Unlebbarer Alltag der DDR

Von Michael Laages |
In den 80er- und 90er-Jahren wurden die Theatertexte von Heiner Müller von allen innovativen Bühnen gespielt. Inzwischen findet man seine Titel eher selten auf den Spielplänen. Jetzt hat Regisseur Dimiter Gotscheff Müllers "Verkommenes Ufer Medeamaterial Landschaft mit Argonauten" in Szene gesetzt.
Es ist ja wahr: Müllerianer und Müllerologen sterben zwar noch lange nicht aus, aber ihrer Zahl nimmt auch nicht eben zu. Und es muss das Deutsche Theater schon bedenklich stimmen, dass nicht einmal die (kleineren) Kammerspiele richtig ausverkauft sind, wenn Dimiter Gotscheff wieder einmal einen liebenden Blick auf den großen Wege-Ebner und einstigen Theater-Erneuerer Heiner Müller wirft; Wolf Biermanns live an 35 Jahre Ausbürgerung neben am "Berliner Ensemble” ist keine Entschuldigung.

Müller hat es schwer; und so falsch das Verdikt eingeschworener Müller-Verächter nach der Wende über den Autor auch war ("Erledigter Fall!”), so nachhaltig verschwunden sind die Texte des Dramatikers aus den Spielplänen. Einzig "Der Auftrag” und "Quartett” haben überlebt, einigermaßen ... Dimiter Gotscheffs neuerlicher Versuch mit der Text-Montage "Verkommenes Ufer. Medeamaterial. Landschaft mit Argonauten” von 1982, ergänzt um "Mommsens Block”, zehn Jahre später entstanden, trägt zur weiteren Beschäftigung mit Müller wenig Neues bei.

Das war auch nicht zu erwarten. Für Gotscheff ist Müllers Sprache ein "Vademecum”, viele Inszenierungen anderer Autoren lädt Gotscheff immer wieder auf mit Müller. Und im Grunde weiß er auch, dass er dem dem Zeitgeist hinterher inszeniert. Deshalb hat er sich seit einiger Zeit darauf verlegt, in Müllers Texte die maskierten Clownerien eines nie und nirgends und von niemandem richtig verstandenen Autors kenntlich zu machen. Darum trugen Margit Bendokat, Almut Zilcher und Wolfram Koch jetzt in Berlin ausweislich der Fotos im Programmheft noch ulkige Faschingskäppis, als sie zu Beginn durch die Tür im Eisernen Vorhang zu uns herein linsten und grinsten wie der Kasper im Theater: Seid Ihr denn auch alle da?

Wahrscheinlich war das dann aber doch zu neckisch, und kurz vor der Premiere wurden die Käppis wieder abgeschafft; nun fallen als einziges Accessoires die knallroten, quietschgelben und tiefblauen Schuhe ins Auge; Koch trägt außerdem noch knallige Krawatten um die Hüfte. Verwirrend augenschmausig soll's schon, sagt Gotscheff, aber bitte auch möglichst abstrakt - als sei das nicht schon Müller zur Genüge. An einer gelben Stabhochsprungstange wird dann Koch aus den Tiefen der Untertöne herauf gezogen, oben rum nackt, und der Ausnahmeschauspieler eröffnet die Müller-Exegese mit einer wirklich fabelhaften Zirkusnummer der Sorte Affe-wird-Mensch; das passt vorzüglich zu Müllers Weltuntergangspoesie aus dem 'Argonauten'-Teil der Text-Montage.

Gottscheffs Team hat weiter montiert, hat Müllers Reihenfolge aufgelöst und Text-Passagen neu sortiert - das geht, weil die Paraphrase über antike Kinds- und Gattenmörderin Medea, die Fantasie über den unlebbaren Alltag der DDR in "Verkommenes Ufer” und Apokyptical mit Argonauten ihrerseits schon wie Versatzstücke eines Regenwurms verschieden montierbar sind; schon Müller selber hatte zwischen die Bausteine nur notdürftige Hinführungen und Überleitungen gestrickt.

Medea ist (trotz weniger Dialog-Passagen) in Berlin Zilchers Solo, die Argonauten gehören weithin Koch, das 'Ufer'-Stück ist ein Chor der drei - Margit Bendokat schließlich spricht allein "Mommsens Block”, den Nach-Wende-Text, in dem Müller eher weitschweifig mitteilt, dass die eigene Schreibhemmung nach dem Mauerfall noch viel berechtigter war als die des Historikers Mommsen hundert und ein paar Jahre - über die Herrscher und Cäsaren der Gegenwart müsse sich heute keiner mehr den Kopf zerbrechen wie; es lohn nicht. Überhaupt nicht.

Vor allem dank Margit Bendokat ist dieses Finale Schmuckstück pur; noch einmal lädt Müllers Text hier ein, lustvoll ganz und gar verschütt gehen zu wollen zwischen Worten und Sätzen, Bedeutung und Phantasie. Den ganzen Hass und die ganze Heiterkeit, Einsicht und Verzweiflung des Dramatikers zwingen Bendokat und Gotscheff hier in den schwerst mäandernden Text; Zilcher und Koch haben der Kollegin zuvor demonstrativ die Daumen gedrückt und sitzen jetzt mit im Zuschauerraum.

Nein - verloren ist dieser kleine Abend nicht; wie auch, mit diesem Personal. Und doch sollten nun endlich die jungen Regisseurinnen und Regisseure ran, die "ihren” Müller neue erfinden könnten. Er hätte es verdient. Wann wird sein Erbe wieder modern?

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