Unser Jeff Koons oder: Die Kunst zur Krise

Von Bernd Wagner |
Endlich beherbergt die Neue Nationalgalerie in Berlin eine Ausstellung, die der ihr ursprünglich zugedachten Funktion eines Autohauses gerecht wird. Jedes Ausstellungsstück hat die Größe einer Limousine, gefällt durch stromlinienförmiges Design und verführerisch glitzernde Lackierung.
Wer aber Anspruch auf ein kostenloses Sozialticket hat, sollte sich die Exponate ruhig genauer ansehen. Er wird dabei erstaunliche Entdeckungen machen, an deren Ende das erhebende Gefühl stehen wird, den vollkommenen Ausdruck der soeben zu Ende gehenden Epoche gesehen zu haben, und zwar zu Ende gehend in einer Krise, die als Finanzkrise begann und sich inzwischen zur Wirtschaftskrise auszuwachsen beginnt, die aber noch niemand Gesellschaftskrise zu nennen gewagt hat. Dabei ist sie genau das, wie uns ein Blick auf Jeff Koons neueste Produkte und seine zu ihnen führende Entwicklung offenbart.

Der Amerikaner startete seine Karriere vor etwa zwanzig Jahren, in jener Zeit also, in der die Implosion des zum Staatssystem gewordenen Kollektivismus den Triumph eines unbegrenzten Individualismus zu bedeuten schien. In instinktiv richtiger Einschätzung dessen, was der Zeitgeist oder, um mit Karl Valentin zu reden, das „Zeit-Gespenst“ forderte, betätigte sich Koons vor allem als hemmungsloser Propagandist seiner selbst.

Er konnte sich dabei auf eine Tendenz stützen, die seit längerem verlangte, dass das Werk hinter seinen Schöpfer zurückzutreten und dieser jenes zu benutzen habe, um sich selbst als Verkünder einer neuen, möglichst unverwechselbaren Botschaft dem Publikum einzuprägen. Das Unverwechselbare an Koons Botschaft war, dass es sich, deutlich von den üblichen Untergangsszenarien absetzend, um eine frohe handelte, auch wenn ihr, um den Kunstcharakter zu wahren, ein Schuss Ironie beigemischt war.

Sie lautete schlicht: Ich bin schön, ich bin groß, ich bin heiter, und wenn ihr mich kauft – als Sonnengott oder zarten Jüngling, in Porzellan, Marmor oder Edelstahl – dann seid auch ihr so schön, so groß und so heiter wie ich. Aus Gründen der Diskretion und eines möglichst vielfältigen Warenangebots beließ es Jeff Koons nicht dabei, sich selbst in einen Briefbeschwerer zu verwandeln, sondern tat es auch mit Michael Jackson und seinem Affen, mit Cicciolina und Elvis Presley, mit Hunden, Katzen, Mohrrüben und allem, was ihm und seinen inzwischen 127 Mitarbeitern unter die Finger kam.

Doch der Künstler – und als solchen nehmen wir Koons hier – wäre nicht Seismograf des Gegenwärtigen und Erahner des Zukünftigen, wenn er dabei stehen geblieben wäre. Im Zuge der allgemeinen Elefantiasis, die in Zeiten wirtschaftlicher Prosperität und/oder ideeller Selbstüberschätzung auch die bildenden Künste zu erfassen pflegt, blähten sich seine Werke ins Monumentale auf, verabschiedeten sich vom Marmor und aller Erdenschwere, um uns fürderhin als Luftballons mit metallener Haut gleichsam zu umschweben.

Nur folgerichtig ist es in diesem Zusammenhang, dass ihm mit den Gärten und Schlössern von Versailles ein Ausstellungsgelände angeboten wurde, das in seiner entrückt überdimensionierten Künstlichkeit seinen Arbeiten ähnlich angemessen ist wie ein ehemaliges Autohaus. Hier konnten seine Osterhasen sich an den Heckenschneidereien barocker Gärtner messen, seine Putten mit ihren patinierten Vorfahren spielen, hier konnte er sich selbst im blitzenden Auge des Sonnenkönigs spiegeln und zweifelsfrei dokumentieren, was der Künstler der Gegenwart zu sein hat: ein höfischer Künstler.

Sein Hof ist das globale Mediendorf, sein idealer Mäzen Milliardär und wirft, „L’Etat c’est moi“ rufend, für seinen Künstler gern ein paar Milliönchen zum Palastfenster hinaus, vorausgesetzt, er erfüllt nebenbei die Funktion eines Hofnarren.

Dieser Künstler, in Gestalt von Jeff Koons, hat, ohne das für den Markt so wichtige Prinzip leichter Wiedererkennbarkeit zu verletzen, von seinen Anfängen bis zur Exposition in der Neuen Nationalgalerie eine bemerkenswerte Metamorphose durchgemacht. Angetreten unter dem Banner des sich selbst feiernden Individualismus ist von diesem rein gar nichts übrig geblieben, entlarvt er unsere Epoche als die einer weiteren Spielart des Kollektivismus, einem, in dem der Einzelne nur noch als Produzent und Konsument von Waren existiert.

Die Waren, die Koons in der Berliner Nationalgalerie anbietet und hinter denen er nun seinerseits verschwindet, sind von der Art, wie sie, auf Regalgröße geschrumpft, in jedem Ein-Euro-Shop ausliegen könnten. Mit Nichts gefüllte Herzen, Toneier, wie man sie legefaulen Hennen unterschiebt, ein aus Luftballons geknüpfter Pudel, in den man mit einer Nadel zu stechen versucht ist, damit er platzt wie all unsere faulen Kredite.

Bernd Wagner wurde 1948 im sächsischen Wurzen geboren. Er war Lehrer in der DDR und bekam durch seine schriftstellerische Arbeit Kontakt zur Literaturszene in Ost-Berlin. 1976 erschien sein erster Band mit Erzählungen, wenig später schied er aus dem Lehrerberuf. Von Wagner, der sich dem Protest gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns anschloss, erschienen neben einem Gedichtband mehrere Prosabände und Kinderbücher. Als die Veröffentlichung kritischer Texte in der DDR immer schwieriger wurde, gründete Wagner gemeinsam mit anderen die Zeitschrift „Mikado“. Wegen zunehmender Repression der Staatsorgane siedelte er 1985 nach West-Berlin über. Zu seinen wichtigsten Büchern zählen „Die Wut im Koffer. Kalamazonische Reden 1-11“ (1993) sowie die Romane „Paradies“ (1997), „Club Oblomow“ (1999) und „Wie ich nach Chihuahua kam“. Zuletzt erschien: „Berlin für Arme. Ein Stadtführer für Lebenskünstler“.