"Uns fehlt es an den Ganztagsschulplätzen"

Christa Stewens im Gespräch mit Gabi Wuttke · 18.12.2012
Die CSU-Landtagsabgeordnete und ehemalige bayerische Familienministerin, Christa Stewens, fordert mehr Ganztagsplätze in den Schulen. Das größte Betreuungsproblem hätten junge Familien, wenn die Kinder in die Schule kämen, sagte Stevens anlässlich der jüngsten Studie zur Geburtenrate.
Gabi Wuttke: Mann macht, Frau tut, aber trotz gestiegener gesetzlicher Ansprüche steigen die Geburtenzahlen in Deutschland nicht. Das belegt die neueste Studie des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung.

Ein Grund: Vor allem im Westen der Republik verzichten Frauen auf Kinder, weil sie nicht aus dem Kopf kriegen, dass sie als Berufstätige schlechte Mütter sein würden.

Am Telefon begrüße ich jetzt Christa Stewens. Die heutige CSU-Landtagsabgeordnete war bayrische Sozial-, Arbeits- und Familienministerin, auch unter Edmund Stoiber, und sie hat nichts dagegen, dass sie Mutter des Betreuungsgeldes genannt wird. Einen schönen guten Morgen, Frau Stewens!

Christa Stewens: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Haben Sie ein schlechtes Gewissen, dass die Diskussion über das Betreuungsgeld, wenn der Schrägstrich und die Betonung auf Herdprämie lag, dazu geführt haben könnte, dass berufstätige Frauen auf Kinder verzichten, weil sie nicht als Rabenmutter gelten wollen?

Stewens: Nein, ich persönlich habe da kein schlechtes Gewissen. Ich halte aber die Diskussion, die im Zusammenhang mit dem Betreuungsgeld geführt worden ist, für völlig verfehlt, zumal das Betreuungsgeld keine Herdprämie ist, weil die Frauen ja durchaus erwerbstätig sein können, wenn sie sich zum Beispiel selbst organisieren, Kinderbetreuung selbst organisieren, zum Beispiel eine Tagesmutter nehmen oder ein Au-Pair-Mädchen, und so weiter.

Wuttke: Das heißt, Sie stützen das, was das Bundesinstitut für Bevölkerungsforschung sagt, nicht, denn die Wissenschaftler meinen, das Betreuungsgeld sei ein Ausbremser der Geburtenquote.

Stewens: Also ich glaube nicht, dass das Betreuungsgeld ein Ausbremser der Geburtenquote ist. Wenn man sich die Studie jetzt mal genau unter die Lupe nimmt, dann, glaube ich, ist es die größte Schwierigkeit, und wenn man ins praktische Leben unserer Familien schaut, dann ist die größte Schwierigkeit, wenn Kinder in die Schulen kommen.

Im Bereich der Betreuung bei den unter Dreijährigen und gerade auch an Kindergärten wird ja im Moment in Deutschland sehr viel getan, Gott sei Dank. Wo die jungen Familien alle Probleme haben, ist dann, wenn die Kinder in die Schule kommen. Uns fehlt es an den Ganztagsschulplätzen. Da ist der ganz große Bruch, und wenn ich mir anschaue bei der Studie, wie viele Mütter nach wie vor über lange Zeit, bis die Kinder noch in der Ausbildung sind, in Halbtagsplätzen erwerbstätig sind, dann kann man nur sagen, hier muss noch gewaltig nachgebessert werden.

Bei den unter Dreijährigen passiert in allen Ländern in Deutschland enorm viel im Krippenausbau. Und vor diesem Hintergrund denke ich schon, das Betreuungsgeld ist ein Stück weit soziale Gerechtigkeit gewesen, aber wir müssen wesentlich mehr in der Schule nachbessern.

Wuttke: Aber das mit der sozialen Gerechtigkeit ist ja so eine Sache, zumal alle Steuerungsmittel ja auch finanzieller Art in den letzten Jahren an einem Geburtendurchschnitt – das ist immer so ein hässliches Wort, 1,4 Kind pro Frau – nichts geändert haben.

Stewens: Das ist schon richtig. Sie müssen ja letztendlich sehen, dass im Bereich der Familienpolitik, ist nicht eine Maßnahme erfolgreich, sondern Sie brauchen eine Fülle von Maßnahmen, es ist stetig. Die Firmen, die Wirtschaft stehen hier in der Verantwortung. Wir brauchen wesentlich mehr familienfreundliche Arbeitsplätze. Die Schule, die gesamte Bildungspolitik steht in der Verantwortung, unsere Gesellschaft steht in der Verantwortung. Wir leben in Deutschland in einer kinderentwöhnten und damit auch ein Stück weit in einer kinderfeindlichen Gesellschaft.

Ich selbst habe sechs Kinder und 22 Enkel. Ich erlebe das täglich, dass Kinder in Deutschland eigentlich nicht mehr willkommen sind. Es ist ein ungeheuer emotionales Thema, dazu hat übrigens auch das Betreuungsgeld beigetragen, und die Diskussion um das Betreuungsgeld, dass diese alten Emotionen, dieses Rabenmutter kontra die gute Mutter, die zu Hause bleibt, dass diese Diskussion wieder in Deutschland geführt worden ist. Aber diese Diskussion halte ich für völlig verfehlt, und ich denke ...

Wuttke: Sie mag ja verfehlt sein, Frau Stewens, aber offensichtlich sitzt sie in den Köpfen, und da kann man doch nicht einfach sagen, damit haben wir nichts zu tun, wir haben ja was voranbringen wollen.

Stewens: Doch, ich meine schon, dass man das durchaus sagen kann. Die Diskussion ist ja weniger in dieser Form von der Politik geführt worden, sondern es ist ja schon auch von der Presse in einer ganz emotionalen Form geführt worden.

Wuttke: Ach, jetzt sind wir wieder Schuld?

Stewens: Nein, Sie sind nicht dran schuld, Gott bewahre, aber das war eine konzertierte Aktion, würde ich sagen. Und man ist dem Betreuungsgeld eigentlich gar nicht gerecht geworden, was das Betreuungsgeld tatsächlich wollte, was ich vorher schon eingangs gesagt habe: ein Stück weit mehr soziale Gerechtigkeit, auch für diejenigen Frauen, die sich freiwillig entschließen, zu Hause zu bleiben oder erwerbstätig zu sein und sich selbst zu organisieren.

Und da geht es wirklich ausschließlich um das zweite Jahr nach der Geburt eines Kindes und um das dritte Jahr, hier ein Stück weit den jungen Müttern mehr Flexibilität in ihrer Lebensplanung zu geben, und dieses Wort Herdprämie, Sie haben es ja vorher auch erwähnt, halte ich für einen völlig falschen und verfehlten Ausdruck, dieses Wort hat eigentlich wesentlich mehr Emotionen reingebracht in die Diskussion als das Betreuungsgeld selbst.

Wuttke: Dann nehme ich doch jetzt mal ein anderes, Frau Stewens, Sie haben es ja selbst gesagt: Sie haben sechs Kinder, Sie haben aber auch außerhalb der Familie Anerkennung gesucht, haben 1965 geheiratet, zehn Jahre später waren Sie schon die erste Frau, die die JU in Bayern geführt hat. Haben Sie Ihre Karriere an der – wenn ich jetzt nicht Herd sagen soll – an der Wickelkommode eingefädelt?

Stewens: Nein, ich habe an der Wickelkommode sehr viel Erfahrung gewonnen und mit meinen sechs Kindern sehr viel Erfahrung zu Hause gewonnen, und das war eine wunderschöne Zeit, als ich zuhause war. Aber ich halte es für wichtig, dass wir den Frauen ihre Lebensentwürfe ermöglichen, und zwar völlig unabhängig davon ...

Wuttke: Wie haben Sie das denn damals gemacht?

Stewens: Ich habe natürlich viel gearbeitet, und mir hat Politik immer wahnsinnig viel Spaß gemacht - ich war übrigens die erste Kreisvorsitzende der Jungen Union in Bayern, nicht die Landesvorsitzende – ...

Wuttke: Na, trotzdem!

Stewens: ... aber ist egal, mir hat das sehr viel Spaß gemacht, und ich habe mich auch ein Stück weit selbst organisiert mit meinen Kindern, und bin übrigens dann erst voll in die Politik eingestiegen, als das jüngste Kind 13 Jahre alt war, aber das war für mich eine spannender Weg, muss ich ehrlich sagen. Und ich bin auch der Überzeugung, dass es viele Frauen schaffen würden, ganztags erwerbstätig zu sein, wenn denn die Arbeitswelt ein Stück weit familienfreundlicher wäre, und wenn wir ...

Wuttke: Aber dann bräuchten wir doch das Betreuungsgeld sowieso nicht.

Stewens: ... und wenn wir in Deutschland wirklich überall Ganztagsangebote an den Schulen haben, da steckt doch der Hase im Pfeffer, doch weniger bei den Allerkleinsten, da sollten wir den Müttern wirklich die Freiheit lassen, sich zu entscheiden, bleibe ich jetzt zu Hause oder organisiere ich mich selbst, oder bin ich erwerbstätig. Da sollten wir nicht immer sozusagen den jungen Müttern bestimmte Lebensentwürfe vorgeben wollen. Die sollen sich wirklich frei entscheiden, ob sie erwerbstätig sein wollen oder ob sie zuhause bleiben sollen.

Wuttke: Sagt Christa Stewens, die ehemalige Sozial-, Frauen- und Familienministerin von Bayern im Interview der Ortszeit von Deutschlandradio Kultur. Besten Dank, Frau Stewens, schönen Tag!

Stewens: Dankeschön, Wiederhören!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
Mehr zum Thema