"Uns rutscht so schnell kein Kind mehr durchs Raster"
Seit spektakuläre Fälle wie der Tod des kleinen Kevin aus Bremen Schlagzeilen machten, sind Öffentlichkeit und Medien alarmiert. Die Behörden stehen unter dem Druck, schneller eingreifen zu müssen, wenn es Anzeichen für Kindesmisshandlung gibt. Ein Besuch beim Regionalen Dienst in Berlin-Pankow zeigt den Alltag einer Sozialarbeiterin.
"Ich zeige Ihnen das anonymisiert. Das sind Fotos, die die Polizisten gemacht haben, als sie in die Familie gegangen sind, als die Nachbarn gesagt haben, es stinkt immer. Wir wissen gar nicht, woher das kommt. Dass sie einfach mal sehen, unter welchen Umständen Kinder. So müssen sie sich die Küchevorstellen."
Aus ihren Hängeschrank holt Claudia Pasda zwei dicke Hängeordner und legt eine Serie Fotos auf den Tisch:
"Letzte Woche habe ich einen unangemeldeten Hausbesuch gemacht und habe einen absoluten Schweinestall vorgefunden, dass ich sofort in die Kita gegangen bin und geguckt habe, wie es dem Kind geht, und mich wirklich zwei oder drei Stunden mit einer Kollegin beraten habe, ob wir das Kind rausnehmen oder nicht."
Nachbarn hatten beim Krisentelefon des Bezirkes angerufen: Bei der Familie riecht es komisch. Das neue Kinderschutzgesetz verlangt in solch einem Fall vom Jugendamt, das Kind persönlich in Augenschein zu nehmen und sich nicht auf das Urteil anderer zu verlassen. Hausbesuche sollen verbindlicher Standard sein – in Berlin schon länger üblich.
Bereits beim Umzug der Familie hatten die Kollegen vom Nachbaramt deren Akten nach Pankow weiter gereicht. Auch das ist eine Neuregelung im Gesetz, um das so genannte Jugendamt-Hopping zu verhindern. Von daher wusste die Sozialpädagogin bereits: Bei dieser Familie müssen wir schauen, wie wir das Kind schützen und die Familie stützen.
"So eine Herausnahme, muss man dazu sagen, ist auch für die Kollegen eine große emotionale Sache, und die wissen auch, welche Auswirkungen das hat für das Kind, für die Familie, für die Situation. Die überlegen sich das schon sehr, sehr gut. Da könnte man vielleicht manchen Kollegen sagen, die gucken zu lange zu, sagen, ich gebe den Eltern noch mal eine Chance. Mit ganz langen Atem und verschiedenen Maßnahmen und immer wieder anleiern und immer wieder die Familie motivieren mit ganz vielen Gesprächen."
Deutlich spürt die Sozialpädagogin: Seit der spektakulären Fälle von Kindestötung ist der Druck größer geworden. Gleichzeitig reagiert die Öffentlichkeit sensibler, meldet dem Jugendamt mehr Auffälligkeiten. Jetzt wurde im Interesse des Kinderschutzes auch die Schweigepflicht von Ärzten und Beratern bei Anzeichen von Gewalt, Verwahrlosung oder Unterernährung gelockert. Sie sind aufgefordert, die Jugendämter zu informieren, ebenso wie Kita und Schule bereits seit einiger Zeit. Claudia Pasda findet das hilfreich:
"Das hat sich verändert. Die Kita melden uns mehr. Die Schulen sagen, guckt mal hin, der riecht immer so komisch, hat kein Schulbrot dabei. Dass all die Leute, die mit den Kindern zu tun haben, mehr hingucken, dass hat sich positiv verändert für die Kinder. Es rutscht uns so schnell kein Kind mehr durchs Raster, und das war damit beabsichtigt."
Das macht sich bundesweit auch in Zahlen bemerkbar. Wurden 2005 pro 10.000 Kinder unter sechs Jahren sieben in Obhut genommen, waren es 2007 bereits elf. Anschließend entzog das Jugendamt in 10.800 Fällen den Eltern wegen Vernachlässigung oder Misshandlungen das Sorgerecht - 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Jugendämter wirken verunsichert und greifen schneller ein.
"Vorschnell’, kritisieren Elterninitiativen, unterstützt von Experten. Immer wieder fühlen sich Eltern, deren Kinder gegen ihren Willen in Obhut genommen wurden, ungerecht behandelt, klagen über die Willkür der Jugendämter. Diesen Vorwurf griff jetzt auch der Petitionsausschuss des Europaparlamentes auf. Wer kontrolliert eigentlich in Deutschland das Jugendamt, fragte er?
Von außen niemand, bestätigt auch Claudia Pasda. Doch bei ihnen entscheidet niemand allein, schauen wenigstens vier Augen immer auf einen Fall:
"Das ist ein richtiger Balanceakt. Wir sind immer mit einem Bein da, wo wir nicht sein wollen. Denn das Jugendamt hat die Garantenpflicht, das Wächteramt und das ist ganz allein bezogen auf meinen Kopf, meinen Namen. Ich stehe dafür. Wenn dem Kind was passiert, würde ich zur Verantwortung gezogen werden, inklusive der Familie."
Aus ihren Hängeschrank holt Claudia Pasda zwei dicke Hängeordner und legt eine Serie Fotos auf den Tisch:
"Letzte Woche habe ich einen unangemeldeten Hausbesuch gemacht und habe einen absoluten Schweinestall vorgefunden, dass ich sofort in die Kita gegangen bin und geguckt habe, wie es dem Kind geht, und mich wirklich zwei oder drei Stunden mit einer Kollegin beraten habe, ob wir das Kind rausnehmen oder nicht."
Nachbarn hatten beim Krisentelefon des Bezirkes angerufen: Bei der Familie riecht es komisch. Das neue Kinderschutzgesetz verlangt in solch einem Fall vom Jugendamt, das Kind persönlich in Augenschein zu nehmen und sich nicht auf das Urteil anderer zu verlassen. Hausbesuche sollen verbindlicher Standard sein – in Berlin schon länger üblich.
Bereits beim Umzug der Familie hatten die Kollegen vom Nachbaramt deren Akten nach Pankow weiter gereicht. Auch das ist eine Neuregelung im Gesetz, um das so genannte Jugendamt-Hopping zu verhindern. Von daher wusste die Sozialpädagogin bereits: Bei dieser Familie müssen wir schauen, wie wir das Kind schützen und die Familie stützen.
"So eine Herausnahme, muss man dazu sagen, ist auch für die Kollegen eine große emotionale Sache, und die wissen auch, welche Auswirkungen das hat für das Kind, für die Familie, für die Situation. Die überlegen sich das schon sehr, sehr gut. Da könnte man vielleicht manchen Kollegen sagen, die gucken zu lange zu, sagen, ich gebe den Eltern noch mal eine Chance. Mit ganz langen Atem und verschiedenen Maßnahmen und immer wieder anleiern und immer wieder die Familie motivieren mit ganz vielen Gesprächen."
Deutlich spürt die Sozialpädagogin: Seit der spektakulären Fälle von Kindestötung ist der Druck größer geworden. Gleichzeitig reagiert die Öffentlichkeit sensibler, meldet dem Jugendamt mehr Auffälligkeiten. Jetzt wurde im Interesse des Kinderschutzes auch die Schweigepflicht von Ärzten und Beratern bei Anzeichen von Gewalt, Verwahrlosung oder Unterernährung gelockert. Sie sind aufgefordert, die Jugendämter zu informieren, ebenso wie Kita und Schule bereits seit einiger Zeit. Claudia Pasda findet das hilfreich:
"Das hat sich verändert. Die Kita melden uns mehr. Die Schulen sagen, guckt mal hin, der riecht immer so komisch, hat kein Schulbrot dabei. Dass all die Leute, die mit den Kindern zu tun haben, mehr hingucken, dass hat sich positiv verändert für die Kinder. Es rutscht uns so schnell kein Kind mehr durchs Raster, und das war damit beabsichtigt."
Das macht sich bundesweit auch in Zahlen bemerkbar. Wurden 2005 pro 10.000 Kinder unter sechs Jahren sieben in Obhut genommen, waren es 2007 bereits elf. Anschließend entzog das Jugendamt in 10.800 Fällen den Eltern wegen Vernachlässigung oder Misshandlungen das Sorgerecht - 13 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Jugendämter wirken verunsichert und greifen schneller ein.
"Vorschnell’, kritisieren Elterninitiativen, unterstützt von Experten. Immer wieder fühlen sich Eltern, deren Kinder gegen ihren Willen in Obhut genommen wurden, ungerecht behandelt, klagen über die Willkür der Jugendämter. Diesen Vorwurf griff jetzt auch der Petitionsausschuss des Europaparlamentes auf. Wer kontrolliert eigentlich in Deutschland das Jugendamt, fragte er?
Von außen niemand, bestätigt auch Claudia Pasda. Doch bei ihnen entscheidet niemand allein, schauen wenigstens vier Augen immer auf einen Fall:
"Das ist ein richtiger Balanceakt. Wir sind immer mit einem Bein da, wo wir nicht sein wollen. Denn das Jugendamt hat die Garantenpflicht, das Wächteramt und das ist ganz allein bezogen auf meinen Kopf, meinen Namen. Ich stehe dafür. Wenn dem Kind was passiert, würde ich zur Verantwortung gezogen werden, inklusive der Familie."