Unkrautvernichter Glyphosat

"Wahrscheinlich krebserregend"

 Traktor spritzt Glyphosat zur Unkrautvernichtung im Sommer auf einem Acker in Rheinland-Pfalz.
Glyphosateinsatz auf einem Acker in Rheinland-Pfalz © imago / Blickwinkel
Von Karin Bensch · 30.05.2017
Macht das Pestizid Glyphosat krank? Experten kommen in Studien zu widersprüchlichen Ergebnissen. Doch selbst ein deutschlandweites Verbot würde nicht vor der möglichen Gefahr schützen.
Helsinki, Annastraße 18. Hier steht ein riesiges Gebäude aus rotem Backstein. Auf dem Dach und vor der Eingangstür wehen blaue Fahnen. Die Europaflagge mit zwölf gelben Sternen und die Fahne von ECHA – der Europäischen Chemikalienagentur.
Die Aufgabe von ECHA ist es, herauszufinden, ob bestimmte chemische Stoffe gefährlich für Menschen und Umwelt sind, und entsprechende Empfehlungen abzugeben. Chemielabore mit rauchenden Reagenzgläsern und farbigen Fläschchen gibt es hier allerdings nicht. Das Innenleben der Europäischen Chemikalienagentur besteht aus Büros, Konferenzräumen und langen Fluren. Die Mitarbeiter vergleichen, analysieren und bewerten bestehende Studien und gelangen dadurch zu einer Einschätzung.

Kein anderer Stoff wird öfter verwendet

So auch geschehen beim höchstumstrittenen Stoff Glyphosat. Der weltweit am meisten verwendete Wirkstoff in Unkrautvernichtern. Eine Chemikalie, die das Pflanzenwachstum stoppt. Glyphosat wird in der Landwirtschaft vor allem vor oder kurz nach der Aussaat eingesetzt, um die Ackerflächen frei von Unkraut zu halten. Teilweise wird das Pflanzengift aber auch vor der Ernte eingesetzt. Denn durch die chemische Trocknung reifen Früchte schneller und die Ernte wird einfacher. Glyphosat ist auch ein Riesenthema, weil es mit Gentechnik verbunden ist. Es gibt Pflanzen, sogenannte "Roundup-Ready-Kulturen", die gentechnisch so verändert wurden, dass sie gegen die Chemikalie resistent sind.
Ist Glyphosat krebserregend oder nicht? Das ist die Frage, die die Wissenschaftler der Europäischen Chemikalienagentur beantworten sollten. Ihr Ergebnis: Glyphosat kann nicht als krebserregend eingestuft werden, sagte Tim Bowmer, der Leiter der Risikobewertung Mitte März.

Grundlage für diese Bewertung waren die Gutachten des Bundesinstituts für Risikobewertung in Berlin und der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit in der italienischen Stadt Parma. Beide sind der Ansicht, dass Glyphosat nicht krebserregend ist. Auch eine Expertengruppe bei der Weltgesundheitsorganisation in Genf hält es für unwahrscheinlich, dass Glyphosat bei der Nahrungsaufnahme für Menschen ein Krebsrisiko darstellt. Im Gegensatz dazu gibt es mehrere Studien, die uns annehmen lassen, dass Glyphosat doch krebserregend ist, sagt Juha Aromaa von der Umweltschutzorganisation Greenpeace in Helsinki.
BUND-Protest gegen den Unkrautvernichter Glyphosat.
Umweltschützer sind überzeugt: Der Unkrautvernichter Glyphosat ist gefährlich.© imago / BildFunkMV

Krebs, Parkinson, Alzheimer

Die Internationale Behörde für Krebsforschung in Lyon hält Glyphosat für "wahrscheinlich krebserregend". Daneben gibt es noch andere Krankheiten, die mit dem Unkrautvernichter in Verbindung gebracht werden, sagt der Umweltschützer. Zum Beispiel Parkinson und Alzheimer.
Die widersprüchlichen Ergebnisse der Studien sind zum Teil durch die unterschiedlichen Herangehensweisen zu erklären. Die Internationale Behörde für Krebsforschung zum Beispiel beurteilt die grundsätzliche Fähigkeit eines Stoffes, Krebs auszulösen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung dagegen prüft, ob bei normalem Gebrauch im Alltag zusätzliche Krebsfälle auftreten.

Glyphosat ist auch nicht als genverändernd oder schädlich für die Fortpflanzung zu bewerten, meint Tim Bowmer von der Europäischen Chemikalienagentur.
Die Wissenschaftler in Helsinki kommen jedoch zu dem Schluss, dass Glyphosat schwere Augenschädigungen hervorruft und giftig für Lebewesen im Wasser ist. Glyphosat sollte weiterhin in Europa zugelassen werden, meint der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese. Aber mit Einschränkungen.
"In Deutschland ist schon seit vielen Jahren die Behandlung vor der Ernte verboten, und ich glaube, es ist auch dringend Zeit, dass wir das auch in ganz Europa tun."

Erlauben oder verbieten?

Basierend auf dem Gutachten der Europäischen Chemikalienagentur hat die EU-Kommission Mitte Mai vorgeschlagen, Glyphosat für weitere zehn Jahre in Europa zuzulassen. Maximal hätten es fünfzehn Jahre sein dürfen. Umweltschützer kritisieren, dass die Brüsseler Behörde grundsätzlich Glyphosat-freundlich eingestellt ist. Die Entscheidung, ob der Unkrautvernichter weiterhin erlaubt bleibt oder verboten wird, liegt allerdings bei den EU-Ländern. Sie sind verantwortlich und haben die Instrumente, um Glyphosat einzuschränken, sagt Arunas Vinciunas von der EU-Kommission.
Deutschland hatte sich zuletzt bei der Abstimmung enthalten, weil die Bundesregierung keine gemeinsame Linie hatte. Die Union war dafür, dass Glyphosat erlaubt bleibt, die SPD war dagegen. Obwohl die Europäische Chemikalienagentur Glyphosat für nicht krebserregend hält, für Umwelt und Artenvielfalt bleibt der Stoff nach wie vor gefährlich, meint Bundesumweltministerin Barbara Hendricks von der SPD.
"Wenn der Stoff jetzt weiter zugelassen wird, dann geht das nur mit strengen Anwendungsbestimmungen."
Glyphosat erlauben oder verbieten? Die EU-Länder werden in den kommenden Wochen anfangen, erneut darüber zu diskutieren. Die Debatte soll im Herbst abgeschlossen sein, sagte eine Kommissionssprecherin dem Europastudio Brüssel. Bis Jahresende muss alles entschieden sein, denn dann läuft die derzeitige Zulassung für Glyphosat in Europa aus.

Verbote auf nationaler Ebene unwirksam

Selbst, wenn die Mehrheit der EU-Länder dafür stimmen sollte, dass Glyphosat weiterhin in Europa zugelassen sein wird, könnten einzelne Mitgliedsstaaten den Einsatz bei sich zuhause verbieten, sagt Jack de Bruijn, der Leiter des Risikomanagements bei der Europäischen Chemikalienagentur.
Doch selbst, wenn ein Land den umstrittenen Unkrautvernichter bei sich verbietet: Durch den Verkauf von Lebensmitteln und Futterpflanzen quer durch Europa wäre das Pflanzengift weiterhin im Kreislauf. Und Glyphosat würde weiterhin in geringen Mengen auf unserem Tisch landen: zum Beispiel in Obst, Gemüse, Brötchen und Bier.
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