Unsere Hobbit-Welt
Drinnen ist es warm, draußen ist es kalt: Der alten Bundesrepublik sagt man gerne nach, sie sei ein unbesorgtes Schlummerland gewesen. Die Westdeutschen lebten wohlig in einer gut beschützten Nische der Weltpolitik, waren sehr friedlich geworden und wollten von den Händeln draußen in der rauen Welt nichts wissen. Der Strom kam aus der Steckdose, und die Zentralheizung nahm den Leuten die - bisher meist schmutzige und mühsame - Arbeit der Wärmeerzeugung ab.
So rund das Bild vom westlichen Teil Deutschlands als einer Insel der Seligen auch wirkt – es stimmt so nicht. Denn die unwirtliche Wirklichkeit hatte uns auch damals schon erreicht. Es geschah zu einer Zeit, als die Zukunftssorge noch ein Fremdwort war und die Schrecken des Krieges wie die Not der Arbeitslosigkeit außerhalb unserer Vorstellungswelt lagen. Es war im Oktober des Jahres 1973, als fünf erdölexportierende Länder plötzlich drohten, den Hahn zuzudrehen und ihre Erdöllieferungen um fünf Prozent zu verringern. Das war für das ganze Land ein jäher Schock. Wenn meine Erinnerung nicht trügt, reagierten wir verstört, ja unwillig. Wie – so empfanden viele – kann es kommen, dass wir mit so niederen Dingen wie der Energieversorgung behelligt werden? Wie kann es kommen, dass ein so prosaischer Stoff wie Erdöl uns aufscheucht? Obwohl die Politik durchaus energisch auf die neue Situation reagierte – etwa mit einem sonntäglichen Fahrverbots für Pkws –, hinterließ das Ereignis keine tieferen Spuren im kollektiven Gedächtnis der Deutschen. Wir waren am Ende doch noch einmal davongekommen.
Auch jetzt sind wir, scheint es, wieder mit dem Schrecken davongekommen. Ein paar Tage lang hat uns der russisch-ukrainische Streit um Gaspreise die Folterinstrumente gezeigt. Er hat uns gezeigt, wie verletzlich unser Gleichgewicht und unser Wohlergehen sind. Und er hat uns wieder einmal – und diesmal den Überlebensnerv betreffend – gezeigt, dass die Händel der Welt nicht vor unseren Grenzen Halt machen. So gern wir es auch hätten, wir sind keine Insel.
Seit den Anschlägen von New York und Washington, und erst recht seit denen von Madrid und London ist ins öffentliche Bewusstsein gerückt, dass der Terrorismus eine wirkliche und keine abstrakte Bedrohung ist, dass er auch bei uns ankommen kann. Aber gerade das Beunruhigende daran hatte auch etwas Beruhigendes: Es handelt sich hier um eine so genannte "asymmetrische Kriegsführung". Die Bedrohung geht nicht von Staaten, sondern von schwer greifbaren Netzwerken und von terroristischen Tätern aus, die ganz und gar unberechenbar sind und mit denen unsere Regierungen weder verhandeln wollen noch können. Ganz anders hier: Plötzlich ist zu spüren, dass ein Land, mit dem Deutschland immer bessere Beziehungen unterhielt, dass Russland ein politischer Player ist, der kühl seine Interessen verfolgt – Interessen, die über kurz oder lang merklich mit den Interessen Deutschlands kollidieren könnten. Wir merken, dass unser Wunsch, nach all den Katastrophen und Verbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts nur noch von Freunden umgeben zu sein, vielleicht doch nicht auf immer in Erfüllung gegangen ist. Wir merken das, und es fröstelt uns.
Doch die Debatten, die nun geführt werden, verlaufen in altbekannten Bahnen, in den Bahnen des immerwährenden Rechthabens. Diejenigen, denen das von Rot-Grün beschlossene Ende der Kernkraftwerke immer ein Greuel gewesen war, erheben vorsichtig die Stimme. Sie fordern, nun sei es an der Zeit, die Restlaufzeiten zu verlängern – jeder spürt aber, dass sie, trotz gegenteiliger Beteuerung der kernkraftbefürwortenden Kanzlerin, im Grunde die Rehabilitierung der Kernkraft im Sinn haben. Und umgekehrt wiederholen die Freunde des Ausstiegs aus der Atomenergie ihre alten Weisheiten. Den Ausstieg aus dem Ausstieg auch nur hypothetisch zu erwägen, gilt geradezu als unanständig. Obwohl in Amerika wie auch in den durchaus umweltbewussten skandinavischen Ländern längst eine Debatte darüber im Gang ist, ob zu einem guten Energiemix nicht auch die Kernenergie wieder gehören müsse, ficht das hier niemanden an. Wir haben’s nun mal anders beschlossen, die Sonnenblume ist eine so schöne Pflanze – und dann gibt’s ja noch Gerhard Schröder, den Teufelskerl. Der wird seine tiefe Männerfreundschaft zu dem "lupenreinen Demokraten" Putin schon zu nutzen wissen, um uns vor unangenehmen energiepolitischen Überraschungen zu schützen. Manchmal ist die deutsche Welt doch eine ziemlich kleine Welt, die ans Reich der Hobbits erinnert.
Auch jetzt sind wir, scheint es, wieder mit dem Schrecken davongekommen. Ein paar Tage lang hat uns der russisch-ukrainische Streit um Gaspreise die Folterinstrumente gezeigt. Er hat uns gezeigt, wie verletzlich unser Gleichgewicht und unser Wohlergehen sind. Und er hat uns wieder einmal – und diesmal den Überlebensnerv betreffend – gezeigt, dass die Händel der Welt nicht vor unseren Grenzen Halt machen. So gern wir es auch hätten, wir sind keine Insel.
Seit den Anschlägen von New York und Washington, und erst recht seit denen von Madrid und London ist ins öffentliche Bewusstsein gerückt, dass der Terrorismus eine wirkliche und keine abstrakte Bedrohung ist, dass er auch bei uns ankommen kann. Aber gerade das Beunruhigende daran hatte auch etwas Beruhigendes: Es handelt sich hier um eine so genannte "asymmetrische Kriegsführung". Die Bedrohung geht nicht von Staaten, sondern von schwer greifbaren Netzwerken und von terroristischen Tätern aus, die ganz und gar unberechenbar sind und mit denen unsere Regierungen weder verhandeln wollen noch können. Ganz anders hier: Plötzlich ist zu spüren, dass ein Land, mit dem Deutschland immer bessere Beziehungen unterhielt, dass Russland ein politischer Player ist, der kühl seine Interessen verfolgt – Interessen, die über kurz oder lang merklich mit den Interessen Deutschlands kollidieren könnten. Wir merken, dass unser Wunsch, nach all den Katastrophen und Verbrechen des zwanzigsten Jahrhunderts nur noch von Freunden umgeben zu sein, vielleicht doch nicht auf immer in Erfüllung gegangen ist. Wir merken das, und es fröstelt uns.
Doch die Debatten, die nun geführt werden, verlaufen in altbekannten Bahnen, in den Bahnen des immerwährenden Rechthabens. Diejenigen, denen das von Rot-Grün beschlossene Ende der Kernkraftwerke immer ein Greuel gewesen war, erheben vorsichtig die Stimme. Sie fordern, nun sei es an der Zeit, die Restlaufzeiten zu verlängern – jeder spürt aber, dass sie, trotz gegenteiliger Beteuerung der kernkraftbefürwortenden Kanzlerin, im Grunde die Rehabilitierung der Kernkraft im Sinn haben. Und umgekehrt wiederholen die Freunde des Ausstiegs aus der Atomenergie ihre alten Weisheiten. Den Ausstieg aus dem Ausstieg auch nur hypothetisch zu erwägen, gilt geradezu als unanständig. Obwohl in Amerika wie auch in den durchaus umweltbewussten skandinavischen Ländern längst eine Debatte darüber im Gang ist, ob zu einem guten Energiemix nicht auch die Kernenergie wieder gehören müsse, ficht das hier niemanden an. Wir haben’s nun mal anders beschlossen, die Sonnenblume ist eine so schöne Pflanze – und dann gibt’s ja noch Gerhard Schröder, den Teufelskerl. Der wird seine tiefe Männerfreundschaft zu dem "lupenreinen Demokraten" Putin schon zu nutzen wissen, um uns vor unangenehmen energiepolitischen Überraschungen zu schützen. Manchmal ist die deutsche Welt doch eine ziemlich kleine Welt, die ans Reich der Hobbits erinnert.