Unsere Pläne werden immer wieder durchkreuzt

Moderation: Thomas Grote |
Mit Versicherungen oder Lebensweisheiten versuchen wir, uns vor dem Unerwarteten zu schützen, meint Michael Hampe. Zufälle könne man aber nur hinnehmen oder darüber verzweifeln. Der Baseler Wissenschaftler hat das Buch <papaya:addon addon="d53447f5fcd08d70e2f9158d31e5db71" article="134633" text="&quot;Die Macht des Zufalls – Vom Risiko des Lebens&quot;" alternative_text="&quot;Die Macht des Zufalls – Vom Risiko des Lebens&quot;" /> geschrieben.
Grote: Herr Hampe, vor ein paar Wochen habe ich zufällig eine Magisterarbeit in die Finger bekommen über den Zufall, die habe ich gelesen, und da habe ich gesagt: Mensch, da möchte ich eigentlich doch viel mehr darüber wissen! Heute jetzt das Gespräch, und ich habe es nicht vorgeschlagen. Ist das also ein Zufall?

Hampe: Wenn Sie es nicht vorgeschlagen haben und wenn es nicht richtig ausführlich geplant war, dann ist es ein Zufall. Aber ich gehe doch davon aus, dass beim Radio die Sachen langfristig geplant werden und alles der Ordnung nach geht.

Grote: Aber dass es ausgerechnet mir passiert, deswegen.

Hampe: Das ist ein Zufall, ja.

Grote: Der Duden schreibt ja auch, Zufall ist, was jemandem zufällt, zuteil wird. Das ist ja erstmal ganz wertfrei, oder?

Hampe: Ja, ja. Das ist weder positiv noch negativ, und das hängt hauptsächlich von den Erwartungen ab, die einzelne Menschen haben, was einem zufällt und was man als das Ergebnis von Strategien betrachtet.

Grote: Also entstehen die Irritationen bei uns dadurch, wenn uns was zuteil wird, das uns überrascht, egal ob positiv oder negativ?

Hampe: Ja.

Grote: Gibt es denn den Zufall oder mehrere Spielarten?

Hampe: Ja, es gibt vor allen Dingen zwei Arten von Zufällen, die die ganze Diskussion strukturieren in diesem Thema, das ist der subjektive und der objektive Zufall. Der subjektive Zufall betrifft die Ereignisse, die eintreten, ohne dass wir sie erwarten und planen konnten, aber diese Ereignisse können trotzdem eine Ursache haben, und der objektive Zufall betrifft die Vorstellung, dass etwas passieren kann, was dem Prinzip, dass alles eine Ursache haben muss, widerspricht.

Grote: Haben Sie mal für beide Sachen ein Beispiel, für den subjektiven und den objektiven Zufall?

Hampe: Also der objektive Zufall, das ist ein Ereignis in der Quantenmechanik, wo bestimmte Physiker sagen, das tritt auf, aber es gibt keine verborgenen Parameter, die dafür verantwortlich sind, wie Einstein das noch glaubte, sondern da kommt ein Ereignis quasi aus dem Nichts, oder in der statistischen Thermodynamik, ein Zustand eines thermodynamischen Systems ist nicht die Ursache des nächsten Zustandes des thermodynamischen Systems, sondern es geht einfach mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit in den zweiten Zustand über. Da erwartet niemand etwas, also Physiker erwarten da vielleicht auch etwas, aber ihre Erwartungshaltungen sind nicht dafür verantwortlich, dass diese physikalischen Ereignisse eintreten, das ist jedenfalls eine bestimmte Interpretation dieser physikalischen Probleme. Während der subjektive Zufall kommt dadurch zustande, dass die Welt so komplex ist, dass unsere Planungen es nicht ermöglichen vorauszusehen, was uns in dieser Welt passieren wird. Das kann alles seine Ursache haben, dass mich der berühmte Ziegel vom Dach trifft, hat seine Ursache, aber ich habe es natürlich nicht geplant und nicht erwartet, und deshalb ist es ein subjektiver Zufall.

Grote: Ihr Buch "Die Macht des Zufalls" trägt ja den Untertitel "Vom Umgang mit dem Risiko". Welches Risiko meinen Sie, den Zufall oder das Leben?

Hampe: Den Zufall, also dass wir wissen, es treten Dinge ein, die wir nicht geplant haben, und weil wir das wissen, entwickeln wir Strategien, den nicht genau vorhersehbaren Zufall doch irgendwie in den Griff zu kriegen, indem wir eine Versicherung abschließen oder uns in ein bestimmtes Rechtssystem begeben oder Lebensweisheiten pflegen, die uns irgendwie absichern sollen, dass dann, wenn das Unerwartete passiert, wir nicht völlig am Boden zerstört sind.

Grote: Inwiefern ist der Zufall nur eine Metapher für die Beschränktheit unseres Erkenntnisvermögens?

Hampe: Ja, eine Metapher ist ja etwas relativ Kleines innerhalb unseres Sprachsystems, während ich schon sagen würde, dass die Sachen, die mit dem Zufall zusammenhängen, also ganze Wissenschaftssysteme, bestimmte Formen von Aberglauben, das ganze Versicherungswesen nicht einfach eine Reaktion auf eine Metapher ist. Niemand würde auf eine bloße Metapher für etwas, was mit uns zusammenhängt, mit einem solchen Aufwand reagieren. Also das ist schon etwas, was eine stärkere Realität hat als das, was normalerweise in Metaphern umschrieben wird.

Grote: In Ihrem Buch findet sich der schöne Satz: "Man scheint viel erzählen zu können, wenn der Tag lang ist, aber nicht alles Mögliche beweisen zu können." Ist das das große Problem, dass sich Zufälle so schlecht beweisen lassen?

Hampe: Ja, da gibt es gar nicht viel zu beweisen. Sie lassen sich im Grunde nur hinnehmen oder man kann über ihnen verzweifeln. Und dass man eine Erzählung produziert, in der dieser Zufall dann eingebettet wird, ist eine Bewältigungsstrategie, die den meisten Menschen sehr hilft. Man berichtet, was vor dem Zufall gewesen ist, und man berichtet, was sich aus dem Zufall ergeben hat, und dadurch hat man eine Umgangsform gefunden, in der man doch irgendwie Macht über das, was da passiert ist, gewonnen hat in der Erzählung. Aber man kann es dadurch nicht aus der Welt schaffen. Und man kann auch nicht in Zukunft verhindern, dass so etwas mal wieder passiert. Aber ich glaube, dass Erzählungen genau diese Funktion haben, dass man etwas, was man ursprünglich nicht im Griff hatte, man zumindest im Nachhinein in den Griff bekommt.

Grote: Herr Hampe, begrenzt der Zufall die menschliche Macht?

Hampe: Ja, sehr stark. Also in der Technik zum Beispiel können Sie das gut zeigen, dass technische Systeme Versuche sind, Zufälle zu verhindern, vor allen Dingen in Form von Unfällen – Sicherheitssysteme wie Airbags zum Beispiel oder zweifache Ventile oder zweifache Motoren in Industriesystemen, aber diese technischen Systeme können selbst mit dem, was man vorher produziert hat, interagieren, und sind selbst Zufallsgeneratoren, wenn zum Beispiel ein Airbag einfach losgeht, obwohl Sie gar keinen Unfall haben, dann ist das auch für Sie ein Zufall, das haben Sie nicht geplant, und das Sicherheitssystem wird selbst zu einer Gefahr für Sie, und wenn Sie zwei oder drei Ventile, zwei oder drei Motoren haben, können da auch Interaktionen, so genannte Kopplungen, eintreten, die zu Zufällen führen. Also es ist schon etwas, was wir grundsätzlich nicht bewältigen können, obwohl wir uns anstrengen, das zu tun.

Grote: Wenn der Zufall so regiert, wie Sie sagen, dann brauche ich mir auch gar nichts mehr vornehmen und nichts mehr zu planen, oder, der Zufall regelt alles?

Hampe: Doch, doch. Also der regelt gar nichts, der stört Ihre Regelung, aber sicherlich ist es so, dass ganz häufig unsere Regelungen und Erwartungen und Strategien ja realisierbar sind. Sie werden nur immer wieder durchkreuzt. Es hat keinen Sinn, sich vorzustellen, es gäbe eine perfekte Technologie oder eine perfekte Lebensführung, bei der diese Durchkreuzungen nicht mehr passieren. Das wäre quasi eine Illusion, das wäre nicht nur eine Illusion, das wäre, glaube ich, auch eine Schreckensvorstellung, weil wir dann aufhören würden, ein Leben zu führen im emphatischen Sinne. Also ich glaube, dass Lebensführung damit zu tun hat, dass man auf etwas reagieren kann, was man nicht erwartet hat. Und wenn nur Dinge eintreten würden, die man erwartet und geplant hat, dann würde die Lebensführung verschwinden und man würde einfach ein ausführendes Organ einer bestimmten Strategie werden, man würde selbst quasi zu einem Maschinchen werden. Und ich glaube, dass niemand das als eine angenehme Vorstellung betrachtet.

Grote: Richtig leben mit dem Zufall geht also wie?

Hampe: Ja, dass man schon einen Plan entwickelt, was man machen möchte, und wenn dieser Plan durchkreuzt wird, weder in Panik gerät noch den Plan völlig über Bord wirft, sondern versucht, im Rahmen dieses Planes kreativ darauf zu reagieren, was da passiert ist als Unerwartetes. Das ist ja auch eine Quelle von Kreativität – der Zufall. Die Künstler benutzen es in dieser Hinsicht manchmal ja auch systematisch, aber ich glaube, jeder Mensch, der versucht, ein Leben zu führen und nicht einfach eine Karriere zu machen, ist manchmal überrascht, auf was er alles kommt dadurch, dass seine Strategie durchkreuzt wird.

Grote: Wenn ich jetzt glaube, das ist ein Zufall, müssen das die Leute um mich herum auch so sehen?

Hampe: Nicht unbedingt, nein. Also die Beschreibungen, die man selbst von seinem Leben gibt, die hängen ja von sehr spezifischen Erwartungen ab, die man nicht unbedingt immer öffentlich macht. Man teilt ja nicht allen Menschen mit, was man vorhat und was man sich wünscht, und andere Menschen können auf das eigene Leben durchaus eine angemessenere Perspektive haben als man selbst und gar nicht überrascht sein, dass einem etwas Bestimmtes passiert.

Grote: Was ist mit denen, die sagen, nichts, was geschieht, geschieht zufällig, wir ziehen uns die Ereignisse ran und bekommen vom Leben immer genau das, was wir wirklich brauchen, auch wenn uns dies erstmal gar nicht so offensichtlich und gut erscheint?

Hampe: Also, wenn Sie sagen, wir bekommen vom Leben das, was wir wirklich brauchen, dann haben Sie das Leben schon zu so einer Instanz, einer persönlichen Instanz gemacht, die uns mit etwas versorgt und die weiß, was wir brauchen, und eventuell auch wie Eltern, die wissen, was das Kind nötig hat, und wenn das Kind sich die siebte Schokoladentorte wünscht, dann geben sie sie ihm trotzdem nicht, weil sie ja wissen, was gut für das Kind ist. Und so wird das Leben in dieser Redeweise quasi zu einer sorgenden oder strafenden Mutter gemacht, und ich glaube, das ist so eine abergläubische Strategie, um mit dem Zufall zu Rande zu kommen, dass man meint, da draußen ist irgendwie eine personale Instanz, die alles gerecht verteilt, und wenn einem etwas passiert, das man nicht erwartet, dann wird diese Instanz das schon besser gewusst haben als wir selbst.

Grote: Also ersetzt der Zufall nicht die Planstelle Gottes?

Hampe: Die sind dicht beieinander die Planstelle Gottes und der Zufall. Es hängt sehr davon ab, wo Sie personale Beziehungen enden lassen und wo Sie denken, es gibt noch personale Beziehungen, die nichts mit Menschen zu tun haben. Und ich würde die Redeweise von einer persönlichen Instanz, die dafür sorgt, dass im Leben alles gerecht verteilt wird, dass man das bekommt, was man auch verdient hat, als, ja, als einen Aberglauben bezeichnen, mit dem man versucht, den Zufall zu bewältigen, weil das ist eine schmerzhafte Erkenntnis, dass es eine Grenze der persönlichen Beziehungen gibt, eben die soziale Welt, in der die Menschen existieren, und dahinter etwas Unpersönliches beginnt, was sich überhaupt nicht um uns kümmert. Also die Welt ist eben nicht für die Menschen gemacht, das ist, glaube ich, leider so, und daraus resultieren die Zufälle, aber das ist schwer erträglich.

Grote: Der Zufall ist ein Zufall, dazu der Philosoph Michael Hampe, er hat ein Buch geschrieben mit dem Titel "Die Macht des Zufalls". Vielen Dank für das Gespräch!
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