninsel. Besuch bekommt er bei schönem Wetter von einigen Touristen. Denn für einen Nachmittagsausflug ist die Roseninsel genau richtig: Ein kleines Schlösschen, eine idyllische Parkanlage, ein paar Bänke. Nur wo die berühmten Pfahlbauten aus der Jungsteinzeit und Bronzezeit überhaupt sind, das weiß fast keiner der Urlauber.

„Nein, wir haben nichts gesehen. Wir haben auch noch nicht gesucht.“
„Am Bodensee, da hab ich die Pfahlbauten gesehen, aber hier noch nicht.“
„Nee, sieht man die denn noch? Sind die am Ende da hinten?“
„Die sind unter Wasser, die kann man nicht sehen.“

Sebastian Sommer, Archäologe vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege, nickt: Die Reste der Pfahlbauten sind im Starnberger See versteckt. Bei niedrigem Wasserstand kann man manchmal ganze Reihen von Holzstümpfen sehen – aber jetzt, nach dem Regen der letzten Wochen ist vom Ufer aus kaum etwas zu erkennen.

„Ja, wenn man in das Wasser hinausguckt, sieht man dann alle möglichen Hölzer im Wasser drinliegen. Ein Teil der Hölzer sind umgestürzte Bäume, dann gibt's aber auch einzelne Hölzer, die in den Boden reingesteckt sind. Hauptsächlich Reste der Pfahlbauten, die sind zum Teil freigespült.“

Ein paar Stöcke im Boden, die man nur sieht, wenn man sich auskennt – das soll Welterbe sein? Sebastian Sommer zieht eine Grimasse. Er kennt das Problem, fast alle Bodendenkmäler wie die Pfahlbauten sind sehr unscheinbar.

„Im Grunde spricht der Welterbegedanke nicht an, dass etwas schön sein muss oder dass es erbaulich sein muss, sondern: Hat etwas eine ganz besondere Bedeutung für die Menschheit?“

Und die haben die Pfahlbauten, sagen Sommer und auch die Unesco: Denn weil die eingestürzten Häuser vom Wasser bedeckt sind und kaum Sauerstoff drankommt, sind viele Reste erhalten – wenn auch oft klein und kaum sichtbar. Zusammen ergibt sich aber ein ganz neues Bild der Vergangenheit. Zum Beispiel lässt sich an dem erhaltenen Holz genau ablesen, wie alt die Pfahlbauten eigentlich sind – mit verblüffenden Erkenntnissen für die Geschichte:

„Die Pfahlbauten sind letztendlich verantwortlich dafür, dass man erkannt hat vor etwa 30 Jahren, dass große Teile der nordalpinen Vorgeschichte älter sind, als man das bisher gemeint hat.“

Außerdem haben Archäologen bei Grabungen bei den Pfahlbausiedlungen viel über das damalige Leben der Menschen herausgefunden: Sie haben Fische gefangen, sie hatten Einbäume als Schiffe, am Land haben sie sogar Getreide angebaut, sagt Archäologe Sommer.

„Die meisten von diesen Siedlungen mit manchmal 30 bis 40 Häusern, die werden innerhalb von 1 maximal 2 Jahren gebaut und die sitzen meistens sehr eng beieinander, sind häufig von Palisaden umgeben, also so Holzzaunreihen. Hier an der Roseninsel hat man mittlerweile 3 oder 4 solcher Zaunreihen festgestellt.“

Tausende von Jahren haben die Reste überdauert, viele Pfahlbauten sind wahrscheinlich immer noch unter dem Boden der Insel verborgen. Dass sie nicht in unserer Zeit zerstört werden, das versucht das Bayerische Landesamt für Denkmalpflege zu verhindern: Zum Beispiel soll bei Renovierungen von Häusern auf der Insel möglichst wenig gegraben werden. Aber auch Schiffe sind ein Problem, sagt Sommer, als gerade ein Segelboot am flachen Ufer der Roseninsel anlegt.

„Wir sind einmal über'n See gekreuzt, durch ein Welterbe, das ist ein ganz großes Glück.“
„Haben Sie Angst, dass Sie irgendwas kaputt machen?“
„Nee, weil es gibt bestimmte Schneisen, wo man segeln darf, da halten wir uns dran.“

Selbst da können Segler etwas kaputt machen, sagt Denkmalpfleger Sommer. Man könne nicht die ganze Insel absperren, fast überall gibt es Reste von Pfahlbauten. Und wenn Schiffe Wellen machen, den Anker schleifen lassen oder Badende durchs niedrige Wasser waten, werden schnell mal Reste von Pfahlbausiedlungen zerstört. Sommer träumt von einem Denkmalschutzgebiet bei der Insel – ob das kommt, ist fraglich, selbst jetzt, wo die Pfahlbauten Welterbe sind. Und auch neue Ausgrabungen soll es hier an der Roseninsel nicht geben – wenigstens, wenn es nach Sommer geht:

„Das Welterbe bedeutet nicht,dass man jetzt gezielt mehr forschen soll oder will, sondern wir versuchen unseren Kindern, unseren Kindeskindern möglichst viel von diesem Erbe zu hinterlassen, jede Grabung ist ne Zerstörung also würden wir ihnen weniger hinterlassen.“

Am besten sei es, wenn die Pfahlbauten schön unter Kies und Sand verborgen bleiben, meint Sommer. Selbst wenn man dadurch erst mal keine neuen Erkenntnisse über die Geschichte bekommt. Auch Besucher, die nach den Resten der Pfahlbauten suchen, sieht er nicht so gerne. Denn auch sie könnten versehentlich Reste zerstören.

Aber: Warum hat man dann überhaupt die Pfahlbauten als Unesco-Welterbe vorgeschlagen, wenn man gar nicht will, dass sie so bekannt werden? Sebastian Sommer lächelt und sagt, man wolle das Unsichtbare einfach doch ein bisschen sichtbar machen. Das ist wohl einfach das Paradoxe beim Denkmalschutz.