Unmöglich, von einer Lappalie zu reden

Bei einem Angriff auf das Konsulat der USA in Bengasi sind der US-Botschafter und drei seiner Mitarbeiter getötet worden.
Bei einem Angriff auf das Konsulat der USA in Bengasi sind der US-Botschafter und drei seiner Mitarbeiter getötet worden. © picture alliance / dpa / Khaled Elfiqi
Von Anne Françoise Weber · 20.09.2012
Eigentlich verdiene dieser abscheuliche Muhammad-Film gar nicht, dass man sich damit beschäftigt. Aber wenn Botschaften brennen und Menschen sterben, sei es unmöglich, von einer Lappalie zu reden, mag der Auslöser noch so unbedeutend sein, sagt die Journalistin Anne Françoise Weber.
Meine ägyptische Bekannte hier in Kairo erzählte mir freudestrahlend: "In Deutschland darf Terry Jones nicht einreisen. Sie haben es gerade in den Radionachrichten gesagt." Wer war Terry Jones noch mal? Ach ja, dieser - mit Verlaub - durchgeknallte extremistische Pastor aus den USA, der im vergangenen Jahr den Koran verbrannt hat und jetzt auch mit der Verbreitung des Muhammad-Schmäh-Videos zu tun haben soll.

Mir war der Name ja schon fast wieder entfallen, aber meine Bekannte maß der Nachricht im ägyptischen Radio große Bedeutung zu: Es sei genau richtig, dass solche Extremisten nicht frei herumreisen und ihre schlimme Botschaft verbreiten dürften. Dem müsse man gleich einen Riegel vorschieben, erklärte sie mir.

Ich bin mir sicher, wenn in Deutschland dieser abscheuliche Muhammad-Film öffentlich gezeigt würde, würde meine Bekannte auch davon hören. Ebenso, wenn eine Vorführung verboten würde.

Sicher, eigentlich verdient diese miserable Billigproduktion mit ihren überaus diffamierenden Botschaften gar nicht, dass man sich damit beschäftigt. Aber Menschen mit einem großen Hass gegen den Islam - darunter Terry Jones - haben dafür gesorgt, dass man an diesen Punkt nicht mehr zurück kann. Wenn Botschaften brennen und Menschen sterben, ist es unmöglich, von einer Lappalie zu reden, mag der Auslöser noch so unbedeutend sein.
Allerdings war es auch keine Lappalie, als vor wenigen Wochen in Mali muslimische Heiligengräber und eine Moschee zerstört wurden. Geredet wurde darüber trotzdem weitaus weniger. Was nicht nur daran gelegen haben dürfte, dass kein amerikanischer Botschafter zu Tode kam, sondern auch daran, dass der Volksglaube, für den diese Grabmäler wichtig sind, keine so lauten Fürsprecher hat. Volksfrömmigkeit ist oft nur regional von Bedeutung, steht aber ebenso oft unter dem Verdacht der Falschgläubigkeit gegen solche Intoleranz kommen selbst liberale Muslime nicht an.

Und die nichtmuslimische Welt? Wenigstens sie müsste sich um die Glaubensfreiheit der Menschen, die zu diesen Grabstätten gepilgert sind und sich mit ihren Anliegen im Gebet an die Heiligen wandten, Sorgen machen. Und weniger um die religiösen Gefühle derer, die im Internet 14 Minuten dümmste Muhammad-Beschimpfungen sehen - oder es auch bleiben lassen können.

Sollte nun eine Aufführung des Films verhindert, gar grundsätzlich Blasphemie in Deutschland gesetzlich verboten werden? Da bin ich skeptisch. Hier in Kairo wurde gerade ein Christ wegen eines angeblich blasphemischen Videos über Muhammad nicht nur inhaftiert, sondern auf der Polizeiwache auch noch tätlich angegriffen und seine Mutter aus dem gemeinsamen Haus verjagt.

So etwas befürchte ich nun in Deutschland erstmal nicht, aber gibt es erst den Straftatbestand, nimmt der gesellschaftliche Druck doch zu. Und wer würde bestimmen, was unter Blasphemie fällt? Macht sich jemand wie Sven Kalisch, der Muslim war und an der Universität Münster muslimische Religionslehrer ausbilden sollte, dann auch der Blasphemie schuldig, weil er für sich entschied, die historische Existenz Mohammads infrage zu stellen. Also bitte kein Anti-Blasphemie-Gesetz.

Über die Nachricht, dass der Film in Berlin nicht öffentlich vorgeführt werden konnte, würde sich meine ägyptische Bekannte sicherlich genauso freuen wie über das Einreiseverbot für Terry Jones. Vielleicht würde sie sich aber noch mehr freuen, wenn sie hörte, dass eine große, friedlich demonstrierende Zahl an Menschen andere Leute davon abgehalten haben, ins Kino zu gehen.

Denn das würde doch heißen, dass nicht nur die deutsche Regierung nichts mit islamistischen Zündlern zu tun haben will, sondern dass es dort in Deutschland Bürger gibt, die dafür auf die Straße gehen, damit die religiösen Gefühle ihrer Nachbarn nicht verletzt werden. Und wer weiß, vielleicht würde das meine Bekannte ermutigen, auch zu protestieren, wenn das nächste Mal Heiligengräber in Mali oder sonst wo zerstört werden?

Anne Françoise Weber, Journalistin, lebt und arbeitet als freie Journalistin in Kairo. Sie hat evangelische Theologie, Sozial- und Islamwissenschaften in Marburg, Berlin und Tunis studiert und über muslimisch-christliche Beziehungen im Libanon promoviert.

Nach einer Ausbildung an der Berliner Journalisten-Schule, mehreren Jahren im Libanon und Stationen bei Radio France Internationale und dem Evangelischen Pressedienst war sie als Redakteurin für Religion und Gesellschaft bei Deutschlandradio Kultur in Berlin tätig, bevor sie erneut in die arabische Welt zog.
Anne Françoise Weber
Anne Françoise Weber© Deutschlandradio - Bettina Straub
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