Unsichtbar in alle Richtungen

Von Arndt Reuning |
Manchmal gibt es Situationen im Leben, die sind so peinlich, dass man am liebsten im Boden versinken möchte. Oder einfach unsichtbar werden. Aber leider ist das ein Ding der Unmöglichkeit. In Zukunft könnte sich das ändern. Denn überall auf der Welt arbeiten Wissenschaftler daran, Materialien zu entwickeln, mit denen sich eine Tarnkappe konstruieren lässt.
Rund acht Monate ist es her, dass Christopher Davis, Professor an der University of Maryland in College Park, der Öffentlichkeit seine Tarnkappe vorgestellt hat. Sie funktioniert nach dem Prinzip, dass sie Licht um einen Gegenstand herum lenkt, so wie Wasser einen Stein im Flussbett umströmt. Der Stein scheint damit unsichtbar zu werden. Allerdings: Die Tarnkappe funktioniert nur in einer zweidimensionalen Welt, also auf einer Oberfläche. Und: Sie ist sehr klein. Christopher Davis:

"Das findet natürlich auf einem winzig kleinen Maßstab statt. Wir können nichts unsichtbar machen, was so groß ist wie ein Elefant. Wohl aber so klein wie ein menschliches Haar. Nicht, dass wir das vom Prinzip her nicht könnten, aber es wird eine Herausforderung sein, die Unsichtbarkeit auf die dritte Dimension auszuweiten."

Wissenschaftler aus Kalifornien haben die Herausforderung angenommen und jetzt sogar gleichzeitig zwei verschiedene Materialien vorgestellt, die sich dazu eignen könnten, Gegenstände optisch verschwinden zu lassen. Und diesmal kleben diese Substanzen nicht nur als dünner Film auf einer Oberfläche, sondern sie erheben sich, um ein dreidimensionales Gebilde zu formen. Meta-Materialien nennt sie der Tarnkappenforscher Xiang Zhang von der University of California in Berkeley:

"Die Silbe 'Meta' bedeutet hier 'über dem Durchschnitt'. Wegen ihrer ungewöhnlichen Eigenschaften. Sie bestehen immer aus zwei verschiedenen Komponenten: aus einem Metall und einem Isolator. Wenn man die chemische Zusammensetzung und die Struktur sorgfältig aufeinander abstimmt, kann man einzigartige optische Eigenschaften erzeugen."

Die Forscher aus Kalifornien haben zum Beispiel ein Meta-Material erschaffen, indem sie hauchdünne Lagen von Silber und Magnesiumfluorid aufeinander geschichtet haben. Dort hinein haben sie in regelmäßigen Abständen winzig kleine Löcher gebohrt - mit einem Gerät, das normalerweise benutzt wird, um Computerchips herzustellen. Das Ergebnis war ein mikroskopisch kleines Gitter, ein Meta-Material, das einen Lichtstrahl auf ungewohnte Weise von seinem Weg ablenken kann - so wie das keine natürliche Substanz vermag.

Schaut man zum Beispiel von oben auf ein Aquarium, dann sieht man den Fisch durch die Lichtbrechung des Wassers an einer leicht höheren Position. Wäre das Wasser im Aquarium ein Meta-Material, dann würde es so aussehen, als ob der Fisch über dem Wasser schwebte. Aber es geht noch verrückter und - leider - auch etwas unanschaulicher. Physiker betrachten Licht gerne als Welle. In einem Meta-Material breitet sie sich auf eine Weise aus, die jeglicher Alltagserfahrung widerspricht.

"Wenn man einen Stein in einen Teich wirft, dann schlägt er Wellen. Die Wellen ziehen Kreise. Die Energie, die damit transportiert wird, läuft nach außen, in dieselbe Richtung wie die Wellenkreise. So verhält sich Licht in einem normalen, natürlichen Material. In einem Metamaterial bewegen sich die Wellen aber rückwärts, während die Energie sich vorwärts ausbreitet. Und das ist der Hauptgrund dafür, dass das Licht in einem Meta-Material in eine ungewohnte Richtung abgelenkt wird."

Und eine Substanz, die solche außergewöhnlichen Eigenschaften besitzt, könnte auch benutzt werden, um eine Tarnkappe zu konstruieren. Trotzdem betont Xiang Zhang, dass sein Team solch ein Wunderwerk noch nicht erschaffen hat. Sondern bloß einen weiteren Meilenstein gesetzt auf dem Weg dorthin. Auch wenn die Idee, sich unsichtbar machen zu können, für manche Menschen natürlich etwas Verführerisches hat - für manche.

"Ich wollte noch nie unsichtbar sein. Aber ich habe mit meinem Sohn darüber gesprochen. Und er würde es gerne einmal sein. Denn er liebt die Harry Potter-Bücher und -Filme."

Trotzdem ist Xiang Zhang davon überzeugt: Bis solche Magier-Träume Wirklichkeit werden, müssen er uns seine Forscherkollegen noch kräftig in die Trickkiste greifen.