Unruhen in England 2011

Grime, der Soundtrack der Riots

Skepta spielt auf dem Glastonbury Festival of Contemporary Performing Arts 2016
Der britische Grime-Musiker Skepta © picture alliance / dpa / Andrew Cowie
Von Christian Werthschulte · 05.08.2016
Der Tod von Mark Duggan war der Auslöser für massive Unruhen in London und anderen britischen Städten vor fünf Jahren. Weil Duggan ein Freund des Grime-Musikers Skepta war, wurde der Musikstil bekannt - und für die Unruhen verantwortlich gemacht.
Am 4. August 2011. wurde der der Familienvater Mark Duggan von einem Londoner Polizisten bei einer geplanten Festnahme im Stadtteil Tottenham erschossen. Nachdem Bürger friedlich für eine Aufklärung des Vorfalls demonstriert hatten, kam es zu Ausschreitungen.
Duggan war ein Freund des Grime-Musikers Skepta. Er spielte in einem Video zu dem Song "Look out" (2009) von Skepta und Giggs mit.
Viele Grime-MCs kommen wie Duggan aus Tottenham und haben sich immer wieder zu den Unruhen 2011 geäußert - vor allem auf Twitter, weil große Medien den Grime lange ignorierten. Im Zuge der Unruhen wurde der Stil bekannt.

New-Labor-Politiker macht Grime für Unruhen mitverantwortlich

Grime ist die genuin britische Antwort auf HipHop. Entstanden ist der Musikstil zwischen 2002 und 2003 im Londoner Osten, in den ärmeren Vierteln wie Bow oder Newham und war dort besonders bei jungen Afro-Briten beliebt. Grime kommt aus der britischen Dance-Szene, weshalb die Lieder so schnell gespielt werden, um die 140bpm. Seit etwa zwei Jahren ist Grime fast überall ein Thema, weil Rap-Superstars wie Kanye West oder Drake den Stil für sich entdeckt haben.
David Goodhart, einer der Architekten von New Labour, machte den Grime-Song "Sirens" von Dizzee Rascal für die Riots mitverantwortlich. Darin geht es um Straßenraub, sogenanntes "Mugging" und Verhaftung. Goodhart ist der Ansicht, dass junge Afro-Briten durch solche Songs zu Gewalt verleitet würden. Für diese Position wurde er unter anderem von dem Musikjournalisten Dan Hancox kritisiert, einer der besten Grime-Kenner in Großbritannien.
Hancox: "Musik wie Grime beschreibt nicht nur die urbanen Spannungen, die Armut und die Alltagskämpfe während des Aufwachsens in bestimmten Teilen dieses Landes, sondern sie beschreibt auch jeden Aspekt des Lebens schwarzer Arbeiterklassen-Jugendlicher."

Politik missversteht die Riots

Gewalt ist also Thema der Songs, verursacht sie aber nicht. Die Soziologin Suzanne Hyde meint, dass die Politik die Ausschreitungen als "unpolitisch" missverstanden habe.
"Die Rechte hatte sofort die Kriminalität und Mängel in der Erziehung als Grund ausgemacht. Aber auch auf der Linken gab es viele Akademiker, die die Ausschreitungen als unpolitisch abgetan haben. Sie haben sie als eine Form des Konsums verstanden."
Einer der Gründe für die Riots war die Entfremdung zwischen den politischen Parteien und den afro-britischen Jugendlichen. Nach den Unruhen wurden sehr harte Strafen ausgesprochen. Anders als in den 1980ern, als es in Großbritannien auch große Riots gab, wurden keine neuen Sozialprogramme gestartet. Das ist laut Soziologin Hyde eine der Folgen dieses Missverständnisses.