„Unser Körper ist Werkzeug des Glaubens“

Von Kai Adler |
Phrasenhafte Ansprachen, mit leiernder Stimme vorgetragene Predigten und uninspirierte Zeremonien erreichen heute kaum einen Kirchenbesucher mehr. Der Kurs „Liturgische Präsenz“ soll Pfarrer bei der Gestaltung des Gottesdienstes unterstützen.
„In dem Seminar zur Liturgischen Kompetenz vermittele ich zu Anfang ein Grundlagenwissen und eine Grundlagenfertigkeit, von den Werkzeugen vorne, was Präsenz ist in Verbindung mit dem Authentischsein“

Christine Zarft zeigt vollen körperlichen Einsatz: Stimm-, Atem- und Artikulationsübungen stehen am Anfang ihres Seminars ebenso wie die Einübung des richtigen Gangs und des sicheren Stehens. Basiswissen dafür, der Stimme Fülle zu verleihen, den Worten und Gesten Raum und Kraft zu geben.
Die Berliner Schauspielerin unterrichtet junge Theologen darin, wie sie den Gottesdienst so gestalten können, dass ihre Botschaft auch die Zuhörer erreicht.

„Sie werden vom Ballen angezogen, leichtes Spiel in den Knien. Lassen Sie die Brust nach unten sinken, Zunge hinter den unteren Schneidezähnen, sie gucken müde. Und jetzt machen Sie mal so entspannt es geht wawawawa.“

Als Pfarrerstochter ist Christine Zarft kirchlich sozialisiert und aufgewachsen, blieb jedoch irgendwann der Kirche fern. Denn was sie dort zu hören bekam, klang nicht selten so:

„Liebe Gemeinde: Zu diesem Gottesdienst begrüße ich Sie herzlich und wünsche Ihnen, uns, eine gesegnete Stunde und begrüße ganz besonders den Kinderchor, den neugewählten Kirchgemeinderat.“

„Ja, das macht einen nicht unbedingt offen, für das, was Sie sagen.“
„Die Haltung war uneinladend, dieses Nach-vorne-Gebeugte, das Verkrampfte, war für mich sehr anstrengend.“

„Ich habe kaum geatmet und das war hier absolut fest. Und dadurch, dass ich nicht ausgeatmet habe, kam ich von diesem Level nicht runter. Also, Menschen, die in dieser Art und Weise reden – ich nenne das immer das Schwester-Sieglinde-Syndrom, ich habe einen schiefen Kopf gemacht, und da nicht atmen, das ist höllisch anstrengend und vermittelt für alle ein Unwohlsein.“

„Es wirkte, als würde Sie sich irgendwo festhalten.“
„Also, ich hatte nicht den Eindruck, dass Sie geerdet waren.“
„Gar nicht authentisch und irgendwie abgeduckt.“

Feedback der Seminarteilnehmer zu Christine Zarfts Pastorenkarrikatur. Was die angehenden Pfarrer hier zunächst lernen, ist, zu beobachten: Was macht einen gelungenen Auftritt aus, warum kommt eine Botschaft an oder wann scheitert ein Redner. Eine Problematik, die im Studium oft zu kurz kommt, meinen die Studenten.

„Ich bin im achten Semester, ich habe von diesem Seminar hier gehört und bin unter anderem deswegen nach Berlin gewechselt, weil ich es doch sehr empfohlen bekommen habe. Meine Erfahrung bisher mit Präsenz ist vor allem Kindergottesdienstarbeit. Ich spreche eigentlich gerne vor Gruppen, wenn ich mich kompetent fühle, aber wenn ich merke, da sind kompetentere im Raum, dann werde ich auch gerne mal unsicher.“

„Wir haben uns schon mal darüber unterhalten, dass es ja im Grunde ein Stück Schauspiel ist, dass ich Entertainer bin und der Gemeinde versuche, etwas zu verkaufen oder zu vermitteln. Und dann ist es eine Aufführung, die nicht perfekt aber zumindest professionell sein muss.“

„Über die Hälfte dessen, was wir hier tun, was wir hier vorne tun, vermittelt sich über meine Körpersprache, vorrangig über das Gesicht.
Ein sattes Drittel vermittelt sich über die Stimme. Und damit ist nur gemeint, was der Stimmsitz, das Timbre, die Fülle, was das in ihnen auslöst.
Sieben Prozent dessen, was wir sagen läuft übers gesprochene Wort. Und das ist schlichtweg für Protestanten ein Schlag ins Kontor.“

Denn gerade die protestantische Kirche ist stark aufs Wort fixiert und misst – anders als die katholische Kirche – dem körperlichen, sinnlichen Anteil des Gottesdienstes, der liturgischen Geste und Zeremonie, wenig Bedeutung bei. Christine Zarft versucht, Körper und Person des Sprechers mit seiner Botschaft zu verbinden, einen persönlichen Zugang zum Text zu finden. Textarbeit heißt, sich den eigenen Subtext zu erarbeiten, Rhetorik zu erlernen, bedeutet Rhythmus und Interpunktion zu üben.

„Ich hebe meine Augen auf zu dem Herrn. Woher kommt mir Hilfe? Meine Hilfe kommt vom Herrn, der Himmel und Erde gemacht hat.“

„Es war irgendwie müde.“

„Vielleicht doch ein bisschen betonter noch.“

„Sie brauchen eine klare Vorstellung davon, was Sie uns sagen. Und daran dann bleiben. Wenn Sie sagen. (...) Ich hebe meine Augen auf zu den Bergen. – Sie brauchen die Situation: Wo da ne Wand ist, wo da ne Wand ist – wo Sie nirgendwo anders mehr hingucken konnten als nach oben. Sie brauchen die Lebenserfahrung von Ausweglosigkeit. Ansonsten können Sie das Wort nicht sagen ‚Woher kommt mir Hilfe.‘ (...)
Sie brauchen kein Drama reinlegen, aber es ist eine Unabdingbarkeit: ‚Woher kommt mir Hilfe?‘ Und Sie können danach denken: ‚Verdammt noch mal.'(...)
Versuchen Sie noch mal.“

„Sagen Sie mal: Christine, ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe, verdammt noch mal.“
„Christine, ich hebe meine Augen auf zu den Bergen, woher kommt mir Hilfe, verdammt noch mal.“
„Und jetzt sagen Sie: ‚Meine Hilfe kommt vom Herrn‘.“
„Meine Hilfe kommt vom Herrn.“
„Und an der Stelle nicht traurig werden, an der Stelle geht die Sonne auf.
Sagen sie nie: ‚Christi Laib für dich gegeben‘ die Leute, denen sie die Oblate geben, haben einen Sechser im Lotto. Das ist ne Tüte voller Glück über ihren Kopf. (...) Und wenn Sie sagen: ‚Meine Hilfe kommt vom Herrn‘, dann sind Sie angekommen, die Durchquerung der Wüste dauerte lange. (...) Man kann Ihnen die Erschöpfung abspüren, aber es ist wichtig, dass die Sonne aufgegangen ist. Machen Sie noch mal: anlehnen, beide Füße auf die Erde.“
„Meine Hilfe kommt vom Herrn.“
„Genau.“

Das Konzept für ihren Kurs hat sich Christine Zarft selbst erarbeitet. Seit 14 Jahren unterrichtet sie an der Humboldt-Universität von Berlin. Vieles von dem, was sie hier vermittelt, kennt sie aus ihren Lehrjahren als Schauspielerin.

„Nach diesem Grundlagenwissen von Präsenz und Authentischsein wenden wir dieses Basiswissen an an Rituale. Und beschäftigen uns als erstes mit der Gottesdiensteröffnung, (...) weil sie dafür notwendig ist nicht nur gesammelt und konzentriert eine Veranstaltung und einen großen Bogen zu beginnen, sondern auch die Empfindungsqualität des Liturgen und der Liturgen zu schärfen auf eine Sprache, auf eine Pulsschlag. (...) Um den Kontakt herzustellen zur Gemeinde.“

Eine Liebeserklärung an die Gemeinde nennt Christine Zarft die Gottesdiensteröffnung.

„Was brauchen Sie als Handelnde, damit für Sie Gottesdienst beginnen kann, was brauchen Sie im Vorfeld?“

„Ich brauche Adressaten, ich brauche eine eigene innere Gesammeltheit, ich muss einen Moment stehen und beten, bevor ich mich setzte.“

„Wenn die Adressaten kommen, muss ich das schon haben. (...) Da muss ich schon voll sein. Und wenn alle sitzen muss ich durchatmen und dann rein.“

„Okay, ich gebe jetzt mal drei Talare aus.“

„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.
Unserer Hilfe steht im Namen des Herrn“
„Der Himmel und Erde gemacht hat.“
„Liebe Gemeinde, ich begrüße Sie herzlich zum heutigen Sonntag …“

Wie die jungen Theologen ihren Gottesdienst eröffnen, das überlässt Christine Zarft einem jeden selbst. Doch wie sie sich im Talar fortbewegen, welche Gesten und Pausen sie machen, welchen Sprecherimpetus sie haben und ob sie Präsenz zeigen, daran wird gefeilt und geübt. Zum Beispiel, indem die Dreifaltigkeit im Raum verortet wird.

„Jetzt stell ich sie noch mal mittig, Gehen sie noch mal.
Sie haben da drei Achsen und dann haben sie die Dreieinigkeit. Im Namen des Vaters, des Sohnes, und des herrlichen Geist. Sei brauchen ein positives Symbol für das Haltende. Für das Mütterliche, für das Väterliche. Und das hinterlegen Sie hinter das ‚Im Namen des Vaters‘.“
„'Im Namen des Vaters‘ Sie haben ein Bild, Sie machen das mit?“
„Ja“
„Im Namen des Sohnes – das ist das Haltende. Das ist das zu Haltende. Nehmen Sie mal ihr eigenes Sohn oder Tochter Dasein. Dass sie da einen positiven Zugang finden. Im Namen des Heiligen Geistes – ist ganz schön abstrakt. Sei brauchen ein konkretes Bild, das positiv hinterlegt ist. (...)“
„Es geht darum, dass es eine Fülle vermittelt, etwas Positives und was Konkretes.“
„Jetze! Sie haben drei Bilder im Kopf. Ob die tragfähig sind, das kriegen wir erst in der nächsten Zeit mit. Wir gucken, was das macht.“
„Vater, Sohn Heiliger Geist.“
„Wo ist jetzt heiliger Geist, bei der Flasche oder was?“
„Nö, nehmen sie mal Frau Scheel. Ich würde es immer andocken da wo Leute sitzen. Genau. Die mittlere Achse bitte nicht in der Unendlichkeit andocken, sondern dem, der der Mitte am nächsten zusitzt. Sagen sie mal bitte ‚Im Namen des Vaters‘“
„Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes.“
„Amen.“

Auf ähnliche Weise lernen die jungen Kirchenleute an diesen zwei Wochenenden den Segen zu geben, das Kreuz zu schlagen, zu taufen. Grundlagenwissen für Arbeit mit und vor der Gemeinde.

„Also eine Frage die ich gerade habe ist, wann ich es wohl schaffe, meinen Weg zu finden. Man hört so viel Kritik, man hört so viele Ratschläge, so könnte ich es machen und so nicht. und ich frage mich, ab wann man jetzt sagt, das ist mein Stil, so mache ich das, egal, wie viel Kritik ich ernte oder egal wie viel Ratschläge ich noch höre. Da bin ich gespannt, wie lange das noch dauert.“

„Ich glaube, dass ich aus diesem Wochenende mitnehme, mit wie viel Liebe jeder einzelne Teil des Gottesdienstes und nicht nur die Predigt gestaltet werden kann. und ich nehmen auch mit – ich bin ja nun schon so ein Altgedienter mit 23 Jahren Berufserfahrung – dass es sich lohnt, neu anzugucken. Und ich glaube, da lerne ich nicht aus und habe jetzt schon ganz viel Anregung für meine eigenen Gottesdienste, die ich zu leiten habe, mitgenommen. Also bin ganz begeistert.“

Für viele ist Christine Zarfts Kurs nur ein Anfang. Sie kommen wieder, um sich – auch wenn sie bereits im Pfarramt sind – weiter schulen zu lassen.
Denn wer sich einmal auf diese Art der Arbeit eingelassen hat, weiß einen gelungenen Gottesdienst wirklich zu schätzen, geht mit geschärftem Blick in die Kirche und entwickelt nicht selten Ehrgeiz, auch die eigene Kirchenarbeit weiter zu verbessern.

„Die Unschuld ist weg, spätestens nach diesem Seminar ist die Unschuld weg. Sie werden sich viel schwerer in einen Gottesdienst verlieren können. sie werden viel stärker reflektieren Qualität und nicht Qualität. Und sie werden mit der Zeit eine Gnade entwickeln, genau zu gucken, genau zu analysieren, (...) und zu sehen, was nehme ich und was mache ich möglicherweise besser.“