Unlustige Diplomaten

Von Jörn Florian Fuchs |
Am Anfang gleicht die mit schick gekleideten Damen und Herren bevölkerte Szenerie dem Palais des Nations. Vielleicht geht es Regisseur Christof Loy am Grand Théâtre in Genf um ein neues Bild der Operette "Die lustige Witwe". Das vermittelt sich jedoch kaum.
Der Beginn erinnert stark an Christoph Marthaler: ein großer Saal, darin ein Putzmann, der sich mit einem Staubsauger herumschlägt und dazu Platten hört – selbstverständlich Operette. Irgendwann wird es ihm (bzw. der Schauspielerin Silvia Fenz in einer Hosenrolle) aber zu dumm, mit einem sonoren "Los geht's" wirft er/sie das Orchester an.

Rasch bevölkern lustige, zugleich schick gekleidete Damen und Herren die Szenerie. Sie haben, bis auf wenige Ausnahmen, gute Umgangsformen und schrecken nur bei dem Wörtchen "Diplomat" kurz hoch. Der Saal verwandelt sich und ähnelt plötzlich stark dem Palais des Nations, jenem Genfer Gebäudekomplex, in dem man über Menschenrechte und Schicksale von Staaten verhandelt.

Eigentlich passt das ganz gut zu den Verstrickungen um die reiche Witwe Hanna Glawari, ihre (heimliche) Liebe zu Graf Danilo und dem etwas tölpelhaften Baron Zeta, der mithilfe des Witwengeldes seinen Kleinstaat Pontevedrinien retten möchte. Doch irgendwie schlägt Loy aus alldem keine Funken, ziemlich lahm schleppt sich der Abend dahin.

Einige Nebenfiguren werden aufgewertet: die Gattin des Barons darf auch mal ein Lied aus Weills "One Touch of Venus" trällern (ohne freilich der Besungenen auch nur entfernt zu ähneln), zwei Glawari-Enthusiasten buhlen um die blonde Reiche in immer neuen, zufällig immer gleichen Anzügen ...

Es bleibt unklar, was Loy wirklich will. Vielleicht geht es ihm um ein neues Bild dieser Operette, um die Balance zwischen Tragik, Komik und Tragikomik. Das vermittelt sich jedoch kaum, das Ergebnis sind einfach zweieinhalb träge Stunden.

Gesungen und gesprochen wird in einem Mischmasch aus Deutsch, Französisch, Englisch und 'Pontevedrinisch', den oft viel zu langen Textpassagen mangelt es an Witz und Rhythmus, viele Musiknummern geraten äußerst gediegen. Bis auf Danilos (vorläufigen) Abschied von Glawari lässt einen alles ziemlich kalt.

Hinzu kommt die mediokre Solistenbesetzung. Annette Dasch singt und spielt die Witwe aseptisch kalt, Jennifer Larmore stattet die Gattin des Barons nur mit begrenzten vokalen Reizen aus, den Baron selbst gibt kein Geringerer als José van Dam. Der ist zweifellos ein Jahrhundertsänger, in dieser Partie wirkt er unterfordert und hampelt dazu wie ein ergrauter Alberich herum. Bernard Richter verleiht dem umtriebigen Charmeur Camille de Rosillon eine gewisse Aura. Nur Johannes Martin Kränzle (Danilo) aber überzeugt vollauf. Kränzle zeigt alle Facetten seiner Figur und singt das übrige Ensemble spielend an die Wand. Diese eine grandiose Leistung ist zu wenig für einen ungemein matten Abend, den leider auch das gerade mal solide spielende Orchestre de la Suisse Romande unter Rainer Mühlbach nicht aufwerten konnte.

Vielleicht ist die Operette einfach nicht Christof Loys Genre. Im kommenden Frühjahr inszeniert er die "Fledermaus" in Frankfurt. Mal sehen, wie er mit den Börsianern klarkommt – und umgekehrt.

Homepage Grand Théâtre Genf: "Die lustige Witwe"