Unser täglich Brot

    Von Ellen Häring |
    Das deutsche Brot ist weltweit bekannt für Vielfalt und Qualität. Und die wird vor allem durch mittelständische Unternehmen garantiert. Zwar hat auch hier der technische Fortschritt Einzug gehalten, doch ohne kräftiges Zupacken der Bäcker müssten die Verbraucher auf knackige Frühstücksbrötchen verzichten.
    Schon vor der Backstube riecht es betörend: frisch gebackener Hefeteig, süße Teilchen, scharfe Krusten. Drinnen schieben etwa 25 Männer in weißen Hosen, weißen T-Shirts und weißen Hauben Rollwagen durch die langen Gänge einer 2500 qm großen Fabrikhalle. Förderbänder knarren, Maschinen ächzen, es ist laut. Und es ist heiß, sehr heiß morgens um 1.30 Uhr in der Backstube der Bäckerei Wiedemann im Süden Berlins, in Marienfelde.

    Vigo Bartenwerfer, ein fröhlicher Mittvierziger, ganz in weiß mit Schildmütze, geht schnell durch den ersten Gang, er grüßt, lobt, prüft - alles läuft prima. Der Betriebsleiter der mittelständischen Bäckerei versorgt 28 Filialen mit 30.000 Brötchen am Tag, hinzu kommen verschiedene Kuchen und natürlich Brot. Und das wird morgens zuerst gebacken.

    "Ich kann Ihnen mal zeigen, wie's funktioniert."

    Am Ende der rechteckigen Halle steht eine runde Maschine, von der aus zehn armdicke Plexiglasrohre in die Höhe ragen. Darin enthalten sind Mehl, Hefe, Malz, Zucker, Salz, Kürbiskerne - Zutaten für die unterschiedlichsten Brotteige. Gibt der Bäcker dem Computer den Befehl "Kürbiskernbrot", rasseln alle Zutaten in der richtigen Menge in einen Bottich. Der Bottich hat Räder und lässt sich zur Knetmaschine rollen, dort bearbeitet ein Riesenhaken die Teigmasse. Bartenwerfer liebt seine sogenannte "Schnecke", eine Teigmaschine, die ausgerechnet die wenig brotbegeisterten Japanern entwickelt haben:

    "Ich hab gelernt mit 75- kg-Mehlsäcke, die musste ich tragen als 16-Jähriger, das würde ich heute wahrscheinlich nicht mehr können. Teige rausheben, per Hand kneten, das kann man schon als technische Unterstützung den Bäckern geben. Früher musste man ja den Teig aus dem Kneter heben, heute fährt man die Kneterschale an den Kneter ran. Das ist schon deutlich einfacher geworden."

    Der Einsatz von Computer und Technik im Bäckerhandwerk ist längst gang und gäbe, in industriellen Großbäckereien erledigen fast nur noch Maschinen die Arbeit. Anders in kleineren Backstuben, in denen nicht die Masse, sondern die Qualität den Absatz garantiert.
    Vigo Bartenwerfer wirft einen prüfenden Blick in den Bottich. Das Auge des Bäckers sagt: Der Teig sieht gut aus. Aber ist er wirklich in Ordnung?

    "Wenn der Teig fertig ist, muss man das Thermometer reinstecken und per Funk an einen Computer übergeben und dann bekommen Sie wie bei einer Rechtschreibprüfung, ob der Teig so ist, wie sie sich das gedacht haben. Wenn ein Teig nicht in Ordnung war, dann bekommen sie so ein rotes Kreuz. Da ist jetzt ein Teig, der nicht optimal war, und dann kann man reinschauen, was war denn an dem Teig, und da war die Teigtemperatur drei Grad über dem Soll."

    Ein Luftzug, eine offene Tür - es sind Kleinigkeiten, die einem Hefeteig zusetzen können. Der Computer stellt den Fehler fest, der Mensch muss ihn beheben.

    Der Teigbottich hängt nun an einem Flaschenzug in der Luft, die Teigmasse fällt in einen großen Trichter. Hier formt, wiegt und portioniert die Maschine die Brote, dann rollen die Teiglinge auf einem Förderband in die starken Arme von drei Männern. Die packen beherzt hinein in die Masse, kneten, massieren, schlagen - und greifen schon zum nächsten Teigling. Das erste, was der Bäcker lernt ,ist das "Wirken", sagt Bartenwerfer. Und genau das macht Christian Haberyck Spaß:

    "Brote machen von Anfang an bis zum Schluss. Man sieht, was man geschafft hat. Wenn ich woanders bin im Büro, dann ist das halt schreibtechnisch was, und hier ist es halt das, was ich mit meinen Händen mache."

    Nun müssen die Teiglinge ruhen. Sie brauchen Zeit. Es kann chemisch nachgeholfen werden, klar. Schmeckt aber nicht, sagt Bartenwerfer und öffnet eine Glastür.

    Kalte Luft dringt aus dem Raum, es riecht nach Alkohol. Hunderte Teiglinge liegen auf Brettern, gestapelt auf Rollwagen. Sie ruhen und warten. Zwölf Stunden und mehr.

    "Es wird gekühlt, es wird hier reingestellt, und dann kann er ganz langsam reifen der Teig, man riecht das ja, es riecht ja nach Hefe, man riecht es ja, dieses Aroma, und dann entwickeln sich die Geschmacksstoffe, die man da braucht."

    Der Ofenarbeiter prüft, wann der Teig fertig ist. Er holt die Brote aus der Gärkammer, hievt sie mit einem Holzschieber in einen dreistöckigen Ofen. 250 Brote backen auf Steinplatten, Oliver Rubban weicht nicht von ihrer Seite. Sein weißes T-Shirt klebt am Körper, Schweiß läuft über seine Backen, der Ofen ist 300 Grad heiß.

    "Jetzt wird Dampf gegeben, das merken sie schon, und das ist dieser Druck, den man braucht, um Brot zu backen. Und jetzt muss der Ofenarbeiter genau wissen, wann er den Druck wieder rausnimmt. Das ist ne Sache, die man nicht technisieren kann. Da braucht man den Menschen, der mit seiner Sensorik entscheidet: jetzt ist es genau richtig."

    Zweieinhalb Stunden sind vergangen, es ist vier Uhr früh. In der Verladehalle herrscht geschäftiges Treiben. Fünf Lkw stehen an einer Rampe, die Fahrer fahren Mohnbrötchen, Sesambrötchen, Roggenbrötchen, Bauernlaibe, Mischbrote, Baguette in Rollwagen auf die Ladefläche. Jetzt ist keine Zeit mehr, die Ware muss raus. An der Wand hängen 28 Displays, dort ist vermerkt, wie viele Brötchen und Brote welche Filiale bekommt.
    Um 4.20 Uhr ist Abfahrt, hinaus geht es in die kalte Nacht.

    Die Stadt schläft, es gibt kaum Verkehr. Die Ampeln sind noch ausgeschaltet, der Fahrer kommt gut voran. Um 5.00 Uhr erreicht er die erste Filiale am Kurfürstendamm und lädt sofort die Rollwagen aus.

    In der hell erleuchteten Bäckerei warten drei Frauen auf das Brot, sie sortieren, räumen ein und bereiten belegte Brötchen vor. Um 6.00 Uhr muss alles fertig sein, dann kommen die ersten Kunden und wollen frühstücken.