Forschungsmittel-Affäre
Bildungsministerin Stark-Watzinger sei offenbar die politische Dimension nicht bewusst, analysiert Hauptstadtkorrespondent Vladimir Balzer. Das Ministerium sei Auslöser einer Vertrauenskrise mit der Wissenschaft. © picture alliance / dpa / Hannes P Albert
Wie lange kann sich Ministerin Stark-Watzinger noch halten?
Die Kritik an Bettina Stark-Watzinger (FDP) reißt auch nach ihrer Befragung im Bundestag nicht ab. Die Bundesbildungsministerin steht im Mittelpunkt der sogenannten Fördermittel-Affäre. Dabei geht es um die Wissenschaftsfreiheit.
Das Bundesbildungsministerium steht im Verdacht, das Grundrecht auf Wissenschaftsfreiheit verletzt zu haben. Konkret geht es dabei um den Vorwurf, dass das Ministerium einen Prüfauftrag gegen Hochschullehrerinnen und -lehrer erteilt habe, die sich in einem offenen Brief für propalästinensische Proteste an ihren Universitäten ausgesprochen hatten. Dabei ging es darum herauszufinden, welche Unterzeichner Bundesfördermittel erhalten.
Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) blieb bei ihrer Befragung im Bildungsausschuss und der anschließenden Regierungsbefragung im Bundestag am 26.06.2024 bei ihrer Darstellung: Sie haben nichts von einem förderrechtlichen Prüfauftrag gewusst. Viele im Ausschuss bezweifeln das. Kritik am Auftritt der Ministerin kam auch aus der eigenen Koalition, vor allem von Grünen und der SPD.
Stark-Watzinger räumte ein, dass eine Liste mit Namen der Unterzeichneten des Offenen Briefs erstellt wurde, um juristisch prüfen zu können, ob es eine Aufforderung zu Straftaten gebe. Diese Liste habe sie aber nicht beauftragt. Wer dies getan hat, wollte die Ministerin nicht sagen.
Maßnahmen, wie sie das Vertrauen wiederherstellen will, kündigte Stark-Watzinger nicht an. Einen Anlass zum Rücktritt sieht sie nicht.
Was war der Auslöser der Forschungsmittel-Affäre?
Im Mai 2024 hatten mehr als 100 Dozentinnen und Dozenten von Berliner Hochschulen in einem offenen Brief die Räumung eines Protestcamps propalästinensischer Demonstrierender an der Freien Universität Berlin kritisiert.
"Unabhängig davon, ob wir mit den konkreten Forderungen des Protestcamps einverstanden sind, stellen wir uns vor unsere Studierenden und verteidigen ihr Recht auf friedlichen Protest, das auch die Besetzung von Uni-Gelände einschließt", heißt es darin.
Zahlreiche Politikerinnen und Politiker reagierten empört auf den Brief, auch Bettina Stark-Watzinger. Gegenüber der "Bild"-Zeitung sagte sie, sie sei "fassungslos" darüber, dass Uni-Besetzer zu Opfern gemacht und Gewalt verharmlost würde. Gerade Professoren und Dozenten müssten "auf dem Boden des Grundgesetzes stehen". Ihre Äußerungen führten in der Wissenschaftsgemeinschaft zu massiver Kritik.
Worum ging es im hausinternen E-Mailverkehr des Ministeriums?
Nach Stark-Watzingers öffentlicher Reaktion kam es am 13. Mai im Bildungsministerium zu einem internen Mailverkehr. Wie das ARD-Magazin "Panorama" berichtete, sollte geprüft werden, ob bestimmte Aussagen in dem Brief strafrechtlich relevant seien und ob das Ministerium den Verfasserinnen und Verfassern des Briefes als Konsequenz Fördermittel streichen könne.
Die Referentinnen und Referenten aus dem Ministerium sprachen sich gegen diese Prüfung aus, da der Brief keine strafrechtlich relevanten Aussagen enthalte.
Was waren die Folgen der Veröffentlichung des E-Mailverkehrs?
Der vom NDR veröffentlichte Bericht der "Panorama"-Redaktion führte zu erneuter Kritik aus Forschung und Politik an Stark-Watzingers Vorgehen. Am 16.06.2024 zog das Bundesforschungsministerin Konsequenzen und ließ Staatssekretärin Professorin Sabine Döring in den einstweiligen Ruhestand versetzen.
"Ich habe veranlasst, dass der Sachverhalt gründlich und transparent aufgearbeitet wird", schrieb Stark-Watzinger in einer Pressemitteilung am 16.06.2024. "Fest steht, dass eine Prüfung potenzieller förderrechtlicher Konsequenzen bei den zuständigen Fachreferaten in der Tat erbeten wurde." Staatssekretärin Döring, die den Prüfauftrag veranlasst habe, hätte "erklärt, dass sie sich bei ihrem Auftrag der rechtlichen Prüfung offenbar missverständlich ausgedrückt habe."
Nichtsdestotrotz sei der Eindruck erweckt worden, dass die Prüfung förderrechtlicher Konsequenzen auf der Basis eines von der Meinungsfreiheit gedeckten offenen Briefes im Bundesministerium für Bildung und Forschung erwogen werde. Das widerspreche den Prinzipien der Wissenschaftsfreiheit, so die FDP-Politikerin.
"Prüfungen förderrechtlicher Konsequenzen wegen von der Meinungsfreiheit gedeckten Äußerungen finden nicht statt", betonte sie. Die Wissenschaftsfreiheit sei ein sehr hohes Gut „und zu Recht verfassungsrechtlich geschützt.“ Der entstandene Eindruck sei geeignet, das Vertrauen von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in das Bundesbildungsministerium "nachhaltig zu beschädigen".
Wie verlief die Befragung Stark-Watzingers im Bundestag?
Nachdem die Ankündigung Stark-Watzingers, die Affäre restlos aufklären zu wollen, zunächst mit Erleichterung aufgenommen wurde, bleiben nach ihrer Befragung im Bundestag viele Fragen offen.
Offenbar gab es im Ministerium über mehrere Tage und verschiedene Referate hinweg eine Debatte, inwieweit man förderrechtliche Konsequenzen für die Unterzeichner des Offenen Briefes diskutieren kann. Stark-Watzinger will davon aber nichts gewusst haben.
Wer den Prüfauftrag gab, will Stark-Watzinger nicht sagen
Allerdings zeigen neue Recherchen, dass die Liste der Unterzeichner des Offenen Briefes gegen die Räumung des Palästina-Camps auf mögliche Empfänger von Fördergeldern gecheckt worden sein soll. Die Ministerin räumte ein, dass eine Liste in Zusammenarbeit mit dem Fachreferat und dem Pressereferat erstellt wurde, offenbar um gegenüber der Presse Auskunft geben zu können. Wer den Auftrag gab, wollte Stark-Watzinger "zum Schutz von Mitarbeitern" den Abgeordneten auch auf mehrmalige Nachfragen nicht sagen.
Oliver Kaczmarek (SPD), Obmann im Bildungsausschuss, zeigte sich entsetzt: „Mir wird bei dem Gedanken, dass so etwas im Haus einfach erarbeitet wird, ganz anders, um ehrlich zu sein. Das ist schon ein schwerwiegender Vorgang."
Die Linken-Abgeordneten Nicole Gohlke nannte es „unglaubwürdig“, dass mehrere Stellen „gleichzeitig diesen Prüfauftrag machen und eine Liste mit besagten Hochschullehrenden anlegen, ohne dass Sie irgendetwas davon wissen und ohne dass Sie das auch direkt in Auftrag gegeben haben wollen."
Der BSW-Abgeordnete Ali Al-Dailami forderte den Rücktritt der Ministerin. Diese sieht "dazu keine Veranlassung", wie sie bekräftigte. Wie es mit der Bildungsministerin weitergeht, hängt nun von FDP-Chef Christian Lindner ab. Er wird am Ende nüchtern abwägen, wie lange es sich seine Partei leisten kann, an Stark-Watzinger festzuhalten.
pj, tha