Unschärfe als architektonisches Prinzip

Von Adolf Stock |
Die von Walter Gropius entworfenen Meisterhäuser sowie die Gropius-Villa in Dessau wurden im Zweiten Weltkrieg zerstört. Seit der Wende wird über eine mögliche Rekonstruktion gestritten. Das Berliner <papaya:link href="http://www.bfm-architekten.de" text="Architekturbüro Bruno-Fioretti-Marquez" title="Architekturbüro Bruno-Fioretti-Marquez" target="_blank" /> hat jetzt einen entsprechenden Wettbewerb gewonnen. Im Dessauer Bauhaus stellten sie ihre Pläne vor.
José Gutierrez Marquez: "Das war vielleicht am Anfang ungewöhnlich. Es war von uns nicht erwartet ein Projekt, wie man normalerweise denkt, sondern eine Philosophie, wie man sich so einem Problem annähern würde. Und hier sollten wir nur auf unsere Herangehensweise und Strategie denken, ohne pragmatische Probleme lösen zu müssen."

Architekt José Gutierrez Marquez war zunächst irritiert. Seit Jahren wird in der Bauhaus-Stadt über die Meisterhäuser gestritten, und so sollten die Teilnehmer des Wettbewerbs zunächst überzeugende Ideen liefern.

Ein kurzer Blick zurück: Als das Bauhaus 1925 nach Dessau zog, entwarf Walter Gropius eine Direktorenvilla und drei Doppelhäuser. Doch schon 1933 wurde die Schule geschlossen. Die Nationalsozialisten und später die DDR waren erbitterte Gegner der Bauhaus-Moderne. 1952 sprach Walter Ulbricht von einer "volksfeindlichen Erscheinung".

Die ideologisch begründete Feindschaft hat in Dessau handfeste Spuren hinterlassen. Auf das Fundament der im Krieg zerstörten Gropius-Villa wurde 1956 ein konventionelles Haus mit kleinen Fenstern und Satteldach gesetzt. Ein weithin sichtbares Zeichen, das heute den neuen Bauhaus-Frieden stört. Demnächst soll es einem Neubau weichen. Philipp Oswalt, Direktor der Stiftung Bauhaus Dessau:

"Die Kriegszerstörung und auch der stalinistische Wiederaufbau ist wesentlich für den Umgang auch mit dem Bauhaus, aber auch für die Geschichte der Moderne. Dessau ist sowohl Bauhaus-Stadt, aber sie ist auch Stadt von Kriegsproduktionen, auch Zyklon B kommt aus Dessau, muss man leider sagen, und diese Ambivalenz der Moderne drückt sich in der Geschichte dieses Ensembles aus, und insofern war es ganz wesentlich, dass die Neubauten sich auch als solche zu erkennen geben, um praktisch auch diese Zeit der letzten 70 Jahre erkennbar zu machen, auch für den Laien erkennbar zu machen."

Die Architekten wollen zwar an das Bauhaus erinnern, aber sie wollen sich auch nicht die Zukunft verbauen. José Gutierrez Marquez spricht von einem "sanften Dialog":

"Wir hatten zu tun mit einem Phantom, mit Phantomschmerz, als das Gefühl, das wir hatten gegenüber der Abwesenheit von diesen phantastischen Werken, die jeder in seinem Gedächtnis hat. Das Wort Erinnerung ist vielleicht der richtige Schlüssel für diese Aufgabe. Die Lösung ist nicht eine Kopie von, was schon nicht mehr da ist. Wie kann man trotzdem eine Verbindung mit dieser Vergangenheit etablieren und wie kann man damit umgehen."

Orientierung versprach ein kleines Gipsmodell, das in den Zwanziger Jahren gefertigt wurde, als Walter Gropius seine Villa plante. Es zeigt die äußere Kubatur und dient nun als Folie für das neue Gebäude.

Donatella Fioretti: "Wir werden nicht ein Modell eins zu eins bauen. Wir werden auf viele Details verzichten, und wir teilen ganz klar die Hülle, die massive Hülle von dem inneren Kern. Der erste Schritt war, erst einmal den Guss als Volumen zu identifizieren, sozusagen als leere Hülle, als massive leere Hülle und dann einen Innenkörper aus Holz als eine Art Skulptur, die andeutet die Positionierung der ehemaligen Wände, der ursprünglichen Wände, ohne die aber absolut eins zu eins zu wiederholen. Und damit entsteht ein zeitgenössisches Thema, die Spannung zwischen Hülle und einer Art inneren Skulptur."
Künstler wurden befragt: Hiroshi Sugimoto mit seinen Schwarzweißfotografien, die er mit einer alten Plattenkamera aufnimmt, und Thomas Demand, der mit Pappmaschee -Architektur historische Räume rekonstruiert und sie dann abfotografiert. Zwei Künstler, bei denen die Erinnerung eine zentrale Rolle spielt.

José Gutierrez Marquez: "Wir wissen, dass wir uns nie genau erinnern können, und das ist auch nicht wichtig, sondern dass in diesem Prozess von sich Erinnern, in diesem Mechanismus ist die Unschärfe immer da."

Die Unschärfe wird zum architektonischen Prinzip. Diese Architektur vereint den Respekt vor der Vergangenheit mit einer gehörigen Portion Selbstbewusstsein. David Chipperfield saß mit in der Jury. Mit seiner kongenialen Rekonstruktion des Neuen Museums auf der Berliner Museumsinsel hat er gezeigt, dass Architektur nicht zur Geisel der Geschichte werden muss. Sie kann auch selbst Maßstäbe setzen.

Ende gut, alles gut? Nach langem Streit um die Meisterhäuser wurde ein Schlussstrich gezogen. Wer das stalinistische Häuschen demnächst vermisst, wird rund um die Meisterhäuser reichlich entschädigt. Dort feiert das Vor- und Nachwende-Spitzdach wahre Triumpfe. Die Verachtung der Bauhaus-Moderne bleibt aktuell.

Die Villa Gropius wird allerdings neu gebaut. 2,6 Millionen Euro werden veranschlagt, um das Ensemble der Meisterhäuser zu reparieren. Dabei bekommt der Begriff Rekonstruktion einen neuen Klang, jenseits historischer Schlossfassaden oder Barockkommerz, wie wir ihn am Dresdener Altmarkt ertragen müssen.