"Unsere Probleme sind größer als die Euro-Krise"

Thomas Fatheuer im Gespräch mit Frank Meyer · 31.05.2012
Im Juni sollen bei einem Erdgipfel in Rio de Janeiro 100 Regierungschefs die Weichen für eine grünere Weltwirtschaft stellen. Bundeskanzlerin Merkel hat den Termin bereits abgesagt. Das habe in Brasilien eine "tiefe Enttäuschung" hervorgerufen, sagt Thomas Fatheuer, Berater für Waldschutz und Artenvielfalt bei der Heinrich-Böll-Stiftung.
Frank Meyer: Im Juni sollen bei einem Erdgipfel in Rio de Janeiro 100 Regierungschefs die Weichen für eine grünere Weltwirtschaft stellen. In New York laufen in diesen Tagen die Vorverhandlungen für diese Umweltkonferenz der Vereinten Nationen auf Hochtouren. Was dieser Gipfel bringen könnte, das besprechen wir mit Thomas Fatheuer, er ist Berater für Waldschutz und Artenvielfalt bei der Heinrich-Böll-Stiftung. Herr Fatheuer, seien Sie herzlich willkommen!

Thomas Fatheuer: Ja, schönen guten Tag!

Meyer: Dieser neue Erdgipfel findet ja 20 Jahre nach dem ersten Erdgipfel von Rio statt und diese Umweltkonferenz von 1992 war das größte diplomatische Ereignis im 20. Jahrhundert! Und er war ein diplomatisch, ein gesellschaftlicher Wendepunkt, das schreibt die Heinrich-Böll-Stiftung jetzt zur Einstimmung auf den neuen Erdgipfel. Warum war das damals, 1992, ein gesellschaftlicher Wendepunkt?

Fatheuer: Ja, ich glaube, die Rio-92-Konferenz hat wesentlich dazu beigetragen, Umweltfragen ganz nach oben zu pushen auf einer weltweiten Agenda der Regierungen. Ich glaube, es hat großen Rückenwind dadurch gegeben. Und es gab damals auch eine optimistische Stimmung, dass durch die UNO, durch das UN-System internationale Regulierung möglich ist.

Sie erinnern sich vielleicht an das Montreal-Protokoll, in dem damals diese gefährlichen Treibhausgase, die das Ozonloch verursachten, FCKWs, tatsächlich verboten wurden, ersetzt wurden. Man hatte also eine Erfolgsgeschichte und dachte, man könnte jetzt durch neue Abkommen auch dem Klimawandel und dem Verlust der Artenvielfalt beikommen. Das war, glaube ich, die optimistische Stimmung in Rio. Und es wurde natürlich auch das neue Leitbild der nachhaltigen Entwicklung, vielleicht auch ein Wischiwaschi-Leitbild, aber immerhin, es wurde ein neues Leitbild in die internationale Debatte gebracht.

Meyer: Aber was Sie zuletzt angesprochen haben, das Artensterben geht unvermindert weiter, der Klimaschutz international tritt auf der Stelle seit einigen Jahren. Also, viele Ziele von Rio 1992 sind gerade nicht erreicht worden.

Fatheuer: Ja, genau, das ist natürlich das Problem. 20 Jahre später ist Zeit, einen kleinen Rückblick zu starten. Und da sieht die Bilanz nicht so positiv aus. Sie haben schon die entscheidenden Punkte angesprochen, vielleicht ist auch Kopenhagen der Wendepunkt gewesen, große Erwartungen …

Meyer: … die Klimakonferenz von Kopenhagen meinen Sie.

Fatheuer: Genau, dass man im Klimaabkommen weiterkommt, dass man zu neuen, verbindlichen Vereinbarungen kommt. Und das ist eben gescheitert, man steht im Grunde genommen doch vor einer recht problematischen Bilanz, was den gesamten UNO-Prozess angeht. Also, die klaren Erfolge sind nicht in den letzten 20 Jahren erzielt worden, Umweltzerstörung geht weiter, keines der großen Probleme – das Verbrennen von fossilen Treibstoffen, der Verlust der Artenvielfalt – ist wirklich gelöst.

Meyer: Und vor diesem Hintergrund, erwarten Sie da überhaupt etwas von Rio 2012, vom neuen Erdgipfel?

Fatheuer: Ja, diese Frage, die Beantwortung dieser Frage hängt ein bisschen davon ab, welche Erwartung man wirklich an den Gipfel 2012 jetzt hat. Ich glaube, man kann kaum erwarten, dass der Gipfel – und das will er auch gar nicht – neue, verbindliche Abkommen beschließt. Das war eben nur der große Fortschritt 92, das zwei internationale Konventionen und eine dritte, nämlich die Wüstenkonvention, auf den Weg gebracht worden sind. Also, die Klimakonvention, die Biodiversitäts-Konvention sind damals verabschiedet worden tatsächlich in Rio.

Das erwartet man heute nicht. Man könnte aber erwarten ein starkes Signal an die Regierung und auch an die Menschen in der Welt, die Menschen der Welt: Unsere Probleme sind nicht gelöst, unsere Probleme sind größer als die Euro-Krise, wir haben nach wie vor mit dem Klimawandel zu kämpfen, wir haben mit dem Verlust der Artenvielfalt zu kämpfen, Böden werden knapp, die Bevölkerung wächst, die Weltbevölkerung, und gleichzeitig wächst der Bedarf nach Boden und Land, auch für andere Anbauprodukte. Das ist ein Riesenknoten, der so nicht lösbar ist ohne fundamentale Änderungen.

Das wäre ein starkes Signal an Rio und alle Beteiligten, also die UN, aber auch die Weltbank, die OECD, also die Vereinigung der Entwicklungsländer, sagt, business as usual kann keine Option sein, wir können nicht mehr so weitermachen wie bisher. Wenn solch ein Signal wenigstens rüberkommt, wäre das ein Beitrag dieser Rio-plus-20-Konferenz.

Meyer: Und die Konferenz soll sich ja konzentrieren auf ein Thema, nämlich die grüne Ökonomie. Was sollen wir uns darunter vorstellen. Grüne Ökonomie, was ist das über Ökostrom und Biolandwirtschaft hinaus?

Fatheuer: Ja, ich denke, das sind vor allen Dingen zwei zentrale Punkte, die angesprochen werden müssen bei dieser grünen Ökonomie: Die grüne Ökonomie muss den Verbrauch an natürlichen Ressourcen einschränken. Wir leben über unsere Kosten, das ist völlig klar, und wir beuten die Erde als auszubeutende Mine aus. Und irgendwann ist jede Mine erschöpft. Das lehrt die Erfahrung des Lebens, selbst wenn man da nicht genau die Jahre immer vorhersagen kann.

Wir müssen unseren Ressourcenverbrauch drastisch verringern und wir müssen die Umweltverschmutzung, also den Ausstoß von CO2, aber auch von anderen Treibhausgasen, aber auch von anderen (O-Ton an dieser Stelle nicht verständlich, Anm. d. Red.) drastisch reduzieren. Also, diese beiden Punkte sind Eckpfeiler.

Meyer: Das sind ja die Grundlagen. Aber wir erleben ja, dass gerade dieser Weg auch neue Probleme heraufbeschwört: Wenn wir zum Beispiel an die Biospritfrage denken, wenn große Plantagen angelegt werden für Biospritpflanzen, aber damit Biodiversität, Arten zurückgedrängt werden, die Natur geschädigt wird für eine grüne Ökonomie. Wird sich denn die Konferenz auch solchen Problemlagen stellen?

Fatheuer: Die muss sich denen stellen, zumindest weil viele Nichtregierungsorganisationen, soziale Bewegungen gerade in Lateinamerika solche Fragen stellen werden. Grüne Ökonomie ist nicht klar definiert, es ist auch ein sehr schwammiger Begriff, in den verschiedene Akteure verschiedene Sachen reininterpretieren werden.

Und zum Beispiel werden viele sagen, na ja, gut, der Anbau von Agrotreibstoffen, also Biotreibstoffen, vermindert die CO2-Emission, ersetzt Öl, ist also gut, während andere sagen, genau das ist der falsche Weg, wir können nicht in einer Zeit, wo die Weltbevölkerung wächst, wo wir Nahrungsmittelprobleme haben, wo Nahrungsmittel steigen, immer mehr Land zum Beispiel zur Erzeugung von Agrotreibstoffen umwidmen. Aber da werden große Konflikte auftauchen und diese Frage, was ist eigentlich grüne Ökonomie, ist nicht beantwortet, sondern wird eher ein Konfliktfeld sein.

Meyer: Deutschlandradio Kultur, in diesen Tagen wird der neue Erdgipfel in Rio de Janeiro mit Hochdruck vorbereitet. Über die Erwartung an diesen Gipfel sprechen wir mit Thomas Fatheuer von der Heinrich-Böll-Stiftung. Eine sehr hoch gesteckte Erwartung wurde vor einigen Monaten publiziert von Hans Rudolf Herren, Präsident der Entwicklungshilfe-Organisation Biovision: Er hat gefordert in einem Aufruf, dass Rio 2012 ein Startpunkt sein sollte für eine Umorientierung der globalen Agrarpolitik hin zu einer nachhaltigen ökologischen Landwirtschaft weltweit. Gibt es irgendeinen, den Hauch einer Chance für so eine Umorientierung?

Fatheuer: Ich sehe den nicht. Ich sehe einen ganz interessanten Ansatz in Vorschlägen, zum Beispiel ein Entwicklungsziel einzuführen, das bis 2020 oder 25, das muss noch näher definiert werden, die Bodendegradation auf Null bringt, also die Verkarstung von Böden, ein großes Problem, was 92 nicht angesprochen worden ist.

Da gibt es Vorschläge, das einzubringen. Ansonsten sind die Vorschläge, die jetzt auf dem Tisch sind, nicht konkret genug, als dass tatsächlich eine konkrete Wende in der Landwirtschaftspolitik am Horizont wäre. Jeder kann das so interpretieren, weiterzumachen. Effizienzsteigerung wird das große Motto sein, unter dem sich alle einigen können, sowohl die agroindustrielle Großproduktion, wie aber auch Kleinbauern und alles. Aber das wird nicht eine wirkliche Wende sein zu einer Landwirtschaft, die ökologischer ist und die weniger Düngemittel braucht. Ich glaube, das ist eine der großen Herausforderungen, denen wir uns eigentlich stellen müssten.

Meyer: 100 Staats- und Regierungschefs sollen zu diesem Gipfel nach Rio de Janeiro kommen. Die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel hat allerdings abgesagt. Ist das ein Zeichen dafür, dass für die europäischen Politiker derzeit die Probleme zu Hause – Schuldenkrise und so weiter – wichtiger sind als solche Nachhaltigkeits- und Umweltfragen?

Fatheuer: Das kann ich nicht wirklich beurteilen. Ich kann nur sagen, dass es in Brasilien selbst – ich habe mit vielen Brasilianern geredet – also eine tiefe Enttäuschung hervorgerufen hat. Gerade Deutschland steht ja international doch für eine gewisse Vorreiterpolitik in Umweltfragen. Man mag das diskutieren, aber so ist es, wird es gesehen. Und dass ausgerechnet Merkel anders als Hollande und Cameron gesagt hat, sie wird nicht kommen, ist doch in Brasilien mit tiefster Enttäuschung registriert worden und als ein Signal, dass in Europa und gerade in Deutschland jetzt der Gipfel nicht so hoch gehängt wird.

Meyer: 20 Jahre nach dem ersten Erdgipfel von Rio de Janeiro gibt es jetzt den zweiten, im Juni wird die UN-Umweltkonferenz in Rio stattfinden. Darüber haben wir mit Thomas Fatheuer von der Heinrich-Böll-Stiftung gesprochen, herzlichen Dank für das Gespräch!

Fatheuer: Ja, ich danke, Wiederhören!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


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